# taz.de -- Israel-Palästina-Konflikt: Die Kriegsgewinner
       
       > Benjamin Netanjahu und Ehud Barak gibt der Israel-Palästina-Konflikt
       > einen innenpolitischen Schub – passend zu den anstehenden Wahlen.
       
 (IMG) Bild: Ein Zupacker, ein Leader, so einer wird gewählt: Verteidigunsminister Ehud Barak.
       
       JERUSALEM taz | Innerhalb von Sekunden liegt der Verkehr nahezu still, als
       die Sirenen schrill auf und ab heulen. Einige Leute legen sich mit
       verschränkten Armen über dem Kopf auf den Boden, die meisten aber bleiben
       gelassen, lehnen sich an Häuserwände und suchen Unterschlupf in Kaffees
       oder Läden.
       
       Zum ersten Mal seit 21 Jahren gab es diese Woche überraschend Raketenalarm
       in Tel Aviv. Die Realität, die für die Bevölkerung in Sderot oder Ashkelon
       seit Jahren Alltag ist, erreichte für wenige Augenblicke Israels
       Großstädte. Auch das heilige Jerusalem ist vor den Raketen der Islamisten
       in Gaza nicht länger sicher.
       
       Niemand kommt zu Schaden, trotzdem ist es für die Hamas ein riesiger
       Erfolg, weitere eineinhalb Millionen israelische Bürger in Angst und
       Schrecken zu versetzen. Die Regierung in Jerusalem nimmt die Angriffe als
       Sprung auf eine erhöhte Kampfstufe und entscheidet über die Mobilisierung
       von bis zu 75.000 Soldaten, zehnmal mehr als das Aufgebot, das vor vier
       Jahren in Gaza kämpfte. Sollte die Armee eine Bodenoffensive mit solchen
       Ausmaßen starten, dann würde das Schicksal des Hamas-Regimes im
       Gazastreifen vermutlich sehr rasch besiegelt werden.
       
       Die ersten Tage der Operation hätten für Ministerpräsident Benjamin
       Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak kaum besser laufen können.
       Ein Beifallssturm ging durch sämtliche großen Parteien, als am Mittwoch
       Abend die gezielte Exekution des de-facto-Hamas-Militärchefs Ahmad
       Al-Dschabari bekannt wurde.
       
       ## Selbst die Oppositionschefin steht hinter ihnen
       
       Sogar die Chefin der Arbeitspartei Scheli Jechimowitsch, sonst eine der
       schärfsten Kritikerinnen Netanjahus, stellte sich hinter den
       Regierungschef, wohl wissend, dass Volkes Sympathie dem Mann mit harter
       Hand gehört. Egal wie sich der Krieg noch entwickeln wird, für die
       bevorstehenden Wahlen am 22. Januar 2013 steht fest, dass die Agenda erneut
       von der Sicherheit bestimmt wird. Wirtschaft- und Sozialpolitik spielen
       jetzt keine Rolle mehr.
       
       Vereint gegenüber dem islamistischen Feind löst sich der Missmut zwischen
       Netanjahu und Barak, der seit Wochen die Stimmung im Regierungshaus trübt,
       wie von selbst auf. Netanjahu hatte dem Verteidigungsminister vorgeworfen,
       in der Iranfrage kalte Füße zu kriegen und im Weißen Haus gegen ihn zu
       intrigieren. Schon schien das politische Aus für Barak sicher, wenn im
       Januar Parlamentswahlen stattfinden. Noch vor wenigen Tagen sagten ihm
       Umfragen ein Scheitern an der 2-Prozent-Hürde voraus.
       
       Mit Überschwang nannte Barak in der Wochenendausgabe der liberalen Haaretz
       nun die Zahl von 13 Mandaten für seine Minipartei „Unabhängigkeit“, mit der
       er sich vor gut einem Jahr von der Arbeitspartei absetzte. Die Erfahrung
       lässt ihn hoffen. Vor vier Jahren kommandierte Barak als
       Verteidigungsminister in der Regierung Ehud Olmerts (Kadima) die Offensive
       im Gazastreifen. Damals sagten ihm Umfragen zwischen 6 und 8 Sitze vor dem
       Krieg voraus und zwischen 15 und 16 danach. Am Ende wurden es 13.
       
