# taz.de -- Debatte Palästina: Besonnenheit aus Angst
       
       > Die Furcht vor einer Revolte setzt die Hamas in Gaza und die Fatah in
       > Ramallah unter Zugzwang. Beiden droht eine innerpalästinensische
       > Intifada.
       
 (IMG) Bild: Opposition zu Israel als alleinige Strategie: die Hamas.
       
       BERLIN taz | In zahlreichen Berichten und Kommentaren wurde der arabischen
       Revolution nach den blutigen Anschlägen an der ägyptisch-israelischen
       Grenze bei Eilat eine gravierende Mitschuld an der Unsicherheitslage im
       Sinai zugeschrieben. Der Tenor der Artikel suggerierte, dass so etwas zur
       Zeit der Herrschaft von Husni Mubarak nicht möglich gewesen wäre. In den
       90er Jahren erfolgten auch blutige und tödliche Anschläge vom Sinai aus
       gegen israelische Ziele - aber selbst wenn man von diesen keineswegs
       unwichtigen historischen Fakten absieht, ist diese These absolut hohl. Die
       arabische Rebellion hat auf ganz andere Weise tiefe Spuren im
       israelisch-palästinensischen Konflikt hinterlassen.
       
       ## Sicherheitsleute waren gewarnt
       
       Den israelischen Sicherheitsdiensten war keineswegs unbekannt, dass sich im
       Sinai eine explosive Melange aus Islamisten, Al-Qaida-Anhängern, Salafisten
       und aufrührerischen Beduinen zusammenbraute. Die Erlaubnis der israelischen
       Regierung, ägyptische Polizisten und Soldaten über die im Friedensvertrag
       von Camp David hinaus vereinbarte Stärke in den Sinai zu verlegen, zeigt,
       dass man sich auf beiden Seiten der Dramatik der Lage bewusst war. Man
       hätte also Maßnahmen gegen die Islamisten ergreifen können. Stattdessen
       haben israelische und ägyptische Sicherheitskräfte versagt.
       
       Auch dürfte es die Dienste nicht überrascht haben, dass Gefolgsleute dieser
       Gruppen die wieder geöffnete Grenze vom Gazastreifen nach Ägypten nutzen,
       um sich den vermeintlichen Glaubensbrüdern anzuschließen. Diese
       Gruppierungen verbindet, dass sie mit der herrschenden Politik der
       Hamas-Regierung im Gazastreifen unzufrieden sind und diese als unislamisch
       oder gar als "Verrat am Islam" brandmarken.
       
       Zudem ist die Militär- oder Terroroperation in Eilat ganz im Militärstil
       der Guerillataktik der 70er und 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts
       abgelaufen. Damit ist sie von Struktur, Ziel und Mobilisierung meilenweit
       von dem entfernt, was die arabischen Rebellionen der jüngsten Epoche
       auszeichnet. Die setzen auf eine demokratische Mobilisierung der Massen.
       
       Dennoch spielt die arabische Rebellion in diesem Schlagabtausch eine Rolle,
       vor allem die Furcht vor ihr. Das besonnene Verhalten der Hamas-Regierung,
       die über ägyptische Kanäle Israel einen Waffenstillstand anbot und diesen
       in den ersten Tagen auch weitgehend durchsetzte, resultiert aus ihrer
       Unsicherheit gegenüber dem, was die eigene Bevölkerung will oder noch zu
       erdulden bereit ist. Israelische Bombardements oder gar eine erneute
       militärische Invasion gehören nicht dazu. Eine Rebellion gegen eine als
       unsinnig oder kontraproduktiv empfundene militärische Operation könnte das
       Fundament der Hamas-Herrschaft ernsthaft erschüttern.
       
       ## Hamas und Fatah schwächeln
       
       Gleichzeitig wirkt die Fortsetzung der israelischen Luftschläge gegen den
       Gazastreifen wieder stabilisierend für die Hamas, insofern diese Art von
       Vergeltung von der Bevölkerung als übertrieben oder völlig ungerechtfertigt
       betrachtet wird.
       
