# taz.de -- Plünderung jüdischen Eigentums: Billigende Inkaufnahme
       
       > "Wie Deutsche ihre jüdischen Mitbürger verwerteten": Die Enteignung der
       > Juden ist gut dokumentiert. Wolfgang Dreßen hat die Akten gesichtet.
       
 (IMG) Bild: Vertiefte sich in die "Arisierungsakten": Politikwissenschaftler Wolfgang Dreßen.
       
       Es gibt zweierlei Schuld: Die, planmäßig ein Verbrechen begangen zu haben,
       und die, eines zu ermöglichen und zuzulassen. Alfred Döblin 
       
       Dr. Wolfgang Dreßen, geb. 1942 in Düsseldorf, Politikwissenschaftler,
       Historiker, Ausstellungsmacher. Er wuchs in Krefeld auf - sein Vater war
       Polizeirat, seine Mutter Dienstmädchen und später Hausfrau. Er besuchte das
       Gymnasium am Moltkeplatz, studierte in Tübingen und Berlin, gehörte zum
       undogmatischen Flügel des SDS, war von 1968 an Lektor und Autor im
       Wagenbach Verlag (verblieb nach der Spaltung 1972 als einziger Lektor ).
       Dort konzipierte und betreute er die Rotbücher und gab, bis er 1977
       gekündigt wurde, die Buchreihe Sozialistisches Jahrbuch Politik heraus.
       Daneben arbeitete er bei der anarchistisch-libertären Zeitung Agit 883. Ab
       1977 jobbte er als Taxifahrer und promovierte 1982 bei Jacob Taubes in
       Berlin. Danach war er beim Museumspädagogischen Dienst tätig. 1994 bis 2008
       leitete er die Arbeitsstelle Neonazismus an der Fachhochschule Düsseldorf
       und organisierte verschiedene Ausstellungen, u. a. zur Enteignung der Juden
       ab 1933 in Deutschland. 1998 erschien dazu sein Buch "Aktion 3. Deutsche
       verwerten ihre jüdischen Nachbarn" im Aufbau-Verlag. Dreßen ist u. a.
       Mitglied im Beirat des Internetprojekts "Informationen zur deutschen
       Außenpolitik" und des wissenschaftlichen Beirats der Bildungsgemeinschaft
       Soziales, Arbeit, Leben, Zukunft (SALZ). 
       
       Beamte vernichten keine Akten. Schon gar nicht Finanzbeamte. Dieser Hemmung
       verdankt sich der Umstand, dass in den Finanzämtern Deutschlands,
       Österreichs und der Schweiz immer noch "Arisierungsakten" aus der Zeit des
       Nationalsozialismus gelagert werden. Es handelt sich um Dokumente, die den
       bürokratischen Vollzug der Ausplünderung der Juden als rassisch definierter
       Gruppe zeigen. Und sie zeigen das Zusammenspiel von Behörden, Institutionen
       und der nutznießenden Bevölkerung, bei der "Arisierung" von jüdischem Geld
       und Gut.
       
       Götz Aly nennt das treffend den " staatlich gelenkten, jedoch
       gemeinnützigen Massenraubmord". Die Einkünfte aus der sukzessiven
       Ausplünderung wurden akribisch vermerkt, mit Stempel und Unterschrift
       besiegelt und abgelegt. Auch die Versteigerungslisten für die Habe der
       Deportierten und Ermordeten finden sich, ordentlich abgeheftet, mit Ort,
       Datum, Erlös und den Namen der Käufer. Es handelt sich also um brisante
       Akten, die eine direkte Zu- und Mitarbeit der Behörde und ihrer Beamten bei
       der Einleitung und Durchsetzung der Vernichtungspolitik belegen. Die
       "Arisierungsakten" wurden nach dem Krieg von den Alliierten weitgehend
       übersehen und gerieten als "normale" Steuerakten in baldige Vergessenheit.
       
