# taz.de -- Zukunft des Kultursenators in Berlin: Die Jungs von der Kulturbaustelle
       
       > Michael Müller ist auch für Kultur zuständig – doch davon merkt man
       > nichts mehr. Soll das Amt nach der Wahl wieder eigenständig werden? Ein
       > Essay.
       
 (IMG) Bild: Sind gerade auf Tauchstation: Michael Müller und sein Kulturstaatssekretär
       
       Auf einer SPD-Kulturrunde kürzlich im Podewil: Der Regierende Bürgermeister
       und Kultursenator Michael Müller wird gefragt, ob er nach der
       Abgeordnetenhauswahl im September den Platz als Kultursenator räumen werde
       oder nicht. „Es gibt zwei gute Möglichkeiten. Die eine ist, dass der
       Regierende Bürgermeister das Kulturressort weiterführt, oder auch, dass man
       eine eigenständige Lösung findet und damit ein klares Signal für eine
       starke Kultur setzt“, antwortet Müller.
       
       Ja, nein? Liest man zwischen den Zeilen, wird klar: Den Regierenden reizt
       das Amt des Kultursenators nur bedingt. Eine „starke Kultur“ ist nur eine
       „eigenständige“. Und Müller hat das Thema Kultur für sich im beginnenden
       Wahlkampf bisher nicht aufgegriffen.
       
       Dazu passt, dass es auf aktuell kritische Anmerkungen zur Berliner
       Kulturpolitik keinerlei Reaktionen aus der Senatskanzlei gibt. In der
       vergangenen Woche etwa hatte der renommierte Bund Deutscher Architekten
       (BDA) in einem offenen Brief den Wettbewerb für das am Kulturforum geplante
       Museum der Moderne attackiert: „Leider bestätigen die Ergebnisse in voller
       Gänze die Befürchtungen des BDA Berlin. Sowohl in Bezug auf die
       preisgekrönten Entwürfe als auch allgemein lässt sich feststellen, dass die
       Schwierigkeiten mit der Festlegung des Grundstücks nicht überwunden werden
       konnten“, erklärte Andreas Becher, Vorstand des BDA Berlin. Er forderte
       Änderungen von Berlin und dem Bund in der Ausschreibung. Antwort von
       Müller: keine.
       
       Keine Reflexe kamen auch auf die „Bestandsaufnahme“ der Stiftung Zukunft
       Berlin zur „Kultur und Kulturpolitik in der Hauptstadt“. Darin wird der
       Kulturpolitik vorgehalten, diese würde die Potenziale der Freien Szene, der
       kulturellen Stadtentwicklung, der internationalen Vernetzung der Kultur
       oder der Zusammenarbeit mit dem Bund aus den Augen verlieren. „Berlin kann
       mehr“, konstatierten die Autoren der Studie.
       
       ## Der Stuhl bleibt leer
       
       Das kulturpolitische Abtauchen ist auch an anderer Stelle wahrnehmbar. Im
       Ausschuss für kulturelle Angelegenheiten etwa wird Müllers Funktion von
       einigen Mitgliedern nur noch als marginal eingestuft – was an den vielen
       Fehlzeiten des Chefs liegen dürfte. So stichelte jüngst Philipp Magalski,
       kulturpolitischer Sprecher der oppositionellen Piratenpartei, bei einer
       Sitzung zum Thema „Abriss der Ku'damm-Bühnen“ süffisant in Richtung Müllers
       leerem Stuhl, dass es „doch von größter Wichtigkeit“ wäre, dazu auch die
       Meinung des Kultursenators zu hören. Gemeint war freilich das Gegenteil.
       Müller? Geschenkt!
       
       Es ist kein Geheimnis, dass der einst so gewichtige Ausschuss, der nach
       1989 Maßstäbe für die Stadtentwicklung, die kulturellen Institutionen sowie
       für die Kunst- und Kulturszene setzte, an Bedeutung verloren hat. Statt
       Themen offen auszufechten, verhandelten Müller und sein Staatssekretär Tim
       Renner (SPD) die Dinge in „intransparenten Verfahren“, wie die grüne
       Fraktionsvorsitzende Ramona Pop und Jürgen Flimm, Intendant der Staatsoper,
       monierten.
       
       Und es ist kein Geheimnis, dass der regierende Kultursenator sich bis dato
       nicht zum klassischen Kulturpolitiker und Impresario gewandelt hat. Wollte
       er das überhaupt, könnte man fragen?
       
       Müller ist nach einem Zwischenhoch Mitte 2015 mit seinem Konzept
       „Welt.Stadt.Berlin“ für das Humboldt-Forum sowie mit den Neubesetzungen der
       Direktoren an der Volksbühne, am Berliner Ensemble und bei der Stiftung
       Stadtmuseum als Kultur-Akteur wieder abgetaucht – und damit wieder dort
       gelandet, wo er zu Beginn seiner Amtszeit schon war. Business as usual ist
       angesagt in der städtischen Kulturpolitik.
       
       ## Hört Müller auf?
       
       Sind dies nicht alles Indizien, dass Michael Müller in einer kommenden
       Legislaturperiode sich den Schuh des Kultursenators nicht noch einmal
       anziehen will? Ist nicht längst ausgemacht, dass die Kultur wieder einen
       eigenständigen Sitz im zukünftigen Senat erhalten soll – zumal die
       Landesverfassung es erlaubt, nach der Abgeordnetenhauswahl die
       Senatorenplätze aufzustocken?
       
