# taz.de -- Energie-Gipfel im Kanzleramt: Klimaabgabe adé
       
       > Statt Kohlekraftwerke zur Kasse zu bitten, bekommen sie künftig viel Geld
       > – dafür, dass sie weniger laufen. Zahlen müssen Stromkunden und
       > Steuerzahler.
       
 (IMG) Bild: Die andere Seite der Energie: Tagebau Welzow-Süd in Brandenburg.
       
       Berlin taz | Wer Sigmar Gabriel am Donnerstagmorgen in seinem Ministerium
       erlebt, käme nicht auf die Idee, dass der Wirtschaftsminister gerade eine
       gewaltige Niederlage erlitten hat. Einen „Pakt für neuen Wohlstand“ habe
       die Bundesregierung geschlossen, jubelt Gabriel. „Wir machen ernst mit der
       Energiewende.“ Und: „Wir stehen zu unseren nationalen Klimazielen.“
       
       Tatsächlich haben die Spitzen der Koalitionsparteien in der Nacht zuvor im
       Kanzleramt den Plan beerdigt, für den Gabriel seit Monaten geworben hatte,
       um diese Ziele zu erreichen: jene Zusatzabgabe, die alte Kohlekraftwerke
       weniger rentabel gemacht und dadurch ihre Laufzeiten verringert hätte. „Wir
       sind nach wie vor der Meinung, dass dies eine gute Lösung gewesen wäre“,
       sagt Gabriel zwar. Aber weil er diese angesichts massiver Proteste der
       Kohlekumpel und Konzerne nicht durchsetzen konnte, verteidigt der SPD-Chef
       jetzt genauso entschlossen die nun beschlossene Alternative, die die
       Gewerkschaft IG BCE entwickelt hatte.
       
       Statt dass die Konzerne mit einer Abgabe gezwungen werden, die Emissionen
       aus den Kraftwerken zu reduzieren, sollen sie nun viel Geld bekommen.
       Braunkohlekraftwerke mit einer Kapazität von insgesamt 2,7 Gigawatt – das
       entspricht fünf größeren Anlagen – sollen zunächst nur noch als Reserve bei
       Stromknappheit genutzt werden; nach vier Jahren werden sie dann endgültig
       stillgelegt. Wie viel Geld die Unternehmen dafür bekommen, wird noch
       verhandelt. Die Regierung geht derzeit von 230 Millionen Euro im Jahr aus.
       Finanziert würde dies über einen neuen Aufschlag auf den Strompreis.
       
       Doch mit diesem Instrument wird nur die Hälfte des Ziels erreicht. Um jene
       Emissionsreduzierung von 40 Prozent bis zum Jahr 2020, zu der sich
       Deutschland international verpflichtet hat, noch zu erreichen, müsse der
       Stromsektor 22 Millionen Tonnen einsparen, hatte die Regierung im Dezember
       erklärt. Und zwar zusätzlich zu dem Rückgang, der ohnehin eingeplant war.
       Die abzuschaltenden Kraftwerke bringen aber laut Wirtschaftsministerium nur
       11 bis 12,5 Millionen Tonnen.Umweltverbände halten auch das für zu
       optimistisch. „Da eine Reihe der alten Kohlekraftwerke in den kommenden
       Jahren ohnehin vom Netz gegangen wäre, bleibt von der zugesagten Reduktion
       unter dem Strich kaum etwas übrig“, meint etwa Greenpeace-Energieexperte
       Tobias Münchmeyer.
       
       Zudem besteht die Gefahr, dass nach der Abschaltung andere Kohlekraftwerke
       stärker eingesetzt werden; auch dies kann die nun gewählte Lösung im
       Gegensatz zur zunächst geplanten Kohleabgabe nicht verhindern.
       
       ## Neue Unterstützer
       
       Jene 11 Millionen Tonnen CO2, die auch nach der Berechnung der Regierung
       noch fehlen, sollen zum einen durch eine stärkere Förderung der
       Kraft-Wärme-Kopplung erreicht werden; 4 Millionen Tonnen sollen dadurch
       gespart werden. Weitere 5,5 Millionen Tonnen CO2 sollen nicht im
       Stromsektor erbracht werden, sondern durch zusätzliche Effizienzmaßnahmen
       (siehe rechts). Dafür sind weitere 1,2 Millarden Euro im Jahr eingeplant –
       allerdings nicht von den Stromkunden, sondern aus dem Staatshaushalt.
       
       Wer sich nach dem nächtlichen Beschluss als Gewinner sieht, zeigen die
       zahlreichen Reaktionen. Die Kohlegewerkschaft IG BCE, die zuvor vor
       katastrophalen Folgen von möglichen Kraftwerksstilllegungen durch die
       Kohleabgabe gewarnt hatte, hat mit definitiven Kraftwerksstilllegungen
       plötzlich kein Problem mehr, wenn es dafür Geld gibt. Die beschlossene
       Lösung sei „ausgewogen und verdient Respekt und Unterstützung“, erklärte
       der Vorsitzende Michael Vassiliadis.
       
       Zustimmung kam auch vom Bundesverband der Deutschen Industrie und der CDU.
       Der „unsoziale Vorschlag“ einer Klimaabgabe sei vom Tisch, jubelte der
       wirtschaftspolitische Sprecher Joachim Pfeiffer. Dass durch den Beschluss
       die Verbraucher zusätzlich belastet werden, war ihm – anders als in der
       Vergangenheit bei Diskussionen über die Ökostromumlage – keine Erwähnung
       wert.
       
       Empörung herrschte hingegen bei der Opposition und den Umweltverbänden, die
       Gabriels ursprünglichen Vorschlag am Abend noch [1][mit einer Menschenkette
       ums Kanzleramt] unterstützt hatten. Eine „klimapolitische Bankrotterklärung
       der Bundesregierung“ sieht Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter in dem
       Beschluss.
       
       „Die Kohlelobby hat sich noch mal durchsetzen können“, meint Regine Günther
       vom WWF. Für die Zukunft ist sie dennoch optimistisch. „Klar ist, dass die
       Kohle eine Abwehrschlacht führt. Der Kohleausstieg ist auf der Tagesordnung
       und wird von dort nicht mehr verschwinden.“
       
       2 Jul 2015
       
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