# taz.de -- Netzüberwachung in den USA: Der militärisch-digitale Komplex
       
       > An einem neuen Überwachungsgesetz sind die USA bisher vorbeigeschrammt.
       > Doch Militär und Digitalindustrie arbeiten eng zusammen.
       
 (IMG) Bild: Privatsphäre? Wo denn?
       
       Weltweit machte sich unter Bürgerrechtlern Erleichterung breit, als Ende
       letzter Woche klar wurde, dass der US-amerikanische Senat den Cyber
       Intelligence Sharing and Protection Act nicht verabschieden will. Das
       Gesetz – kurz Cispa – sollte es Behörden und Internetunternehmen
       ermöglichen, zur Abwehr und Prävention unklar definierter Cyberbedrohungen
       Daten auszutauschen.
       
       Anstatt über das zivile Ministerium für Innere Sicherheit sollte die
       Kommunikation auch direkt über den Militärnachrichtendienst NSA laufen.
       Wegen Verletzungen von Persönlichkeitsrechten könnten Internetunternehmen
       im Rahmen dieser Zusammenarbeit [1][nicht belangt werden.] Cispa hätte
       Bürgerrechte und die Trennung von Institutionen teilweise aufgehoben. Es
       wäre eine Art permanentes Cyber-Notstandsgesetz gegen wirkliche und
       angenommene Bedrohungen durch chinesische, russische und iranische
       Cyberangriffe.
       
       In dieser Form wurde der Gesetzentwurf nicht zur Rechtswirklichkeit. Aber
       sein Ende wird das nicht sein.
       
       Denn viele große Unternehmen der Digitalindustrie [2][befürworten ihn:]
       darunter der Suchmaschinenkonzern Google, der Computerhersteller Apple und
       der Telekommunikationsanbieter AT & T. Um das Überwachungsgesetz zu pushen,
       haben seine Unterstützer von 2011 bis 2012 etwa 605 Millionen Dollar
       [3][für Lobbyismus ausgegeben.] 
       
       ## 10.000 Nachfragen zu Nutzerdaten
       
       Zunächst ist Cispa schlicht deshalb in ihrem Interesse, weil es durchaus
       dazu geeignet ist, mehr Schutz vor Cyberangriffen zu bieten. Träte es in
       Kraft, könnten Angreifer leichter lokalisiert werden. Aber das Gesetz wäre
       auch eine juristische Grundlage für den bereits stattfindenden
       Datenaustausch zwischen Industrie und Behörden. Andere sehen es als den
       Versuch einer Institutionalisierung des „militärisch-digitalen Komplexes“,
       einer immer weiter gehenden Interessenverflechtung zwischen Militär und
       Digitalindustrie.
       
       Bislang spielt sich der Datentausch zwischen Kommunikationsunternehmen und
       Staat in einer rechtlichen Grauzone ab. Die Behörden können Informationen
       zwar seit dem Patriot Act von 2001 in Fragen der nationalen Sicherheit auch
       ohne richterlichen Beschluss verlangen, doch die Verfassungskonformität
       gilt als strittig.
       
       Das Ausmaß der Telefon- und Internetüberwachung in den USA war nie größer.
       2011 hat etwa Google mindestens 10.000 Nachfragen zu Nutzerdaten von
       amerikanischen Behörden erhalten und 93 Prozent davon beantwortet.
       
       Bei Twitter waren es [4][in derselben Zeit über 1.000.] Allein bei den
       Handyanbietern gingen 2011 1,3 Millionen Anfragen ein. Bei dem Telefon- und
       Internetanbieter AT & T kümmern sich derzeit etwa hundert Vollzeitkräfte
       nur um die Zusammenarbeit mit der Exekutive, [5][siebzig beim Konkurrenten
       Verizon.] 
       
       ## Überwachung ohne richterlichen Beschluss
       
       Besonders krass war die Netzüberwachung durch den Militärnachrichtendienst
       NSA bei AT & T, die 2006 der Whistleblower Mark Klein öffentlich machte,
       ein ehemaliger Techniker des Unternehmens. Jahrelang hat die Firma in einer
       ihrer Schaltzentralen einen Raum des Militärnachrichtendiensts NSA
       geduldet, der in- und ausländischen Internetverkehr abgefangen hat. Nach
       Aussage eines Ex-NSA-Mitarbeiters soll es zwanzig weitere solcher Räume
       [6][in den USA gegeben haben.] Ohne richterlichen Beschluss.
       
       Die Electronic Frontier Foundation, eine Organisation für digitale
       Bürgerrechte, reichte damals [7][eine Sammelklage von AT & T-Kunden gegen
       das Unternehmen ein]. Erfolglos.
       
       Denn ein 2008 erlassener Zusatz zum Foreign Intelligence Surveillance Act
       schuf rückwirkend die Rechtsgrundlage. Allerdings setzt das Gesetz
       eigentlich voraus, dass nur Kommunikation mit dem Ausland überwacht wird,
       was nicht so war. Die Foundation möchte den Fall wieder aufrollen.
       
       Verständlicherweise hat die Digitalindustrie ein Interesse an der
       praktischen Herstellung ihrer Immunität gegenüber solchen möglicherweise
       kostspieligen Klagen. Cispa würde diese Immunität explizit gewährleisten.
       Das Ziel des Gesetzes – Sicherheit – könnte als Begründung vieler
       Überwachungsvorgänge dienen.
       
       ## 800 Millionen Dollar mehr für den Cyberwar
       
       Eine tiefer gehende Erklärung für die Unterstützung der Industrie für Cispa
       bieten der Kommunikationsökonom Robert W. McChesney und ein Forscherteam,
       der Jurist Jerry Brito und der Ökonom Tate Watkins. Sie argumentieren
       unabhängig voneinander, ein „militärisch-digitaler Komplex“ sei entstanden,
       eine wechselseitige Abhängigkeit von Staat und Digitalindustrie. Sie führe
       dazu, dass die Interessen des einen letztlich die Interessen der anderen
       seien.
       