       Aber nicht ganz. Nach dem Ablauf der 30-jährigen Aktensperre wurden sie
       1988 auf 80 Jahre gesperrt, mit Verweis auf das Steuergeheimnis. 2009 wurde
       vom Bundesminister für Finanzen eine Historikerkommission eingesetzt, um
       die Geschichte des Reichsfinanzministeriums aufzuarbeiten. Wegen der
       Aktensperre ist es nur sehr wenigen wissenschaftlich interessierten Leuten
       gelungen, dennoch Einsicht zu nehmen. Wolfgang Dreßen war einer der Ersten.
       Es gelang ihm Ende der 90er Jahre, nach unablässigem Insistieren, Zugang zu
       den "Arisierungsakten" der Oberfinanzdirektion Köln zu bekommen.
       
       Erster Anhaltspunkt 
       
       Elisabeth Kmölniger und ich trafen ihn unlängst zum Frühstück im ehemaligen
       Palmenhaus der Königlichen Gartenakademie in Dahlem. Er erzählte uns, wie
       er an die Akten kam und was er darin fand: "Also den ersten Anhaltspunkt,
       dass es überhaupt solche Akten gibt, den erhielt ich Ende der 80er Jahre,
       noch vor der Wende, in Berlin. Damals arbeitete ich noch im
       Museumspädagogischen Dienst, und wir haben 1986 eine Ausstellung gemacht:
       "Adass Jisroel. Die jüdische Gemeinde in Berlin (1869-1942). Vernichtet und
       vergessen".
       
       Der Mario Offenberg, der jetzt Geschäftsführer der Gemeinde ist, arbeitete
       mit und kam, weil er als Betroffener seine Familiengeschichte
       recherchierte, auch ins Archiv der Oberfinanzdirektion. Damals habe ich zum
       ersten Mal diese Versteigerungslisten gesehen, die haben wir auch
       ausgestellt. Und dann gibt es ein Buch aus den 70er Jahren, von einem Mann,
       der Theresienstadt, Auschwitz und Buchenwald überlebt hat, H. G. Adler,
       ,Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland'.
       Er war an die Akten des Finanzamtes Würzburg gekommen und hat das sehr
       genau beschrieben. Das hatte ich also alles im Kopf.
       
       Und als ich dann in den 90er Jahren die Professur in Düsseldorf bekam,
       dachte ich, das wäre das richtige Thema und habe in der Oberfinanzdirektion
       Düsseldorf nachgefragt. Die sagten aber, sie hätten diese Akten nicht.
       Später erfuhr ich, dass eine Anweisung an die nachgeordneten Ämter in
       Düsseldorf rausgegangen war, man möge von einer Beantwortung meiner
       Anfragen "absehen". Die nächste Oberfinanzdirektion ist in Köln, aber auch
       dort sagte man mir, sie hätten die Akten nicht.
       
       Eines Tages bekam ich aber einen anonymen Anruf, von einer Frau aus der
       Oberfinanzdirektion. Ich kenne sie bis heute nicht, aber sie soll gerühmt
       werden! Sie sagte mir, sie hätten die Akten, ich solle dranbleiben. Und
       dann habe ich in einem endlosen Antragsverfahren, inklusive einer Anfrage
       der Grünen im Bundestag, es endlich geschafft. Eines Tages kam ein Brief
       aus Köln, dass ich mal vorbeikommen solle. Ich gab an, dass ich einen
       Aufsatz schreiben wolle, und musste per Unterschrift versichern, dass ich
       alles anonymisiere aus Datenschutzgründen und diesen Aufsatz vorlege.
       
       2.000 Akten gesehen 
       
       Und dann war ich im Archiv. Zwei relativ kleine Räume unterm Dach,
       vollgestopft. Man hatte den Eindruck, dass da niemand drin war seit langer
       Zeit. Verstaubt und etwas durcheinander lagen dort etwa 20.000 Akten. 2.000
       davon habe ich gesehen. Ich hatte ja nur eine begrenzte Zeit. Die Akten
       beginnen 1941, unmittelbar nach der 11. Verordnung des
       "Reichsbürgergesetzes". Sie besagte, dass ein Jude, der seinen Wohnsitz ins
       Ausland verlegt, die deutsche Staatsangehörigkeit verliert und nach dem
       Verlust der Staatsangehörigkeit sein Vermögen ans Reich fällt. Ebenso nach
       seinem Tode. Wie heimtückisch und niederträchtig der gesamte Prozess
       gehandhabt wurde, zeigt sich auch an § 12: "Diese Verordnung gilt auch in
       Böhmen und Mähren und den eingegliederten Ostgebieten." Denn was viele
       nicht wissen, Auschwitz lag ja in Oberschlesien, also auf deutschem Gebiet.
       Diese 11. Verordnung war sozusagen der letzte Zugriff auf das, was, so im
       O-Ton, "die zur Deportation anstehenden Juden" noch hatten.
       