       Wenn sich bei der israelischen Untersuchung des Anschlags von Eilat
       herausstellen sollte, dass die Volkswiderstandskomitees, die
       Verteidigungsminister Ehud Barak sofort als Urheber des Terrors von Eilat
       benannt hat, gar keine Schuld trifft, dann wird die Empörung über Israels
       Vergeltung - zumindest kurzfristig - wieder Wasser auf die Mühlen der Hamas
       gießen. Erste israelische Veröffentlichungen deutet jetzt in diese
       Richtung. Auch dass die Volkswiderstandskomitees zu einem - aus
       terroristischer Perspektive - ausgeklügelten und erfolgreichen Attentat
       kein Bekennerschreiben vorgelegt haben, stärkt die Zweifel an der
       vorschnellen israelischen Einschätzung.
       
       Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der Hamas in der
       gegenwärtigen arabischen Lage wie auch im israelisch-palästinensischen
       Konflikt an einer überzeugenden Strategie fehlt, an einer Option, die über
       die bloße Beschwörung des Widerstands gegen die israelische Besatzung und
       Belagerung hinausgeht und der eigenen Bevölkerung wenigstens eine
       mittelfristige Perspektive für ein besseres Leben bieten könnte. Auch ist
       sie intern nicht einig in der Frage, wie die Versöhnung mit der
       Autonomiebehörde und der al-Fatah im Westjordanland bewerkstelligt werden
       soll.
       
       ## Der kommende Aufstand
       
       Während die Autonomiebehörde von Präsident Mahmud Abbas zumindest vorerst
       auf die Abstimmung über die Aufnahme Palästinas in die Vereinten Nationen
       in der zweiten Septemberhälfte wartet, fehlt der Hamas ein solcher
       Fixpunkt. Zudem sind die Verbündeten der Hamas auf arabischer Ebene derzeit
       isoliert wie die Hisbollah im Libanon oder selbst in Bedrängnis wie das
       Assad-Regime in Syrien. Die Hamas tut also gut daran, sich zumindest der
       eigenen Klientel gegenüber als verantwortungsbewusste Regierung zu
       präsentieren.
       
       Auf längere Sicht dürfte dies aber weder die Hamas-Regierung noch die
       Fatah-Herrschaft absichern. Sollten die beiden Parteien nicht in der Lage
       sein, ihre Differenzen beizulegen und die territoriale und politische
       Spaltung zu überwinden, droht ihnen eine innerpalästinensische Intifada.
       Die Vorläufer eines solchen Aufstandes haben erst im Frühjahr zu dem bis
       jetzt nicht ausgefüllten Hamas-Fatah-Abkommen über die Bildung einer
       Einheitsregierung geführt.
       
       Die meisten Palästinenser, egal welcher politischen Couleur, wissen sehr
       wohl, dass es vor allem die israelische Rechtsregierung ist, die von ihrer
       Spaltung profitiert. Benjamin Netanjahu benutzt das "Terrorimage" der
       Hamas, um ernsthafte Verhandlungen mit den Palästinensern zu boykottieren.
       Und er braucht die Hamas, um diese Politik vor der Welt zu rechtfertigen.
       Was er nicht braucht, ist eine Hamas, die als Teil einer palästinensischen
       Einheitsregierung einen Staat in den Grenzen von 1967 (vorerst) akzeptiert.
       Genau das aber haben die Palästinenser im Frühsommer 2011 als Ziel der
       palästinensischen Mini-Rebellion genannt.
       
       Die Demonstrationen für die Anerkennung des palästinensischen Staates durch
       die Vereinten Nationen am 20. September könnten eine erste Nagelprobe für
       die palästinensische Form der Arabellion werden.
       
       26 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Georg Baltissen
       
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