# taz.de -- Palästina will ein Staat werden: Aufgeteilt zwischen Hamas und Fatah
       
       > Die Regierung in Ramallah will in diesem Monat vor der Uno die
       > Anerkennung Palästinas als Staat beantragen. Doch noch gibt es zahlreiche
       > Stolpersteine.
       
 (IMG) Bild: Palästinensische Frauen am Checkpoint zwischen Bethlehem und Jerusalem.
       
       RAMALLAH taz | Riyad Mansour, palästinensischer Botschafter in New York,
       ist dünnhäutig in diesen Tagen. Es soll der große Tag der Palästinenser
       werden, Mansours großer Tag, wenn die PLO in diesem Monat vor die Vereinten
       Nationen zieht, um die Anerkennung eines eigenen Staates zu fordern.
       
       "Die gesamte internationale Gemeinschaft hat zugestimmt, als
       Ministerpräsident Salam Fajad vor zwei Jahren seinen Plan zum Aufbau
       staatlicher Institutionen und das Ende der Besatzung ankündigte", erinnerte
       Mansour jüngst vor dem UN-Sicherheitsrat.
       
       "Die Palästinenser haben ihren Teil des Vertrages erfüllt." Jetzt sei die
       internationale Gemeinschaft an der Reihe. Doch Ron Prosor, Israels Mann bei
       der Uno, fragt: "In wessen Namen fordern Sie Ihren Staat? Hamas oder
       Fatah?"
       
       Prosors Frage ist berechtigt, denn der Plan, Palästina unter einer
       Regierung der nationalen Einheit, also im Namen beider Fraktionen, vor die
       Uno zu bringen, ist gescheitert.
       
       "Palästina" ist zweigeteilt. Den Gazastreifen kontrolliert die Hamas unter
       Ministerpräsident Ismael Hanijeh, dem großen Wahlgewinner im Januar 2006.
       Im Westjordanland thront noch immer Mahmud Abbas in der Mukataa, dem
       Präsidentensitz, obwohl seine Amtszeit längst abgelaufen ist.
       
       Abbas zur Seite steht Regierungschef Salam Fajad, der zwar im Westen sehr
       geschätzt wird, vom palästinensischen Volk jedoch nie gewählt wurde.
       
       Fajads gute Kontakte zu den Geberstaaten lassen das Westjordanland
       "boomen". Wer mit dem Hubschrauber in Ramallah landet, kommt in eine Stadt,
       in der überall gebaut wird.
       
       Neue Straßen, neue Mehrfamilienhäuser entstehen, Villen und Hotels. Die
       Menschen strömen durch die Einkaufszentren, in die Boutiquen und
       Restaurants. Bis spät in die Nacht feiern junge Paare unter offenem Himmel
       schillernde Partys.
       
       Kaum etwas erinnert noch an die düsteren Jahre der Belagerung des
       kränkelnden PLO-Chefs Jassir Arafat in seiner Mukataa. Nur wer mit dem Auto
       oder zu Fuß kommt, erkennt die Grenzen des palästinensischen Aufbruchs
       spätestens in Kalandija, wenn er sich in die Schlangen zur Kontrolle am
       Übergang nach Israel einreihen muss.
       
       "Die Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit ist das größte Problem für die
       wirtschaftliche Entwicklung", sagt Bassem Khoury, der bis März 2009
       Wirtschaftsminister war. Dabei geht es nicht nur um den "Personenverkehr,
       sondern um Waren, Kapital und Investoren".
       
       Khoury gehört zum Expertenteam des "Fajad-Plans", den er jedoch den
       "nationalen palästinensischen Plan" nennt. "Wir wollen keine Namen von
       einzelnen Personen", sagt er, damit später nicht nur einer die Schuld
       zugeschoben bekommt, wenn es schiefgehen sollte. "Wir alle haben daran
       mitgearbeitet."
       
       ## Touristen bleiben weg
       
       Die physischen Barrieren, die die israelische Armee zwischen den kaum zehn
       Kilometer auseinanderliegenden Städten Jerusalem und Bethlehem errichtet,
       bremsen auch den Tourismus.
       
