# taz.de -- Die Kühne-Story: Wie ein Traditions-Unternehmen Jubiläum feiert: Kühne&Sohn
       
       > Kühne+Nagel pflegt einen äußerst eigenwilligen Umgang mit seiner
       > Geschichte: Das liegt daran, dass die zugleich eine gut gehütete
       > Familiengeschichte ist.
       
 (IMG) Bild: Spricht lieber über den HSV als die NS-Zeit: Klaus-Michael Kühne
       
       Bremen taz | Bei Kühne+Nagel gehen die Lichter aus. Um Punkt 18 Uhr, jeden
       Abend, weltweit. Natürlich der jeweiligen Zeitzone angepasst, schließlich
       sind die 1.000 Betriebsstätten der weltweit drittgrößten Spedition auf
       mehrere Kontinente verteilt.
       
       Es ist nicht so, dass Klaus-Michael Kühne in seinem Schweizer Hauptquartier
       jeden Abend persönlich auf den Stromspar-Knopf drückt. Aber er täte es,
       wenn dafür keine Automatik existierte – sogar noch in seiner formal
       entrückten Rolle als Ehrenpräsident des Verwaltungsrates.
       
       Der Mehrheits-Aktionär will auch als 78-Jähriger bis ins Detail
       durchregieren. Sein Management malträtiert er mit täglichen E-Mails, obwohl
       er aus dem operativen Geschäft nominell längst raus ist. Doch in der
       Prä-Mail-Epoche waren die Führungskräfte auch nicht besser dran: Sie
       mussten Postboten spielen und jede Dienstreise, jeden Niederlassungs-Besuch
       zum Portosparen nutzen.
       
       Den normalen Mitarbeitern verbot Kühne, K+N-Kalender im Büro aufzuhängen:
       Dafür hat man doch die entsprechenden Werbegeschenke der Geschäftspartner –
       selbst, wenn die eigenen Produkte noch im Sommer im Lager liegen.
       
       Doch niemand kann dem Chef nachsagen, dass er das Sparen nur den
       Angestellten überließe. Legendär, zumindest firmenintern, ist die
       Geschichte von der Neu-Eröffnung einer K+N-Niederlassung im Schwäbischen:
       Kühne ließ sich anschließend zwar mit Gattin im Firmenwagen fort
       kutschieren – aber ausdrücklich nur bis zu nächst gelegenen
       S-Bahnhaltestelle.
       
       Das skurril Dagobert Duck-hafte ist die eine Seite von Kühnes Chef-Gebaren.
       Die andere ist der Informations-Hunger, die Bestimmungs-Wut. Für jemanden
       wie ihn ist es sehr schwierig, den Daumen von der Darstellung der eigenen
       Geschichte zu nehmen.
       
       Der Firmen-Geschichte, die während des „Dritten Reichs“ auch die des Vaters
       und des Onkels war: Alfred und Werner Kühne organisierten die
       flächendeckende Ausplünderung der deportierten Juden in Westeuropa.
       
       Bis vor Kurzem schaffte es Kühne, diese Profiteurs-Rolle effektiv unterm
       Tisch zu halten. Forschern wird der Zugang zum Firmen-Archiv verwehrt: Es
       sei ohnehin alles verbrannt. Auch beim früheren Hamburgischen
       Welt-Wirtschafts-Archiv heißt es in Bezug auf Kühne+Nagel: „Dokumentation
       vor 1950 nicht auffindbar.“
       
       Der taz gegenüber erklärte das Unternehmen, „der Rolle von Kühne+Nagel in
       dieser Zeitperiode“ mangele es „an Relevanz“. Das war im Januar, als der
       Konzern mit großem Aufwand sein aktuelles Jubiläumsjahr auf dem Bremer
       Marktplatz eröffnete.
       
       Assistiert vom Bremer Bürgermeister beschwor Kühne den Beginn der
       Firmen-Entwicklung vor 125 Jahren, „aus kleinsten Anfängen heraus“. In
       Info-Trucks, die seither weltweit auf Tour sind, laufen historische Filme
       mit pittoresken Sackkarren und nostalgischen LKW-Karossen: K+N als
       schattenloses Traditions-Unternehmen. Eine sauber gewaschene Kühne-Story
       statt ernst zu nehmendem History-Marketing, wie es andere große Unternehmen
       betreiben.
       