       Mehr Cybersicherheit, mehr Überwachung bedeuteten mehr Jobs, die Politiker
       beim Volk beliebt machten und die heimische Wirtschaft ankurbelten, und
       mehr lukrative Staatsaufträge, von denen die Industrie lebe. So komme es,
       ähnlich wie im Kalten Krieg und im Fall des Irakkriegs, zu einer
       rhetorischen Inflation von Gefahren und einer realen Inflation von
       Gegenmaßnahmen.
       
       Obwohl auch US-Präsident Barack Obama Cispa kritisch sieht, war besonders
       seine Regierung aktiv in der Cyberrüstung. Noch vor seiner Amtseinführung
       2009 wurde die Commission on Cybersecurity for the 44th Presidency
       gegründet, die neben Politikern und Geheimdienstlern Vertreter von
       Microsoft, AT & T, IBM, Oracle, Sun Microsystems, Cisco, McAfee und des
       Rüstungsgiganten Lockheed Martin mit einschloss – Produzenten und
       Zulieferer von Cybersicherheitsprodukten also. Die Kommission kam zu dem
       Schluss, die Regierung müsse mehr Geld für Cybersicherheit aufbringen, was
       Obama dann auch tat.
       
       Für 2014 plant Obama zwar eine drastische Kürzung der Militärausgaben, das
       Budget für den Cyberkrieg soll jedoch um 800 Millionen Dollar erhöht
       werden. 4.000 neue Stellen in dem Bereich [8][will das Pentagon schaffen.]
       Ebenso gibt das Ministerium für Innere Sicherheit nächstes Jahr 44
       Millionen mehr für IT aus, während das sonstige Budget [9][ebenfalls
       zusammenschrumpft.] 
       
       ## Ein boomendes Geschäft
       
       Bis 2015 dürften die US-amerikanischen Ausgaben für Cybersicherheit 10,5
       Milliarden jährlich betragen, weltweit etwa 140 Milliarden Dollar – ein
       boomendes Geschäft.
       
       Das Budget des Verteidigungsministeriums wird zwar bislang noch klar von
       Herstellern konventioneller Waffen dominiert, aber Technologiefirmen wie
       IBM, Hewlett Packard und Dell [10][belegen bei den Ausgaben des
       Ministeriums für Innere Sicherheit schon jetzt Spitzenplätze]. Erst jüngst
       verkündete eine wissenschaftliche Leiterin der Air Force, mit Facebook und
       Google gemeinsame [11][Strategien für Cybersicherheit zu entwickeln].
       
       Bereits 2009 formte Lockheed Martin – das größte konventionelle
       US-Rüstungsunternehmen und wichtigster Lieferant der US-Army – eine
       Cybersecurity Technology Alliance, die gemeinsame Produkte erarbeitet. Mit
       von der Partie [12][sind Digitalunternehmen wie McAfee, Cisco und Dell.] 
       
       Das Netzüberwachungsgesetz Cispa hätte eine Institutionalisierung dieser
       enger werdenden Zusammenarbeit zwischen Militär und Digitalindustrie
       bedeutet. Dieses Mal konnte sie abgewendet werden. Aber die Bedrohung für
       die Bürgerrechte ist damit nicht ausgestanden. Sie ist eine Folge einer
       wirtschaftlich bedingten Interessenverflechtung.
       
       Die USA haben jahrzehntelang unter anderem auch deswegen Krieg geführt, um
       den militärisch-industriellen Komplex am Laufen zu halten. Jetzt – im
       Zeitalter des militärisch-digitalen Komplexes – könnte sich ein solches
       Vorgehen auch gegen die Privatsphäre der eigenen Bevölkerung richten. Eine
       europäische Version von Cispa, die EU-Richtlinie zur Cybersicherheit, ist
       übrigens in Planung.
       
       5 May 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.eff.org/deeplinks/2013/02/cispa-privacy-invading-cybersecurity-spying-bill-back-congress
 (DIR) [2] http://www.digitaltrends.com/web/cispa-supporters-list-800-companies-that-could-help-uncle-sam-snag-your-data/
 (DIR) [3] http://www.usnews.com/news/articles/2013/04/19/cispa-supporters-spend-140-times-as-much-money-lobbying-as-opponents
 (DIR) [4] http://www.economist.com/node/21559331
 (DIR) [5] http://www.reuters.com/article/2012/07/09/us-usa-wireless-surveillance-idUSBRE8680TW20120709
 (DIR) [6] http://books.google.com.mx/books?id=CF5a_wfitPMC&pg=PA182&dq=Mark+Klein+cypherpunk&hl=de&sa=X&ei=8uV7Uez0IsW52AX-2IHIAg&redir_esc=y#v=onepage&q=Mark%20Klein%20cypherpunk&f=false
 (DIR) [7] http://www.eff.org/cases/hepting
 (DIR) [8] http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2013/jan/28/pentagon-cyber-security-expansion-stuxnet
 (DIR) [9] http://news.techeye.net/security/obama-promises-more-cash-for-cyber-war
 (DIR) [10] http://www.nxtbook.com/nxtbooks/kmd/hst_201304/#/26
 (DIR) [11] http://defensetech.org/2012/02/27/usaf-looking-to-silicon-valley-to-get-its-innovation-mojo-back/#ixzz2Rfx0IpNS
 (DIR) [12] http://www.lockheedmartin.com/us/what-we-do/information-technology/cyber-security/cyber-security-alliance.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johannes Thumfart
       
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