# taz.de -- Kommentar Merkels Flüchtlingspolitik: Das ist keine Heldentat
       
       > Die Kanzlerin hält das Grundgesetz ein und leistet Abschreckungspolitik.
       > Sie regelt die Dinge – nicht mehr und nicht weniger.
       
 (IMG) Bild: Angela Merkel hat gerade alle Hände voll damit zu tun, das C im Parteinamen gerade noch zu retten.
       
       Ja, es vermittelt ein gutes Gefühl, Angela Merkel zuzuhören. Das Grundrecht
       auf Asyl kenne keine Obergrenze, sagt die Kanzlerin, und dass daran nichts
       geändert werde. Punkt. Da mögen die CSU-Jungs noch so zetern. Angela
       Merkel, das ist deutlich, sitzt dieses Thema jetzt aus. Ihre eigenen Leute
       zwingen sie, das Grundgesetz vor ihnen zu schützen. Allein im kommenden
       Jahr stehen fünf Landtagswahlen an. Und in zwei Jahren wird ein neues
       Parlament, eine neue Regierung gewählt. Da hätten Merkels CDU-Leute gern
       wieder gute Ergebnisse. Auch deshalb verfallen sie in jene alten Muster,
       die ihnen bislang zur Macht verholfen haben: Den deutschen Bürger bei
       seinen Ängsten abholen. Und so schauen sie nach Berlin und fordern: „Mach
       das weg!“
       
       Aber das geht nicht weg. Täglich kommen Tausende Flüchtlinge, und ja, viele
       von ihnen werden bleiben dürfen. Das regelt das Grundgesetz so, nicht die
       tagespolitische Agenda. Angela Merkel hat gerade alle Hände voll damit zu
       tun, das C im Parteinamen gerade noch zu retten. Mehr ist es dann aber auch
       nicht. Sie tut, was ihres Amtes ist.
       
       Man kann wirklich nicht behaupten, die Kanzlerin wäre den Schwarzmalern
       nicht entgegengekommen. Mit dem verschärften Flüchtlingsgesetz, das noch in
       diesem Monat durch den Bundesrat gehen soll, hat ihre Große Koalition
       staatliche Repression in eine Rechtsform gegossen. Residenzpflicht,
       Sachleistungen, „sichere“ Herkunftsländer – das alles sind eins zu eins
       erfüllte Forderungen jener, die dieses Land seit Monaten am Limit sehen.
       
       Und doch lässt der Druck nicht nach. Horst Seehofer würde am liebsten Zäune
       à la Orban errichten. Sein Heimatminister Markus Söder möchte am
       Grundgesetz fingern. Selbst die Sozialdemokraten machen jetzt mit beim
       sozialstaatlichen Unterbietungswettbewerb. Vizekanzler Sigmar Gabriel sieht
       demnächst die „Belastungsgrenze“ erreicht. Warum eigentlich? Und wo genau
       liegt bitte diese Belastungsgrenze in einem Land, in dem Bus und Bahn
       fahren, der Geldverkehr reibungslos läuft und abends die Lokale voll sind
       mit Leuten, die ihr Dasein genießen?
       
       ## Der härteste von allen Hunden
       
       Jeder hat da seine Gründe. Horst Seehofer muss schauen, dass ihm der Söder
       nicht vor der Zeit über den Kopf wächst. Der Söder möchte sich schon mal
       als härtester von allen harten Hunden profilieren. Und Sigmar Gabriel
       probiert gerade aus, ob es sich in den allwöchentlichen Umfragen auszahlt,
       dem sozial schwachen Wähler nach dem Munde zu reden.
       
       Alle, die sich jetzt mit handlichen Sprüchen bei den rechtspopulistischen
       Zündlern anheischig machen, wissen genau, dass sie selbst keine andere
       Lösung anzubieten haben als Angela Merkel. Nämlich einfach zu machen. Es
       hilft ja nichts. Was soll mit den Flüchtlingen geschehen? Beim
       Einmillionenundersten tritt der Innenminister nach vorn, zieht einen
       Kreidestrich und sagt: Sorry, sie sprengen gerade unsere Belastungsgrenze,
       bitte kehren Sie unverzüglich in ihr ganz persönliches Kriegsgebiet zurück?
       
       ## Logistische Höchstanforderungen
       
       Globale Krisen halten sich nicht an innenpolitische Planspiele. Man stelle
       sich nur für eine Minute vor, Angela Merkel würde die Reißleine ziehen. Die
       Frau aus der ehemaligen DDR macht die Grenzen dicht – das Ansehen ihres
       Landes, das in den zurückliegenden Jahrzehnten gut an den Krisen der
       anderen verdient hat, wäre ruiniert. Eine kaltblütige Kanzlerin wäre noch
       weniger wählbar als eine pragmatische.
       
       Um so verwerflicher ist es, den Unmut jener Bürger, die sich auf mitunter
       absurde Weise beeinträchtigt fühlen vom Elend anderer Leute, auf eben diese
       zu kanalisieren. Ja, dieses Land erlebt gerade eine logistische
       Höchstanforderung. Und nein, es ist darauf nicht gut vorbereitet (unter
       anderem deshalb, weil die amtierende Regierung viel zu lange ignoriert hat,
       dass globale Konflikte keinen Umweg um Deutschland einlegen). Insofern ist
       das, was Angela Merkel gerade tut – nämlich das Grundgesetz einzuhalten und
       Abschreckungspolitik zu leisten – weiß Gott keine Heldentat. Es ist nur
       das, wofür die Leute sie schon dreimal gewählt haben: Sie soll die Dinge
       regeln. Aktuell dauert das mit dem Regeln etwas länger. Aber das wird. Es
       muss ja.
       
       6 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anja Maier
       
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