# taz.de -- Ein Orts-Name mit Imageproblem: Das andere Heidenau
       
       > Heidenau in Sachsen gilt als Sinnbild für Fremdenhass. Ein gleichnamiger
       > Ort in Niedersachsen will Flüchtlinge aufnehmen und es anders machen.
       
 (IMG) Bild: Blick vom Nachbargarten: In dieses frühere Seniorenheim sollen 41 Flüchtende einziehen.
       
       Ein Trecker knattert eine Seitenstraße entlang, in der Ferne röhrt ein
       tiefergelegter Wagen durchs Dorf. Ansonsten ist es angenehm ruhig hier im
       niedersächsischen Heidenau. Ein krasser Kontrast zu den Bildern aus dem
       anderen Heidenau in Sachsen.
       
       Kein Gebrüll, keine Straßenschlachten zwischen Rechtsextremen, Linken und
       der Polizei. Betrunkene Randalierer, wie sie Ende August nach einer von der
       NPD organisierten Demonstration vor einem Baumarkt gegen Geflüchtete
       hetzten, gibt es hier nicht. Nicht mal einen Baumarkt. Nur
       Feierabend-Handwerker, die an ihren Häusern herumwerkeln.
       
       Das Heidenau in der Nordheide, im Landkreis Harburg, ist ein Ort wie viele
       in dieser ländlichen Gegend Niedersachsens. Der Dorfkern besteht aus einer
       Tankstelle und einer Fleischerei. Zum Arbeiten pendeln viele ins knapp 50
       Kilometer entfernte Hamburg, Fahnen in den Gärten weisen die Bewohner als
       HSV- oder St. Pauli-Fans aus. Ausnahmslos jeder wird gegrüßt, auch
       Unbekannte. Und die niedrigen Gartenzäune sollen eher die Grundstücksgrenze
       markieren als ungebetene Besucher abhalten.
       
       Anfang Oktober bekommen die rund 2.200 Heidenauer neue Nachbarn. In das
       frühere Seniorenheim Birkenhof mit seinen 19 Zimmern sollen 41 geflüchtete
       Menschen einziehen – mit einem Hausleiter, einem Gemeinschaftsraum und
       Selbstversorgung. Das zweistöckige Backsteinhaus liegt in einer
       Seitenstraße, flankiert von Einfamilienhäusern. In Zeiten von Container-
       und Zeltunterkünften eine komfortable Einrichtung.
       
       ## Komisches Gefühl
       
       Der Garten von Heinz Eickhoff endet dort, wo das Grundstück des Birkenhofs
       beginnt. „Wenn ich daran denke, dass auf diesem engen Raum 41 Menschen
       untergebracht werden, bekomme ich ein komisches Gefühl im Magen“, sagt der
       62-Jährige. „Ich hoffe, dass sich die Menschen dort untereinander und auch
       mit uns vertragen.“
       
       Im Februar wurde bekannt, dass das niedersächsische Heidenau Flüchtlinge
       aufnehmen soll. Der Birkenhof war schnell als Unterkunft auserkoren worden
       und seit Juli lässt ein privater Investor das Gebäude nun renovieren.
       „Meine Frau ist im Gemeinderat tätig, von ihr wurde ich natürlich früh
       informiert“, sagt Eickhoff. Ihm sei von Anfang an klar gewesen, dass das
       Haus als Asylbewerberheim prädestiniert ist. „Es steht schon länger leer
       und es hat viele Zimmer.“
       
       Eickhoff ist ein sympathischer, kräftiger Mann und er macht sich viele
       Gedanken darüber, wie das Zusammenleben und die Verständigung mit den
       Flüchtlingen wohl laufen wird. „Unsere Nachbargemeinde Tostedt hat eine
       rechte Gruppe“, sagt er. „Ich hoffe, dass die Bevölkerung diese rechten
       Menschen nicht unterstützt und dass die Rechten uns in Ruhe mit den
       Flüchtlingen leben lassen.“
       
       Seit den Ausschreitungen im anderen Heidenau macht er sich Sorgen. „Ich
       habe Verwandte in Sachsen, die leicht mit Rechten sympathisieren“, sagt er.
       Seine Frau Michaela und er reden mit der Familie dort, diskutieren über
       Toleranz für Flüchtlinge, versuchen, „Überzeugungsarbeit zu leisten“, wie
       Eickhoff es nennt.
       