       Seither ist das Jubiläumsjahr allerdings anders gelaufen als von der
       Konzern-Zentrale geplant. Während der pompöse Bremer Auftakt noch auf
       positive Medienresonanz stieß, fanden die von der taz und dann auch dem
       Bayerischen Rundfunk recherchierten historischen Fakten nach und nach
       Widerhall.
       
       Mittlerweile haben fast alle große Medien bis hin zu den Tagesthemen über
       die großen Deportationsgewinne der Spedition berichtet, die sich
       eindrucksvoll in den persönlichen Einnahme-Bilanzen von Alfred Kühne
       spiegeln, dem Vater des heutigen Mehrheitseigners.
       
       Frank Bajohr, Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien am Münchner
       Institut für Zeitgeschichte, attestiert der damaligen Tätigkeit von K+N
       eine „relative Nähe zum Massenmord“. Die Spedition habe „eine Form von
       Leichenfledderei“ betrieben
       
       Anfang Juli, zur groß inszenierten Halbzeit des Jubiläumsjahres, waren die
       dunklen Seiten der Firmengeschichte nicht länger zu verstecken. Kühne
       musste sich vor Hunderten von geladenen Gästen an den jüdischen Teilhaber
       seines Vaters erinnern lassen: Beim Festakt in der von Kühne gesponserten
       Elbphilharmonie erwähnte Bürgermeister Olaf Scholz „die moralische
       Pflicht“, zu den „Verstrickungen im Nationalsozialismus Stellung zu
       beziehen“ – ein gewaltiger Unterschied zur kritikfreien Bremer Szenerie
       sechs Monate zuvor.
       
       Adolf Maass, der jüdische Teilhaber, hatte seit 1902 das Hamburger Geschäft
       aufgebaut und war später – bis 1933 – sogar größter Einzeleigner der
       Gesamtfirma. Zusammen mit seiner Frau wurde er, vermutlich 1944, in
       Auschwitz ermordet. Im selben Jahr bekamen seine früheren Kompagnons, die
       Brüder Kühne, zum wiederholten Mal ein Gau-Diplom als „NS-Musterbetrieb“
       überreicht.
       
       ## Am „Herrengraben“ war die Welt in Ordnung
       
       So tief in die „Details“ stieg Scholz freilich nicht ein. Schließlich ist
       ihm auch wichtig, Kühne als Sponsor von HSV und Elbphilharmonie nicht zu
       vergrätzen. Unmittelbar vor der großen Jubiläums-Sause an der Elbe durfte
       sich Kühne daher ins Goldene Buch der Stadt eintragen und wurde zum
       mehrgängigen „Senatsfrühstück“ geladen. Aber dass sich Kühne, den Scholz
       bei anderer Gelegenheit gern als „echten Hamburger Unternehmer mit
       hanseatischer Gesinnung“ bezeichnet, bei seiner eigenen Party kritische
       historische Anmerkungen anhören muss – das ist etwas sehr Neues.
       
       Bisher hatte Hamburg immer gespurt, wenn der Unternehmer etwas wollte: Zum
       Beispiel eine rasche Straßenumbenennung, um die Büroadresse „Düsternstraße“
       zu vermeiden. Flugs wurde die Straße zur Verlängerung des „Herrengraben“
       gemacht. So war die Welt für Kühne in Ordnung.
       
       Nun aber wankt Kühnes Welt selbst dort ein wenig, wo sie aus seiner Sicht –
       nicht zuletzt in steuerlicher Hinsicht – bislang sehr in Ordnung war: in
       der Schweiz, dem Sitz der Konzernzentrale.
       
       Erst zitierte die Aargauer Zeitung die „linksgerichtete Tageszeitung,taz'“,
       dann zog Bilanz, das führende Wirtschaftsmagazin der Schweiz, mit dem Titel
       „Kühne+Nagel: Von der Vergangenheit eingeholt“ nach. Kühne fremdelt auch
       ohne solche „Anwürfe“ mit seiner Wahlheimat. Er ist der reichste in der
       Schweiz lebende Deutsche. Wirkliche Freunde habe er dort keine, bekannte er
       kürzlich.
       
       ## Zurück in die Geburtsstadt Hamburg
       
       Umso mehr investiert er seit ein paar Jahren, um sich in Hamburg welche zu
       machen: Im Alter zieht es den Patriarchen zurück in seine Geburtsstadt.
       Sein Haus in Schindellegi, hoch überm Zürichsee, will Kühne freilich nicht
       aufgeben, was einige andere auch so halten.
       
       Das landschaftlich idyllische Dorf im steuerlich besonders idyllischen
       Kanton Schwyz beherbergt nicht nur Kühnes Haus und Headquarter, sondern
       beispielsweise auch die „Pelikan“-Zentrale.
       