       Mit dieser 11. Verordnung fangen also die Akten an, das war sozusagen das
       unmittelbare Vorspiel zum Holocaust. Ich saß da allein, habe gelesen und
       dachte, ich werde verrückt, über dem Wahnsinn, der da drin stand. Mir wurde
       klar, das muss öffentlich werden! Und wie es dann so ist, mit der Zeit
       verliert der Pförtner sein Misstrauen. Jemand, ich sage den Namen nicht,
       machte mir ein sehr gutes Kopiergerät zugänglich. Ich kam mit voller
       Aktentasche und habe perfekte Farbkopien gemacht, die aussehen wie
       Originale. Danach habe ich die Akten sorgsam wieder zurückgebracht,
       unversehrt und vollständig. Also es war kein Diebstahl, aber das durfte ich
       natürlich überhaupt nicht! Es war keine Frage, diese Dokumente müssen
       gezeigt werden, es reicht nicht, drüber zu schreiben. Hier geht es ja nicht
       nur um die Vergangenheit, hier es geht auch um die Gegenwart!
       
       Nur eine Abmahnung 
       
       Ich beschloss, eine Ausstellung zu machen, und habe mit dem damaligen
       Leiter des Düsseldorfer Stadtmuseums gesprochen, Wieland Koenig, der sofort
       bereit war. Eine mutige Entscheidung. Das wurde mir erst später so richtig
       klar, als anderswo die Ausstellung abgelehnt wurde, z. B. 2000 von der
       Humboldt Uni; sogar gestützt durch ein Expertengutachten. Das muss man sich
       mal vorstellen! Jedenfalls, Herr Koenig und ich haben die Ausstellung dann
       insgeheim vorbereitet, auch der Kulturdezernent der Stadt wusste nichts
       davon. Damals mussten wir ja noch damit rechnen, dass sie verboten wird.
       
       Ich habe mich, um das abzuwenden, an Michel Friedman gewandt - das war noch
       vor seiner Affäre -, er war sehr freundlich und ist zur Eröffnung gekommen.
       Ich denke, das war ein gewisser Schutz vor direktem Einschreiten. Die
       Oberfinanzdirektion machte natürlich Ärger beim Rektor der Hochschule und
       beim Wissenschaftsminister. Da ich aber kein Beamter war, also nicht dem
       "besonderen Treueverhältnis" unterstand, konnte mir auch nicht viel
       passieren. Ich bekam nur eine Abmahnung.
       
       Der eigentliche Skandal - für viele Historiker übrigens - war dann aber gar
       nicht so sehr der Inhalt der Akten, sondern dass ich nichts anonymisiert
       hatte. Ich habe keinen der Namen geschwärzt. Und das war gut so. Das zeigt
       auch der Film zum Thema von Michael Verhoeven: "Menschliches Versagen",
       eine Dokumentation, die er zum 70. Jahrestag der Novemberpogrome gemacht
       hat, die auch im Fernsehen gezeigt wurde und jetzt auch in der
       Wanderausstellung gezeigt wird. Darin werden z. B. die Nachkommen einer
       Familie Levi interviewt. Sie leben in New York und erfuhren zufällig durch
       den Bericht eines englischen Journalisten von der Ausstellung, dass dort
       auch die Akte eines vermissten Verwandten gezeigt wird. Sie sagten: "Unsere
       Verwandten verschwanden vom Erdboden." Aus der Akte geht hervor, sie hatten
       die Schiffspassage bereits bestellt und bezahlt, durften dann aber nicht
       mehr ausreisen. Das war für die Nachkommen die erste Spur, nach so langer
       Zeit. Und da sieht man, wie wichtig es ist, nicht zu anonymisieren, nicht
       die Spuren zu verwischen!
       