       Auch direkt im sächsischen Heidenau hat er Bekannte, eine Handball-Freundin
       aus alten Zeiten, mit der er viel über die Situation dort gesprochen hat.
       Noch im September will er sie besuchen. „Die tickt genau so wie ich und
       engagiert sich dort. Nach den Übergriffen auf die Flüchtlinge hat sie
       sofort gesagt: ‚Ich hoffe, ihr kommt trotzdem.‘“
       
       Nicht alle sind mit der neuen Unterkunft im Heidenauer Birkenhof
       einverstanden. Andre M. zum Beispiel. Er wohnt mit seiner Familie direkt
       gegenüber auf der anderen Straßenseite. An seinem Fahnenmast hängt eine
       Deutschlandfahne. Der Garten ist gepflegt, vor einem eingezäunten Pool
       dreht ein Rasenmäher-Roboter seine Runden. Im Mai erst hat der
       Mittdreißiger neuen Rasen gesät. Im August kam die Überwachungskamera an
       die Hauswand.
       
       Bei Facebook verbreitet er neben obskuren Verschwörungstheorien und
       chauvinistischen Bildern Videos, die Stimmung gegen Ausländer machen. Im
       August postete er etwa eines von Lutz Bachmann, dem Kopf der
       Pegida-Bewegung. In M.s Freundesliste taucht eine bekannte Rechtsextreme
       aus dem benachbarten Tostedt auf. Über seine neuen Nachbarn in spe reden
       will er nicht, auf Anfragen der taz reagiert er nicht.
       
       Sein Verhältnis zu M. sei gut, „nachbarschaftlich“, sagt Eickhoff. Sie
       feiern auch mal ein Fest zusammen. Eickhoff sagt, M. gehöre nicht zur
       rechten Szene. „Er befürchtet nur alles Mögliche und hat Angst um sein
       Eigentum. Ich verstehe das nicht“, sagt er. „Vielleicht hat er sich auch
       noch nicht so viel Hintergrund zu dem Thema angelesen.“
       
       Anfang September gibt es im Gasthaus Heidenauer Hof einen ersten Infoabend
       zur geplanten Flüchtlingsunterkunft. Einige Tage vorher kündigt M. bei
       Facebook an, sich die „Heuchelei“ bei der Veranstaltung anhören zu wollen.
       Er fühle sich vor vollendete Tatsachen gestellt und habe sich extra für
       diesen Abend freigenommen.
       
       Etwa 200 Menschen kommen dann zum Infoabend. Jeder Platz im holzgetäfelten
       Saal des Gasthauses ist belegt. Die Bedienungen nehmen Bestellungen auf,
       Bier und Softdrinks. Auf den Tischen sind rote und weiße Blumen drapiert.
       Pokale und Bilder an der Wand zeugen von sportlichen Erfolgen. M. und seine
       Frau sitzen hinten, die Eickhoffs in der Mitte.
       
       ## Kleiner, feiner Unterschied
       
       Zur Begrüßung stellt Bürgermeister Reinhard Riepshoff (Neue Liberale) erst
       mal klar, dass es sich hier um Heidenau in Niedersachsen handelt, nicht um
       das Heidenau in Sachsen. Lachen im Saal. Dieser Unterschied war nicht jedem
       klar, jedenfalls nicht jedem Journalisten „Ich habe Mails und Anrufe
       bekommen und sollte auch ein Interview zu der Situation im Heidenauer
       Baumarkt geben“, hatte Riepshoff schon vor Beginn der Veranstaltung gesagt.
       „Da war mir klar, dass wir nicht gemeint sind.“
       
