# taz.de -- Wirtschaft in Europa: Wachstum durch Flüchtlinge
       
       > Die EU-Konjunkturprognose ist positiv. Besonders Deutschland soll von
       > Migranten profitieren – wenn die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt.
       
 (IMG) Bild: Nicht Flüchtling, sondern Konjunkturprogramm?
       
       Brüssel taz | Die Eurokrise ist vorbei, und ausgerechnet die
       Flüchtlingskrise könnte das Wachstum in Europa ankurbeln: Nach Jahren der
       Depression malt die EU-Kommission die Wirtschaftsaussichten aktuell in
       Rosarot. Nicht einmal die Verlangsamung des Wachstums in China könne dem
       Aufschwung in Euroland etwas anhaben, heißt es in der Herbstprognose, die
       Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici am Donnerstag in Brüssel vorstellte.
       
       „Selbst eine stärkere Abkühlung der Konjunktur in China könnte die Erholung
       in Europa nicht gefährden“, heißt es in dem 204 Seiten dicken Wälzer.
       Insgesamt soll die Wirtschaft in der EU 2016 um 2,0 Prozent wachsen, 2017
       dann um 2,1 Prozent. Deutschland liegt mit je 1,9 Prozent etwas unter dem
       EU-Durchschnitt, Griechenland bleibt mit minus 1,3 Prozent im nächsten Jahr
       der größte Problemfall.
       
       Dass Hellas länger als erwartet in der Rezession verharrt, obwohl es sich
       mit seinen Gläubigern auf neue Kredite geeinigt hat, war Moscovici jedoch
       kaum der Rede wert. Auch dass Frankreich, sein Heimatland, in den nächsten
       Jahren wohl weiter das Defizitlimit von drei Prozent reißen wird, mochte
       Moscovici nicht kommentieren: Empfehlungen zur Finanzpolitik will er erst
       in einigen Tagen vorlegen
       
       Viel interessanter, so Moscovici, sei doch etwas ganz anderes: Die
       Schätzungen zu den wirtschaftspolitischen Folgen der Flüchtlingskrise.
       Diese stehen allerdings noch auf ziemlich wackeligen Füßen, da niemand
       genau weiß, wie viele Migranten noch nach Europa kommen werden. Die
       Kommission spricht denn auch von einer „Guesstimation“, was mehr mit Raten
       als mit Schätzen zu tun hat.
       
       ## Flüchtlinge wären keine Belastung, sondern Hilfe
       
       Spannend sind die Zahlen dennoch. Denn zum einen geht Brüssel davon aus,
       dass bis 2017 noch einmal drei Millionen Flüchtlinge den Weg nach Europa
       finden – das entspreche einem Bevölkerungszuwachs von 0,4 Prozent, heißt es
       in der Prognose. Zum anderen erwartet Moscovici eine „schwache, aber
       positive“ Wirkung auf das Wirtschaftswachstum in der EU. Die Flüchtlinge
       wären also keine Belastung, sondern eine Hilfe für die Ökonomie.
       
       Besonders positiv könnte das Ergebnis für Deutschland sein. Das größte
       EU-Land, das am meisten Flüchtlinge aufnimmt, könnte auch (wieder einmal)
       am meisten profitieren. Grund für den Optimismus ist, dass jeder neu
       Angekommene die Zahl an potenziellen Arbeitnehmern und damit an künftigen
       Steuerzahlern erhöht – auch wenn die Integration zunächst Kosten
       verursacht.
       
       In diesem Jahr könnte das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland, also die
       Summe aller hierzulande produzierten Waren und Dienstleistungen, demnach
       zusätzlich zwischen 0,1 und 0,2 Prozentpunkte wachsen, 2016 dann um 0,3 bis
       0,4 Prozentpunkte. Allerdings nimmt die Wirtschaftsleistung pro Einwohner
       wegen der höheren Bevölkerungszahl zunächst ab – in diesem Jahr um rund
       0,7, 2020 dann zwischen 0,3 und 0,6 Prozentpunkte.
       
       Die positiven Effekte seien auch nur dann zu erwarten, wenn die Integration
       in den Arbeitsmarkt gelingt, warnt Brüssel. Zudem könnten sie geringer
       ausfallen, wenn die Flüchtlinge vor allem niedrig qualifizierte Jobs
       annehmen sollten. Dies würde auch einen stärkeren „Abwärtsdruck auf die
       Löhne“ ausüben, heißt es in der Herbstprognose.
       
       Und überhaupt: Zu den Kosten, die die Registrierung, Unterbringung und
       Integration so vieler Menschen zunächst einmal verursachen wird, gibt es in
       dem Kommissionswälzer keine Angaben – die sollen dann in zehn Tagen folgen.
       
       Der Text enthält aber dennoch auch einige schlechte Nachrichten für
       Deutschland. So warnt die Brüsseler Behörde davor, dass sich der
       Abgasskandal bei Volkswagen negativ auf die Wirtschaft durchschlagen
       könnte. Die Unternehmen könnten dann weniger investieren, so die
       Befürchtung – dabei leide Deutschland ohnehin schon an einem zu geringen
       Kapitaleinsatz.
       
       Außerdem sei der Leistungsbilanz-Überschuss, also das Mehr an deutschen
       Exporten im Vergleich zu den Importen, weiterhin zu hoch. Erwartet werden
       8,7 Prozent der Wirtschaftsleistung, erlaubt sind maximal 6 Prozent.
       Sanktionen muss Berlin deshalb aber nicht fürchten.
       
       5 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eric Bonse
       
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