       Schon gar nicht die der Täter. Weshalb soll ich Arisierungsprofiteure
       schützen? Von denen hat sich noch keiner beschwert. Es gibt Firmen, die
       haben richtig schwer Geld verdient, z. B. die Transport-Firma Kühne &
       Nagel, besonders im Rahmen der "M- Aktion". M stand für Möbel. Das muss ich
       kurz erklären: Die im Rahmen der M-Aktion beschlagnahmten Möbel,
       ursprünglich für die Verwaltungen der besetzten Gebiete und des Reiches
       vorgesehen - zuständig war das Amt Rosenberg, sozusagen das Amt für
       Kunstraub -, wurden dann ab 1942 im Reich in großem Stil auf
       Massenversteigerungen veräußert. Und diese Möbel, die wurden rangeschafft
       aus Frankreich, Belgien, Niederlande, beschlagnahmt und herausgeholt aus,
       wie es hieß, "unbewachten jüdischen Wohnungen", den Wohnungen der
       Deportierten und untergetauchten jüdischen Bürger. Das sind Unmengen von
       Zügen und Frachtschiffen, die diese Beute nach Deutschland brachten,
       gechartert von Kühne & Nagel. Von der Firma habe ich noch nicht ein Wort
       gehört. Die wären ja auch dumm - das ist heute ein international tätiges
       Logistik- und Transportunternehmen -und damit würde es ja auch bekannt,
       wenn sie gegen mich klagen. Die Belege in den Akten sprechen für sich.
       
       Der plündernde Staat 
       
       Aber mal zu den Akten selbst: Also, wenn man da so drübersitzt und blättert
       in den Originalen, sieht die handschriftlich ausgefüllten Bögen? Ganz vorn
       ist immer die "Verfügung", obenauf liegend. Da steht drauf, weshalb das
       Verfahren rechtens ist. Das ist sehr wichtig, denn die übliche Sicht auf
       "Arisierung" ist ja der plündernde SA-Mann, der Mob. Das war die Ausnahme.
       Hier aber sehen wir sozusagen die Regel, den plündernden Staat, die
       vollziehende Behörde, die Vorschriften und Verfahren korrekt einhält. Und
       wie kam die Verfügung, dieses wichtige Dokument ins Haus? Das brachte der
       Gerichtsvollzieher per Zustellungsurkunde. Derselbe Gerichtsvollzieher, den
       man auch am Hals hatte als Schuldner. Also der Vollstreckungsbeamte. Oft
       war er vielleicht nicht mal in der Partei.
       
       Dann folgt die Vermögenserklärung, es wird alles abgefragt, was man sich
       nur vorstellen kann, vom Geld und Aktienvermögen, über Bücher, Bilder, bis
       hin zum Nachtschrank, der Kuchengabel. Jedes Detail musste angegeben und
       erfasst werden. Jedes Familienmitglied, auch jedes Kind, musste das
       ausfüllen. Wenn es noch nicht schreiben konnte, musste der
       Haushaltsvorstand es vertreten bei der Vermögenserklärung. Die
       Finanzbehörde war über die bevorstehende Deportation informiert, die
       Vermögenserklärungen mussten rechtzeitig ausgefüllt sein. Selbst
       diejenigen, die schon in Sammellagern waren und bereits alles verloren
       hatten, mussten die Erklärung ausfüllen. Sie gehört sozusagen zum letzten
       Akt der Entrechtung und Enteignung.
       
       Zusätzlich gaben die Banken, Sparkassen und Versicherungen natürlich
       jederzeit alle gewünschten Auskünfte mit "Heil Hitler", die Leute hatten ja
       auch Versicherungen, Rentenansprüche, Sparkonten. Manche hatten, trotz der
       "Judenbuße" in Milliardenhöhe nach den Novemberpogromen und all den anderen
       Ausplünderungen, noch Reste von Vermögen. Das sollte natürlich genauestens
       erfasst werden für die Verwertung. Es ist den Akten schon von außen
       anzusehen, wenn Vermögen im Spiel war, dann ist die Akte dick. Es gab ja
       viel zu verteilen.
       