       Dazu kommt, dass über die Hälfte des Westjordanlandes zu der sogenannten
       C-Zone gehört, wo Israel bis heute für Sicherheit und Verwaltung zuständig
       ist. Dieses Gebiet umfasst auch das nördliche Tote Meer.
       
       "Israel verdient bei Geschäften mit VW hunderte Millionen Euro jährlich an
       der Ausbeutung der Mineralien aus dem Toten Meer, ohne dass die
       Palästinenser auch nur einen Cent davon profitieren würden", schimpft
       Khoury.
       
       Zwischen Hebron und Jericho gibt es gar keine Verbindung. Die "sichere
       Verbindung" nach Gaza ist seit Jahren reine Fiktion.
       
       Katastrophal für die Bauern im Grenzbereich sind die israelischen
       Trennanlagen, die ihnen den Zugang zum eigenen Land versperren - oft aus
       dem Grund, die Sicherheit für die israelischen Siedler zu garantieren.
       Knapp eine halbe Million Israelis wohnen inzwischen auf palästinensischem
       Land, Ostjerusalem inklusive.
       
       ## Finanzhilfe stützt Wirtschaft
       
       Dass die palästinensische Wirtschaft trotzdem stabil ist und sich
       tendenziell mit gut 7 Prozent Wachstum in den Jahren 2009 und 2010 sogar im
       Aufschwung befindet, ist allein der internationalen Finanzhilfe zu
       verdanken.
       
       An der "totalen Abhängigkeit" von den Spendernationen werde sich auch in
       den kommenden Jahren nichts ändern, fürchtet Khoury. Seit 1994 flossen 17
       Milliarden Dollar in den palästinensischen Haushalt. 2.000 Kilometer
       Straßen, zwölf neue Krankenhäuser, zwölf Universitäten und 14 Hochschulen
       wurden in der Zeit errichtet. 
       
       Die Investitionen finden im Baubereich statt, während Landwirtschaft und
       Industrie, die Sektoren, wo langfristig Arbeitsplätze geschaffen werden
       könnten, sogar rückläufig sind. Es wird weniger statt mehr produziert.
       
       Das auf Importe angewiesene Westjordanland ist wiederum für Israel ein
       wichtiger Absatzmarkt. 99,9 Prozent des Stroms beziehen die Palästinenser
       aus Israel, Benzin, Rohmaterial, Nahrungsmittel, fast alles. Das einseitige
       Handelsvolumen liegt nach Informationen der palästinensischen
       Aufbauorganisation Pecdar bei 4 Milliarden Dollar jährlich.
       
       ## Israelische Preise
       
       "Wir müssen israelische Preise bezahlen und verdienen Gehälter wie in
       Jordanien", erklärt Khoury, der sich eine Öffnung der Handelswege wünscht.
       "Die palästinensische Wirtschaft könnte 1 Milliarde Dollar jährlich sparen,
       wenn wir ägyptisches Benzin kaufen dürften anstelle des israelischen."
       Allein damit würden sich die internationalen Finanzhilfen erübrigen.
       
       Ob mit oder ohne Fortschritt bei Friedensverhandlungen, so hatte Fajad vor
       zwei Jahren angekündigt, werde er die Palästinensergebiete zu Palästina
       machen. Die internationalen Beobachter sind begeistert. Fajad und seine
       Mitarbeiter haben viel geschafft. Transparenz und Effizienz sind seine
       beiden Zauberwörter.
       
       Die Offenlegung des Haushalts und der Konten der Ministerien der
       Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) setzten der Korruption und dem
       Schlendrian einen Dämpfer auf. Fajad baut staatliche Institutionen auf,
       indem er die bereits bestehenden aufpoliert und ihre Arbeitsweise
       verbessert.
       
       ## Menschen fühlen sich wieder sicher
       
       Die Gerichte arbeiten effektiver, Polizei und Nachrichtendienste sorgen für
       Sicherheit. Nach den schweren Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah
       bis zum Sommer 2007 fühlen sich die Menschen in Ramallah, Hebron und
       Bethlehem heute wieder sicher. Sogar Israel ist zufrieden mit der
       Kooperation zwischen dem palästinensischen Sicherheitsapparat und der
       Armee.
       