       Der einzige, der Netanjahu bei den Wahlen Paroli bieten könnte, so heißt
       es, ist Ehud Olmert. Der frühere Regierungschef müsste nur die zahlreichen
       Parteien der Mitte unter den Hut bekommen, um mit vereinter Kraft gegen das
       neue Bündnis von Netanjahu und dem rechts-konservativen Außenminister
       Avigdor Liebermann anzutreten. Diese Woche Donnerstag wollte Olmert sein
       politisches 'Comeback' der Öffentlichkeit kundtun, verschob aber tunlichst
       den Termin, als die Botschaft vom Tod Al-Dschabaris kam, den er zunächst
       unkommentiert ließ.
       
       ## Mursis Dilemma
       
       Bei den Palästinensern zeigt sich ein komplett unterschiedliches Bild. Aus
       Ramallah kam ein pathetischer Ruf zur nationalen Einheit, dem aber niemand
       Aufmerksamkeit schenkte. Für die Hamas ist die neue Regierung in Kairo
       entscheidender, als die eigenen Landsleute im Westjordanland. Der Wahlsieg
       der Muslimbrüder, aus denen die Hamas einst hervorging, trägt
       schmerzlicherweise für sie noch kaum Früchte. Der Grenzübergang in Rafach
       blieb weitgehend geschlossen. Stattdessen sprengten ägyptische Grenzer
       zahlreiche Tunnel, in denen die Palästinenser Waren und Waffen nach Gaza
       schmuggeln.
       
       Ginge es nach Präsident Mohammad Mursi, dann würde er sich mit dem Konflikt
       zwischen Israel und den Palästinensern so wenig wie möglich befassen, denn
       er stellt ihn vor ein schwieriges Dilemma. Tausende Menschen Demonstrierten
       am Freitag auf dem Tahrir-Platz gegen Israel, doch Mursi sind die Hände
       gebunden. Will er die US-Militärhilfe von jährlich 1,3 Milliarden Dollar
       nicht riskieren, dann muss er jeden Schritt gegen Israel gut bedenken. Das
       letzte, was Kairo braucht, ist eine Eskalation im Gazastreifen.
       
       Die Hamas schien schon zum Einlenken bereit, als die Luftwaffe den
       tödlichen Sprengstoff auf den Armeechef abwarf. „Al-Dschabari stand kurz
       vor der Unterzeichnung eines langfristigen Waffenstillstandes“, berichtet
       die liberale Haaretz am Wochenende.
       
       ## Unklare Hamas-Führungsfrage
       
       Unklar ist jetzt, wer das Kommando hat. Al-Dschabari galt als unantastbarer
       Chef der Militärs, der sich von der politischen Führung nicht reinreden
       ließ. Offiziell gibt es noch keinen Nachfolger für den getöteten Armeechef.
       Die Kämpfer setzen nach dem Tod ihres Kommandanten jetzt wieder ganz auf
       Rache.
       
       Die politische Führung setzte im Vorfeld des Krieges immer deutlicher auf
       eine zumindest temporäre Abkehr vom bewaffneten Widerstandskampf. Khaled
       Mashal, noch Politbürochef der Hamas, kehrte nach jahrelangem Exil in
       Syrien Präsident Baschar Al-Assad den Rücken und zog nach Qatar. Der
       Ortswechsel signalisierte einen möglichen Kurswechsel weg von der
       syrisch-iranischen Schiene hin zu moderateren arabisch-muslimischen
       Staaten, wie Ägypten und die Türkei. Qatar pflegt gute Beziehungen zur
       Hamas aber auch zum Weißen Haus.
       
       Mashals Einfluss innerhalb der Hamas schrumpft indes. Schon vor Monaten
       kündigte er an, zum Jahresende von seinem Amt abzutreten. Mögliche
       Nachfolger sind sein Stellvertreter Mussa Abu Marsuk und die beiden
       Spitzenpolitiker im Gazastreifen. Hamas-Regierungschef Ismail Haniyyeh gilt
       als der Pragmatiker unter den Islamisten, Aussenminister Mahmud Sahar als
       der „Hardliner“.
       
       17 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Knaul
       
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