       Quittung vom Spediteur 
       
       Aber es gibt natürlich viele dünne Akten, die bestehen nur aus einigen
       Blättern. Im Ruhrgebiet z. B., wo viele katholische Bergarbeiter aus Polen
       leben, gab es auch viele jüdische Bergarbeiter aus Polen. Die hatten
       bereits die deutsche Staatsbürgerschaft und waren 1938 bei der
       "Polenaktion" nicht ausgewiesen worden. In der Akte steht dann z. B. Willy
       Lichtenstein aus Oberhausen, geb. 1906, hatte "keine nachweisbaren
       Vermögenswerte". Seine Habe erscheint auf einem Versteigerungsprotokoll vom
       Februar 1942: 1 Herrenhut, 2 Paar Schuhe, 3 Paar Strümpfe, 5 Krawatten, 5
       Kragen. Aber auch das wurde, wie alles andere, abgeholt und versteigert.
       Die Juden wurden in Sammellager gebracht bis zur Deportation. Jemand hat
       dann die verlassenen Wohnungen noch mal überprüft, sie wurden desinfiziert
       und versiegelt, bis der örtliche Spediteur kam - in Köln war das z. B. die
       Firma Roggendorf, die gibt es heute noch -, um alles abzuholen und
       einzulagern für die Massenversteigerung. Das liegt in der Akte, auch die
       Quittung vom Spediteur, schön abgeheftet.
       
       Ganz wichtig ist als Nächstes die Versteigerung. 1941 gab es unter dem
       Decknamen "Aktion 3" genaue Weisungen vom Reichsfinanzministerium an die
       Oberfinanzdirektionen, wie mit dem Vermögen und der Verwertung von
       eingezogenem Hab und Gut zu verfahren sei. Es gab Massenversteigerungen u.
       a. in der Messehalle Köln und im Schlachthof Düsseldorf. Die
       Versteigerungslisten liegen in den Akten. Es gab Anzeigen in den Zeitungen,
       wann und wo die Versteigerungen stattfinden. Massenversteigerungen, auch
       der erbeuteten Möbel und Haushaltsgegenstände aus Westeuropa, von denen ich
       schon gesprochen habe. Es gab tumultartigen Andrang bei den Versteigerungen
       jüdischen Eigentums. Und es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen "aus
       nichtarischem Besitz". Man hat das nicht verheimlicht, man konnte sich auf
       die Bereicherungslust und auf den Antisemitismus verlassen. Jeder, der
       etwas kaufte, bekam eine Quittung, auf der stand oft sogar: "aus dem Besitz
       des Juden/der Jüdin" soundso, also auch noch geschlechtskorrekt.
       
       Das ganze Dorf macht mit 
       
       Wie ausgeprägt dieser Antisemitismus war, sieht man besonders bei jenen
       Akten, die die Versteigerungen auf dem Dorf betreffen, wo der Vorgang ja
       nicht anonym war. Da brauchte man keinen Spediteur, die Möbel wurden auf
       die Straße gestellt, die Wohnung leer geräumt. Alles wurde vom
       Gerichtsvollzieher versteigert. Und es kamen dann wirklich die Nachbarn, um
       die Habe der kurz vorher Deportierten billig zu kaufen, bis hin zu den
       Einmachgläsern mit Inhalt. Es gibt Listen in den Akten, die zeigen, wer was
       ersteigert hat und zu welchem Preis. Ich habe bei einem Dorf mal
       abgeglichen, die Anzahl der Bewohner und der Käufer damals, um zu sehen,
       wie viele Leute da nicht mitgemacht haben. Aber es hatten so gut wie alle
       mitgemacht. Auf den Dörfern war es häufig so, dass die reicheren
       Viehhändler Juden waren. Man hatte bei ihnen vielleicht einen Kredit
       aufgenommen, hatte Schulden. Und da kommt auch noch so ein verquerer
       Antikapitalismus ins Spiel, das hieß, die reichen Juden sind jetzt weg, und
       nun können wir uns die Sachen wieder aneignen.
       