       1969 ist Kühne hierher gezogen. Dafür, sagt er, seien neben Steuervorteilen
       vor allem die politischen Erfolge von Willy Brandt verantwortlich gewesen:
       „Wir waren skeptisch, wie sich die Dinge unter einer von der SPD geführten
       Regierung entwickeln würden.“
       
       Dieses „wir“ ist wichtig: Sein Vater Alfred, seit 1932 Geschäftsführer von
       Kühne+Nagel, zog im Hintergrund noch immer die Strippen, obwohl er seinen
       Sohn mit 29 Jahren bereits zum Vorstands-Vorsitzenden gemacht hatte. Für
       Kühne senior war der Emigrant Brandt im Kanzleramt rotes Tuch und gefühlte
       Gefahr zugleich – nicht nur wegen der befürchteten Ausdehnung der
       betrieblichen Mitbestimmung.
       
       Kühnes Steuerflucht war und ist keineswegs illegal. Aber qualifiziert sie
       ihn zu einem Eintrag ins Goldene Buch der ehemaligen Heimatstadt? Anders
       gefragt: Wie wahrscheinlich ist es, dass sich der heutige Junior-Chef Jan
       Meyer von der gleichnamigen Kreuzschiff-Werft in ein paar Jahren ebenfalls
       ins Goldene Buch der Stadt Papenburg (falls die eins hat) eintragen darf?
       
       Es kommt darauf an, wie viele Millionen bis dahin in Gestalt von Sponsoring
       aus Luxemburg, dem neuen Verwaltungssitz der Meyer-Werft, zurück geflossen
       sein werden, bejubelt als Spende eines großherzigen Sohnes der Stadt. Dass
       das selbe Geld, und sehr viel mehr, ohne Firmenverlegung in Gestalt
       regulärer Steuern zur Verfügung stünde, unabhängig von den wechselnden
       Launen und Vorlieben des Sponsors, gerät dabei in Vergessenheit – wie es
       jetzt bei Kühne der Fall ist.
       
       ## Ärgerliche Siegerpose
       
       Ähnliche Widersprüche gibt es bei der so genannten Rettung der Hamburger
       Traditions-Reederei Hapag-Lloyd vor chinesischen Investoren, für die sich
       Kühne 2008 feiern ließ. TUI hatte die Reederei los werden wollen. Kühne
       liebt das Foto, das ihn nach erfolgreicher Übernahme mit hoch gestreckten
       Armen in Sieger-Pose zeigt, während die Hapag-Lloyd-Mitarbeiter an seinem
       Büro vorbei marschieren.
       
       Dieses Bild sei „ein bisschen in die Geschichte eingegangen“, sagt Kühne
       selbstbewusst. „Ich ärgere mich noch heute, wenn ich an diesen Tag denke“,
       betont hingegen Thomas Sorg, damals Betriebsratsvorsitzender von
       Kühne+Nagel Deutschland. Kühne habe sich für „die Rettung,reinrassiger'
       deutscher Arbeitsplätze“ bejubeln lassen – die Rechte seiner schon
       vorhandenen Angestellten aber immer wieder missachtet.
       
       In der Tat waren 15 Jahre prozessualer Auseinandersetzung notwendig, um
       beispielsweise die Bildung eines europäischen Betriebsrats durchzusetzen.
       Kühne hatte sich stur auf den Standpunkt gestellt, als Schweizer
       Unternehmen müsse ein europäischer Betriebsrat nicht geduldet werden.
       
       Schließlich finanzierte sogar die EU ein Modell-Projekt für die
       K+N-Betriebsräte, um das Anliegen gegen den Widerstand des Patriarchen
       voran zu bringen. Aber: „Selbst nach einem eindeutigen Urteil des
       Europäischen Gerichtshofes konnte der Euro-Betriebsrat noch nicht
       konstituiert werden“, sagt Michael Kalis, bis vor kurzem dessen
       Vorsitzender.
       
       Weitere fünf Jahre musste gegen die K+N-Geschäftsleitungen in Europa auf
       Herausgabe der gesetzlich notwendigen Informationen geklagt werden.
       
       ## „Reinrassig deutsch“
       
       Die „reinrassigen“ Arbeitsplätze beziehen sich auf Kühnes Bemerkung, mit
       der er eine Beteiligung der dänischen Maersk-Reederei am
       „Rettungs-Konsortium“ für Hapag-Lloyd kategorisch ausschloss: „Wir wollen
       uns möglichst reinrassig deutsch halten“, sagte er bei einer
       Podiumsdiskussion der „Deutschen Nationalstiftung“ in Berlin.
       