       Vertreter des Landkreises Harburg und der Samtgemeinde Tostedt stellen
       Zahlen und das Konzept für die Unterkunft vor. Riepshoff wirbt für einen
       ehrenamtlichen Helferkreis, der „Hand-in-Hand Flüchtlingshilfe Heidenau“
       heißt und damit an das Wappen der Gemeinde angelehnt ist, auf dem ein Schaf
       und darunter zwei sich schüttelnde Hände abgebildet sind. „Das ist ein
       gutes Symbol“, sagt Riepshoff. „Wir reichen denen, die flüchten müssen,
       weil es in ihren Ländern Krieg gibt, unsere Hand und nehmen sie bei uns
       auf.“
       
       Der Helferkreis soll die Arbeit des runden Tisches im Dorf unterstützen,
       den Geflüchteten bei Behördengängen und Arztbesuchen helfen. Eine Gruppe
       Frauen nickt zustimmend, einige ältere Herren gucken ernst, andere
       tuscheln. Vor allem Sprachkurse werden benötigt, die zwei angebotenen vom
       Landkreis seien viel zu wenig., sagt Riepshoff.
       
       „Das macht wirklich Spaß. Man baut auch eine freundschaftliche Verbindung
       auf und nimmt eine Menge mit“, berichtet eine Helferin aus Tostedt, die
       zehn jungen Männern aus dem Sudan und Eritrea einmal in der Woche
       Deutschunterricht gibt.
       
       Als der offizielle Teil vorbei ist, meldet sich ein junger Mann zu Wort,
       will wissen, warum die Asylpolitik die Arbeitsbedingungen erschwere. Ein
       älterer Mann fragt, wie hoch die finanzielle Belastung für die Gemeinde
       denn sei. Die Befürchtungen, dass überwiegend junge Männer kommen, die bei
       zu viel Zeit auf dumme Gedanken kommen oder „rumlungern“, wie einer sagt,
       ist bei einigen groß.
       
       Bei der Frage nach zu erwartenden Krankheiten geht ein Raunen durch den
       Saal. Diese Frage geht den Heidenauern dann wohl doch zu weit. Riepshoffs
       Appell hingegen, sich bewusst gegen Rechte zu positionieren, wird
       beklatscht. „Es bleibt unsere ständige Aufgabe, sich für die Demokratie,
       wie sie sich die Heidenauer vorstellen, stark zu machen.“ Applaus.
       
       Viele erkundigen sich danach, was gebraucht wird, wie die medizinische
       Versorgung läuft und wo Kleidung abgegeben werden kann. Fahrräder würden
       vor allem benötigt, sagt eine Frau vom runden Tisch. Denn neben der
       Tankstelle, einem Bäcker und der Fleischerei gibt es kaum
       Einkaufsmöglichkeiten in Heidenau. Der nächste Discounter ist zehn
       Kilometer entfernt, der Bus fährt gerade neunmal am Tag.
       
       Am Ende der Veranstaltung stehen 45 neue Namen auf der Liste für den
       Unterstützerkreis. Darunter Heinz und Michaela Eickhoff. Andre M. trägt
       sich nicht in die Liste ein. Seine Frau und er haben die Veranstaltung als
       erste verlassen.
       
       Nach zwei intensiven Stunden steht auch Heinz Eickhoff vor dem Heidenauer
       Hof. „Es gab kaum was Negatives heute, im Gegenteil, sehr positiv“, sagt
       er. Ob das eine bewusste Abgrenzung zu dem anderen Heidenau war?
       
       „Eine bewusste Abgrenzung nicht“, sagt er. „Aber Heidenau in Sachsen kann
       der Auslöser dafür gewesen sein, dass die Leute hier sagen: Wir müssen hier
       ganz dicht zusammenrücken und es anders machen.“ Ohne das andere Heidenau
       wären vielleicht gar nicht so viele hergekommen.
       
       20 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dennis Klammer
       
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