       Ich mache jetzt einen Sprung. Dann, wenn man weiterblättert, wird plötzlich
       klar, die Akte hört 1945 gar nicht auf! Das war sehr verblüffend für mich!
       Auf den Formularen steht immer noch beispielsweise Finanzamt Grevenbroich,
       nur das Hakenkreuz war überstempelt. Dann steht da eben nicht mehr: "auf
       Grund des Reichsbürgergesetzes", sondern es steht nun: "auf Grund
       alliierter Anordnung". Also die Akten umfassen den Zeitraum von der
       bevorstehenden Deportation bis zur eventuellen Restitution, also maximal
       etwa 15 bis 20 Jahre.
       
       Und oft sind es dieselben Unterschriften. Dieselben Gerichtsvollzieher,
       dieselben Beamten, die z. B. den alliierten Stellen vermelden, es sei durch
       Bombeneinwirkung der gesamte Aktenbestand verloren gegangen. Oft machten
       dieselben Beamten Arisierung und Restitution. Der Chef der
       Oberfinanzdirektion Köln, also ein Verantwortlicher für die Durchführung
       der fiskalischen Verfolgungs- und Ausplünderungsmaßnahmen, wurde sogar in
       den 50er Jahren Chef des Bundesausgleichamts und war damit zuständig für
       die "Wiedergutmachung".
       
       In diesen Verfahren zur "Wiedergutmachung", das muss man sich mal
       vorstellen, hatten die überlebenden Opfer die Beweislast zu tragen. Sie
       mussten nachweisen, was ihnen weggenommen wurde. Bei Grundstücken kann man
       das Grundbuchamt heranziehen. Aber bei versteigertem Hausrat? Sie hatten
       keine Quittungen. Die lagen in der Akte. Und wenn der Gerichtsvollzieher
       sagt, er hätte keine Unterlagen, was oft vorkam, obwohl es gelogen war,
       dann konnten sie nichts beweisen.
       
       Gesetzliches Verfahren 
       
       Es gibt den Fall einer jungen Frau, einer Überlebenden. Sie war als
       Fünfzehnjährige 1942 deportiert worden. Nach Auschwitz, zusammen mit ihren
       Eltern. Die wurden ermordet. Sie kehrt nach 1945 in ihr Heimatdorf zurück
       und geht von Haus zu Haus - das kann man in den Akten lesen - und fordert
       die Rückgabe des Eigentums ihrer Familie. Sie muss mutig gewesen sein. Es
       schlägt ihr die blanke Aggression entgegen, sie wird bedroht und muss sogar
       unter Polizeischutz gestellt werden. Sie sieht den Gerichtsvollzieher auf
       ihrem Fahrrad herumfahren und ist wütend. Er hat es ihr natürlich
       ausgehändigt. Dann bekam sie aber ein Schreiben von der Oberfinanzdirektion
       Düsseldorf - das ist auch in der Akte - in dem wird sie "in schärfster Form
       gerügt", weil sie sich ihr Recht selbst sucht und durchsetzen will. Sie
       wird auf das "gesetzliche Verfahren" verwiesen. Es hatte und hat ja alles
       seine Ordnung.
       
       Die penible Einhaltung der Ordnung und Verordnungen bei der "Arisierung",
       die gab es in den Ostgebieten natürlich nicht, während man in Deutschland
       und selbst im Westen sehr darauf bedacht war, alles "ordnungsgemäß" - auch
       so ein Lieblingswort - abzuwickeln. Ein Beispiel aus den Akten: Ein
       Tabakhändler beglückwünscht die Oberfinanzdirektion, gibt seiner Genugtuung
       Ausdruck, dass man diesen Juden deportiert hat, einen Großhändler, bei dem
       er Schulden hatte, immense Schulden. Er schreibt, bei Juden, da hat man
       immer Schulden, denn das sind ja die allseits bekannten "jüdischen
       Machenschaften", die einen in die Schulden treiben.
       