       Dieter Graumann vom Zentralrat der Juden nannte Kühnes Vokabel „skandalös“.
       Doch dessen spontaner Abwehr-Reflex gegen Maersk klingt nicht nur
       geschichtsvergessen, sie hat wiederum einen virulenten familiären
       Hintergrund: Die Maersks sind eine konkurrierende Unternehmer-Dynastie.
       
       Auch bei den Maerks gibt es den tüchtigen Großvater, der klein begann – nur
       sind dessen Kinder und Enkel eben noch erfolgreicher als die Kühnes. Maersk
       ist weltweit die Nummer eins in der Container-Schifffahrt.
       
       Der Einstieg bei Hapag-Lloyd ist Kühnes zweiter Versuch, als Reeder
       erfolgreich zu sein. Denn wer kein Reeder ist, ist in Hamburg nicht
       wirklich ganz oben. Kühnes erster Versuch scheiterte katastrophal: Er
       kaufte en gros Schiffe, die er 1981 mit gewaltigen Verlusten wieder
       abstoßen musste – und das unter den Augen seines stockstrengen Vaters, der
       im selben Jahr starb.
       
       Alfred Kühne hinterließ ihm zwei persönliche Berater, die bis in die 90er
       Jahre hinein, mittlerweile hoch betagt, im Betrieb präsent waren. Auch
       Kühnes Mutter Mercedes gehörte noch lange dem Verwaltungsrat an.
       
       Kein Zweifel: Kühne, selbst kinderlos, ist ein zutiefst familiär geprägter
       Mensch. In seinem Rücken steht die Figur des übermächtigen Vaters, an den
       sich frühere Mitarbeiter als eines äußerst rigiden „Beriebsfürsten“
       erinnern. Der gönnte dem einzigen Sohn noch nicht mal eine Studienzeit,
       sondern beschlagnahmte ihn sehr jung für die Firma.
       
       Er sei „zu früh in Verantwortung gekommen“, bedauert Kühne selbst im
       Rückblick. Was freilich nicht bedeutete, dass „Klau-Mi“, wie der Jung-Chef
       von den Mitarbeitern genannt wurde, Entscheidungsfreiheit gehabt hätte.
       
       Am väterlichen Denkmal darf trotzdem keiner kratzen. Auch nicht an dem von
       Großvater August Kühne, der sich im völkisch-kolonialistischen
       „Alldeutschen Verband“ engagierte. Und weil Familien- und Firmengeschichte
       im Fall der Kühnes kaum zu trennen sind, gilt das eben auch für letztere:
       Sie ist sakrosankt.
       
       Kühnes Management hingegen hat nun erkannt, dass die Strategie des stupiden
       Leugnens nicht länger zu halten ist. Stattdessen gibt es seit Kurzem
       Teil-Eingeständnisse. Im März veröffentlichte K+N eine mit „Bekenntnis zu
       seiner Geschichte“ betitelte Pressemitteilung, in der die Firma „sehr
       bedauert“, dass sie ihre „Tätigkeit zum Teil im Auftrag des Nazi-Regimes
       ausgeübt hat“. „Ein solcher Zusammenhang“ war bis dahin als „unklar“
       behauptet worden.
       
       Allerdings, so heißt es im „Bekenntnis“ weiter, seien „die seinerzeitigen
       Verhältnisse“ zu berücksichtigen: Kühne+Nagel habe „in dunklen und
       schwierigen Zeiten seine Existenz behaupten“ müssen. Schon im April
       relativierte die Firmensprecherin abermals: Es sei „nicht bekannt, dass
       sich die Kühne-Brüder mit den Machthabern arrangiert haben.“
       
       Kühne seinerseits verhindert weiterhin, was er kann. Noch im Mai fertigte
       er einen kritischen Aktionär, der bei der Generalversammlung nach der
       NS-Geschichte der Firma fragen wollte, mit der Bemerkung ab: „Wen geht es
       etwas an, was mein Onkel damals gemacht hat?!“ Auch die Ausstrahlung einer
       Dokumentation des Bayerischen Rundfunks versuchte er zu unterbinden: Um
       „nicht alte Wunden wieder aufzureißen“, solle der Sender auf eine
       Ausstrahlung verzichten.
       