       Auf den gemeinsamen Fahndungslisten stehen vor allem die Namen von
       Aktivisten der Hamas. Doch laut dem jüngsten Jahresbericht von Amnesty
       International gehören Folter und Misshandlungen von Häftlingen trotz
       positiver Tendenz noch immer nicht der Vergangenheit an.
       
       Die Sicherheitsbehörden ignorierten Gerichtsbeschlüsse zur Freilassung von
       Gefangenen. Außerdem "verfolgt und schikaniert" die PA kritische Blogger
       und andere Oppositionelle.
       
       Im Gazastreifen wurden im vergangenen Jahr elf Menschen zumeist unter dem
       Vorwurf der Kollaboration mit dem Feind hingerichtet. "Palästina" wäre
       jedoch nicht der erste Staat, in dem die Todesstrafe praktiziert wird.
       
       ## Neuwahlen sind notwendig
       
       Wo die UN-Mitgliedstaaten Erklärungsbedarf anmelden könnten, ist vielmehr
       das Aufweichen der demokratischen Strukturen, das mit dem Wahlsieg der
       Hamas vor fünf Jahren begann. Die Fatah hat ihre eigene Niederlage schlicht
       ignoriert. Für ein Mandat wären Neuwahlen nötig.
       
       Der von Abbas für diesen Herbst anvisierte Termin ist jedoch nicht mehr
       relevant. Genauso dürfte eine Einigung zwischen Hamas und Fatah über
       Präsidentschafts- und Parlamentswahlen "innerhalb eines Jahres" mit den
       eingefrorenen Koalitionsverhandlungen überholt sein.
       
       Die Regierung im Westjordanland setzt sich heute vor allem aus Technokraten
       zusammen, die Volkes Stimme spätestens seit dem Rausschmiss der Hamas-nahen
       Minister im Sommer 2007 kaum noch repräsentieren.
       
       Auch das Parlament wurde damals kräftig ausgedünnt. Die Gesetzgebung ruht
       auf den Schultern von Abbas, der mit Präsidialerlassen einspringt, solange
       die Volksvertretung nicht funktionstüchtig ist. Die Reformvorschläge werden
       dem Kabinett vorgelegt, bevor Abbas sie unterzeichnet.
       
       ## Der Graben wird tiefer
       
       Diese Vorgehensweise "umgeht zahlreiche Schritte, die zu einem
       parlamentarischen legislativen Prozess gehören", sagt Ephraim Lavie, Chef
       des Tami-Steinmetz-Zentrums für Friedensforschung an der Universität Tel
       Aviv. Das Kabinett, das "ohne das Vertrauen des Parlaments agiert und jede
       verfassungsrechtliche Grundlage entbehrt, hat sich selbst zur Legislativen
       gemacht".
       
       Mit jeder Rechtsreform vertieft sich zudem die Kluft zwischen
       Westjordanland und Gazastreifen, denn die Hamas interessiert sich wenig für
       die Erlasse des Palästinenserpräsidenten.
       
       Den wackligen Regierungsapparat im Rücken ist der Zeitpunkt für die PLO
       nicht gerade günstig, bei der UNO einen Antrag auf staatliche Anerkennung
       zu stellen. Die Vollversammlung wird mehrheitlich Ja zu Palästina sagen,
       die USA werden gegebenenfalls im Sicherheitsrat eine Vollmitgliedschaft
       verhindern.
       
       Das Fehlen demokratischer Regierungsstrukturen, die Spaltung zwischen
       Westjordanland und Gazastreifen und nicht zuletzt auch das Ausbleiben von
       Fortschritten im Friedensprozess nähren indes den Unmut in der Bevölkerung.
       
       Und dieser droht sich Luft zu machen, wenn abzusehen ist, dass sich mit der
       internationalen Anerkennung Palästinas für die Menschen in Ramallah und
       Jericho nichts ändert.
       
       6 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Knaul
       
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