       Einmal unterstellt, es stimmt, dass die Berliner Kulturpolitik an Bedeutung
       eingebüßt hat und dies korrigiert werden soll, ist der Ruf nach einem
       eigenen Kulturressort nur evident. CDU-Fraktionschef Florian Graf hat 2015
       genau dies gefordert: „Der hohe Stellenwert der Kultur für die Stadt soll
       einen eigenständigen Platz im Senat erhalten.“ Wie es scheint, hat Müller
       auf der SPD-Kulturrunde diesen Faden aufgenommen.
       
       Nur: Ist das Amt des Kultursenators wirklich die Lösung? Stechen die
       altbewährten Instrumente und Strukturen noch?
       
       Mitentscheidend für den veränderten Berliner Stellenwert auf der
       kulturpolitischen Bühne ist, dass mit Kulturstaatsministerin Monika
       Grütters (CDU) eine starke Berliner Akteurin dieses Terrain seit 2013
       besetzt. Grütters und der Bund spendierten der Hauptstadt unter anderem die
       200 Millionen Euro für den geplanten Neubau des Museums der Moderne sowie
       weitere 28,1 Millionen Euro für den Erweiterungsbau für das Bauhaus-Archiv.
       
       ## Wer zahlt, bestimmt
       
       Die Staatsministerin und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) haben
       den Hut auf bei der Sanierung der Museumsinsel in Mitte. Zudem berief
       Grütters den Briten Neil MacGregor als Gründungsintendant für das
       Humboldt-Forum. Es gilt: Wer zahlt, bestimmt.
       
       Michael Müller hat stets betont, dass er diesen Einfluss nicht als
       Konkurrenz empfindet, sondern als Pflicht des Bundes für die Hauptstadt.
       Hängen bleibt trotzdem, dass Berlin seine Macht und Interessen an Grütters
       verloren, ja freiwillig abgegeben hat.
       
       Um hier wieder Boden gutzumachen, fordern Kulturpolitiker, Mitglieder des
       Rates für die Künste und Christophe Knoch, Sprecher der Freien Szene, das
       Ende der Personalunion von Regierungschef und Kultursenator ein. Die hatte
       Klaus Wowereit 2006 installiert – und damit „die Kultur an den Abgrund von
       Dilettantentum und Amateurhaftigkeit“ gebracht, wie Knoche einmal anmerkte.
       
       In der Freien Szene, aber auch bei Theatermachern oder Kulturmanagern geht
       die Forderung indes weiter. Das System des Kulturchefs ist ein
       Auslaufmodell geworden. Die Stadtgesellschaft und Künstler akzeptieren den
       Kultur-Supermann oder die Kultur-Superfrau nicht mehr, die alles
       entscheiden, wie es Klaus Wowereit („Kultur ist Chefsache“) bis 2006 im
       Roten Rathaus praktizierte.
       
       Das Duo Klaus Wowereit/André Schmitz hat viel Geld in die repräsentativen
       „Leuchttürme“ gesteckt, es plante – vergeblich – Kunsthallen,
       Landesbibliotheken und Festivals. Den freien Künstlern und Gruppen blieben
       da nur die Brosamen, gleichwohl die Stadt zum Hotspot der jungen Kunst
       avancierte.
       
       Doch genau auf diesem „jungen“ Feld wird sich die Zukunft Berlins als
       attraktiver und lebendiger Ort für die Kunst und Kultur entscheiden, wie
       Matthias Lilienthal, bis 2012 Intendant des HAU, vor seinem Rückzug
       orakelte. Das funktioniert nur, wenn man den Katzentisch an den des Senats
       heranrückt, so der Theatermacher. Das Zauberwort, wie es etwa in den
       Niederlanden vielfach umgesetzt wird, lautet heute Bürgerbeteiligung,
       Partizipation, Kulturrat oder Kulturforum.
       
       ## Nur gemeinsam geht's
       
       Diese Akteure und Institutionen beraten inter pares die Politik; sie sitzen
       quasi an einem Runden Tisch mit ihr. Denn eine Zentral- und
       Landesbibliothek (ZLB), ein Humboldt-Forum, eine Kunsthalle, junge
       Festivals, neue kulturelle Stadträume und die Beziehungen sowie Interessen
       zwischen Stadt und Staat lassen sich nur kollektiv und kooperativ
       realisieren. Nur so gelingen sie auch.
       
       In Berlin leben mehr als 10.000 Künstlerinnen und Künstler, 200.000
       Menschen arbeiten in der Kulturwirtschaft, besonders in aufstrebenden
       Branchen. Junge bildende Künstler, Musiker, Designer, junge Verlage,
       Literaten und Medienleute, Architekten und Kuratoren, Tänzer und
       Schauspieler, Theater- und Filmemacher bilden ein kulturelles Kraftwerk für
       die Stadt, das es zu organisieren, zu navigieren und zu fördern gilt. Hinzu
       kommt die migrantische Szene, die bislang weit unter Wert behandelt wurde.
       
       Es führt kein Weg daran vorbei: Die bessere Möglichkeit ist, dass die
       Kultur eigenständig geführt wird. Die Berliner Künstler und Institutionen
       benötigen dazu aber mehr als einen starken Akteur, der ihre Interessen
       vertritt. Zu viel verlorenes Gelände muss zurückerobert werden. Zu viele
       Aufgaben sind zu bewältigen: der Neubau der Zentral- und Landesbibliothek,
       die Finanzierung der Freien Szene, die künftige Rolle der städtischen
       Bühnen und Museen, eine Weiterschreibung des Gedenkkonzepts.
       
       Dazu braucht es nicht nur einen, es braucht vielleicht viele
       Kultursenatoren.
       
       12 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rolf Lautenschläger
       
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