       Er bekommt aber einen reservierten Brief zurück, die Schulden seien ans
       Reich übergegangen und er müsse sie nun ans Finanzamt bezahlen. Er schreibt
       zurück, er sei doch schon vor 33 in der Partei gewesen! Aber vergeblich. Wo
       käme man da hin, wenn jeder sich bedienen und plündern dürfte, es könnte
       dann ja auch zu Übergriffen auf "arisches" Eigentum kommen. Es ging und
       geht um die Stabilität und Legitimität der bürgerlichen Ordnung.
       
       Aber die Legitimität eines Verhaltens wird eben nicht dadurch garantiert,
       dass es legal ist. Deshalb muss man immer vom "Unrechtsstaat" reden. Ein
       Dokument, das auch in der Ausstellung hängt, zeigt sehr schön dieses
       Dilemma. Bei einer Gerichtsverhandlung nach 1945 schreibt ein Richter, dass
       das Ausmaß des "gesetzlichen Unrechts" immer größer wurde. Und dann hat er
       - denn man schrieb noch auf Schreibmaschinen - das "gesetzlich" durchgeixt
       und hat drüber geschrieben "gesetzten", des "gesetzten Unrechts". Er konnte
       es nicht ertragen!
       
       Die Nachbarn profitierten 
       
       Also wenn man heute diese Akten anguckt und wenn man bedenkt, welche
       Unsummen der Fiskus insgesamt durch die "Arisierung" eingenommen hat, durch
       die totale Verwertung, vom Bankkonto bis hin zur Schuhbürste, alles!, dass
       die Opfer sozusagen die Kosten für ihre eigene Deportation und letztlich
       Ermordung selbst bezahlt haben? Und wenn man sich in den Akten anschaut,
       wer sich was angeeignet hat? Ich sag mal, die Nachbarn direkt oder im
       weitesten Sinne, dann wird das ganze Ausmaß der allgemeinen Bereicherung
       deutlich.
       
       Man fragt man sich auch, wie viele dieser Dinge sind heute noch im
       Gebrauch, wurden vererbt, werden weiter genutzt, tauchen immer noch bei
       Antiquitätenhändlern und auf Flohmärkten auf? Im Kölner Finanzamt brach
       unter dem Andrang der Interessenten der Dienstbetrieb zusammen, es wurde
       eine Anzeige in die Zeitung gesetzt, persönliches Vorsprechen von
       Kaufinteressenten sei nicht möglich. Es gab sozusagen einen enormen
       Ansturm. Auch alle möglichen Institutionen haben sich versorgt, es gibt
       Listen der Bücher, die sich das Juristische Seminar in Bonn angeeignet hat.
       Bibliotheken haben sich bedient, das Diakonissenheim hat sich mit
       Einrichtungsgegenständen eingedeckt, das Waisenheim, das Schulamt, die
       Fordwerke, Ärzte haben Mikroskope erworben, Klaviere und Flügel gingen an
       Musikschulen oder andere Kaufliebhaber. Betuchte Interessenten erwarben
       Gemälde und andere Kunstgegenstände.
       
       Die "Ausgebombten" erhielten als Zuwendung Mobiliar und Hausrat, sie saßen
       an Tischen und schliefen in Betten aus jüdischem Besitz. Ritterkreuzträger
       wurden mit den edleren Stücken bedacht. Also es gab keine
       Bevölkerungsgruppe, Berufsgruppe oder Institution, keine Schicht, die da
       nicht gekauft und sich bereichert hätte. Immer mit dem Wissen darum, dass
       diese Dinge aus jüdischem Besitz stammten. Und sogar die Leibwäsche der
       Deportierten wurde genutzt. Es gibt z. B. einen Frachtbrief aus dem
       Protektorat, aus Theresienstadt, da steht unübersehbar drin - und das hat
       jeder Beamte, durch dessen Hände das ging, abgestempelt: gebrauchte Wäsche
       aus jüdischem Besitz. Die wurde über viele Stationen nach Köln
       transportiert."
       
       28 Nov 2010
       
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 (DIR) Gabriele Goettle
       
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