       ## Aus „Belasteten“ wurden „Mitläufer“
       
       Die Kollegen vom Bayerischen Rundfunk hatten recherchiert, dass es einen
       sehr speziellen Grund für die rasche Rehabilitierung der Kühne-Brüder nach
       1945 gab: Obwohl Alfred und Werner Kühne Parteibücher hatten und von
       eigenen Mitarbeitern als „große Nazis“ qualifiziert wurden, setzte das
       US-Militär eine nachträgliche Abmilderung des Spruchkammer-Urteils durch.
       Aus „Belasteten“ wurden „Mitläufer“ – was notwendig war, um sie die Firma
       weiter zu führen zu lassen.
       
       Denn die Firma wurde wegen ihrer internationalen Verästelung für
       Geheimdienst-Zwecke gebraucht. Insbesondere die Bonner
       Kühne+Nagel-Niederlassung, aber auch Bremen und München dienten demnach als
       logistische Zentren der „Organisation Gehlen“ – jenes Sammelbeckens des
       versprengten NS-Spionage-Fachpersonals inklusive ehemaliger Gestapoleute,
       aus der der Bundesnachrichtendienst entstand. Insofern war die
       Kühne-Rehabilitierung eine Frucht der Staatsraison – was die Firma auf
       Nachfrage allerdings als „abwegige Unterstellung“ bezeichnet.
       
       Zuletzt war die Neuauflage der Firmenchronik zum 125-jährigen Jubiläum ein
       Streifall zwischen Patriarch und Management. Vor dem Hintergrund des nicht
       mehr zu übersehenden kritischen Medienechos weigerte sich der beauftragte
       Autor, die NS-Zeit – wie aus den früheren Firmen-Publikationen gewohnt –
       einfach auszublenden.
       
       Auch die „Key Dates“ auf der aktuellen internationalen Firmen-Homepage
       lassen zwischen 1932 – dem Tod von Firmengründer August Kühne – und 1946
       ein auffälliges Loch.
       
       Nun ist die neue Chronik als Festschrift offiziell erschienen – aber
       niemand bekommt sie zu sehen. Entsprechende Anfragen ignoriert das
       Unternehmen, die Auflage soll allerdings auch so gering sein, dass es nicht
       einmal für alle Mitglieder der Geschäftsführung langt.
       
       Kühne will offenbar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Er spart – und
       hält den Daumen weiterhin auf der Geschichte. Die
       Unternehmens-Kommunikation kann ebenso unverdrossen wie unkontrollierbar
       behaupten, nun sei die Geschichte doch selbstkritisch aufbereitet – und
       Hamburgs Bürgermeister spendet für diese „Bereitschaft“ prinzipielles hohes
       Lob.
       
       ## Keine Enladung für die Maass-Enkel
       
       Was hielte der Hamburger Senat im Jahr des Firmen-Jubiläums von einer
       kleinen Ehrung auch für Adolf Maass, der den Hamburger Firmensitz ja
       schließlich aufgebaut hat? „Posthume Ehrungen gibt es grundsätzlich nicht“,
       sagt der Regierungs-Sprecher. Aber auch die in Kanada lebenden Maass-Enkel
       wurden von keiner Seite eingeladen.
       
       Der Fall Kühne+Nagel ist ein erratisch in die Gegenwart ragendes Beispiel
       dafür, wie komplex und inkonsistent der Umgang mit NS-Vergangenheiten noch
       immer sein kann. Andere Unternehmen ähnlicher Größenordnung haben längst
       ganze Historiker-Kommissionen mit einschlägigen Studien beauftragt. Wie
       geht die Gesellschaft mit solch einer Situation um?
       
       Die Medien berichten kritisch, die Grünen halten vor dem Bremer Firmensitz
       von K+N eine Mahnwache ab, Autonome bewerfen das Gebäude mit Farbbeuteln
       und Steinen. Aber die überwältigende Mehrheit der Online-Kommentare unter
       den kritischen Medienberichten erklärt die historische Thematik für
       komplett irrelevant.
       
       Auch Kühne selbst fragt sich öffentlich – nachdem er sich diesem Thema nun
       immerhin stellen muss – was er mit der „Zeit zwischen 1933 und 1945, die
       ich selbst faktisch nicht erlebt habe“, zu tun hat. Im übrigen habe seine
       Vater allen Juden stets geraten, schnell auszuwandern. Und Maass habe er
       für „besonders tüchtig“ gehalten.
       
       Auch bei Kühne+Nagel darf übrigens nach 18 Uhr gearbeitet werden, trotz des
       Stromverbrauchs. Es ist sogar ausdrücklich erwünscht. Nur muss man sich das
       Licht selbst wieder anschalten – so, wie man sich seiner Geschichte eben
       selbst stellen muss.
       
       Der Chef hingegen lässt die Lichter lieber aus.
       
       Mehr über den Konzern Kühne + Nagel, dessen NS-Vergangenheit und
       Verbindungen zum HSV finden Sie in Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und
       Niedersachsen in der gedruckten Ausgabe der taz oder am [1][eKiosk].
       
       25 Jul 2015
       
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       Die taz will auf vier Quadratmetern ein Mahnmal für die
       „Arisierungs“-Geschäfte der Firma Kühne und Nagel errichten – mit
       überwältigender Resonanz.
       
 (DIR) Mahnmal gegen „Arisierungs“-Geschäfte: Crowdfunding gegen das Vergessen
       
       Der Logistikkonzern Kühne und Nagel will einen pompösen Neubau. Wir wollen
       ein Denkmal, um an die NS-Geschäfte der Firma zu erinnern.
       
 (DIR) Kühne und Nagels NS-Vergangenheit: „Nähe zum Massenmord“
       
       Der weltweit drittgrößte Logistikkonzern will seine Rolle in der NS-Zeit
       nicht wirklich klären. Dabei gibt es einiges aufzuarbeiten.
       
 (DIR) Neubau mit Nazi-Vergangenheit: „Kühne und Nagel oder nichts“
       
       Der baupolitische Sprecher der Grünen, Robert Bücking, hält den Neubau von
       Kühne+Nagel an der Weser für alternativlos. Allerdings sieht er einige
       offene Fragen
       
 (DIR) Börsengang von Hapag-Lloyd: Kurssturz
       
       Die Hamburger Staatsreederei Hapag-Lloyd ist nur noch halb so viel wert wie
       gedacht. Das schmälert die Erlöse und beschert der Hansestadt hohe
       Verluste.
       
 (DIR) Von Grundstücken und Vergangenheiten: Ein Schnäppchen für den Profiteur
       
       Für nicht mal eine Million Euro will Bremen 900 Quadratmeter Weserufer an
       Kühne+Nagel verkaufen: Den weltweit drittgrößten Logistik-Konzern, der
       seine NS-Profite leugnet.
       
 (DIR) Verhandlungen über neues Stammhaus: Ein Bau-Denkmal für Kühne
       
       Der groß dimensionierte Neubau von Kühne+Nagel an der Kaisenbrücke stößt
       auf Kritik – nicht nur wegen dessen unaufgearbeiteter NS-Vergangenheit
       
 (DIR) Münchner Pinakothek der Moderne: Kamindekoration für den Führer
       
       Wie politisch sind nackte Frauen? „GegenKunst“ in der Münchner Pinakothek
       der Moderne konfrontiert Nazikunst mit „entarteter“ Malerei.
       
 (DIR) Zweifelhafte Würdigung: „Moralische Pflicht verstanden“
       
       Großspediteur Kühne lässt sich von Hamburgs SPD-Bürgermeister das Goldene
       Buch vorlegen – obwohl er Deutschland einst der SPD wegen verließ.
       
 (DIR) NS-Erbe einer Transportfirma: Lasten der Vergangenheit
       
       Kühne + Nagel transportierte die Möbel deportierter Juden. Der
       Logistikkonzern ließ dieses Kapitel aus der NS-Zeit bisher im Dunkeln.
       
 (DIR) Kühne+Nagel mauert: Verwertung ohne „Relevanz“
       
       Kühne+Nagel profitierte im „Dritten Reich“ nicht nur von der
       Judenverfolgung, es „arisierte“ sich auch selbst. Von alldem will das
       Unternehmen nach wie vor nichts wissen – sondern hält einen
       „kulturpolitischen Zusammenhang“ für möglich.
       
 (DIR) Jubel-Jubiläum statt ehrlicher Rückschau: Der Lohn der Spedition
       
       Klaus-Michael Kühne ist als „Retter“ von HSV und Hapag-Lloyd präsent und
       lässt sich als Sponsor der Elbphilharmonie feiern. Doch seine Firma wurde
       auch durch Arisierungsgewinne groß.
       
 (DIR) Plünderung jüdischen Eigentums: Billigende Inkaufnahme
       
       "Wie Deutsche ihre jüdischen Mitbürger verwerteten": Die Enteignung der
       Juden ist gut dokumentiert. Wolfgang Dreßen hat die Akten gesichtet.