# taz.de -- Erster Tag im NSU-Prozess: Die Ungerührte
       
       > Beate Zschäpe ist wegen zehn Morden angeklagt. Zum Prozessauftakt vor dem
       > Münchner Gericht gibt sie sich abgeklärt und kühl.
       
 (IMG) Bild: Beate Zschäpe Saal des Münchner Oberlandesgerichts
       
       MÜNCHEN taz | Viele merken es erst gar nicht, dass Beate Zschäpe den
       Sitzungssaal A101 betreten hat. In ihrem dunkelblauen Hosenanzug und der
       weißen Bluse sieht sie nicht aus wie eine mutmaßliche Neonaziterroristin,
       sondern bei einem flüchtigen Blick eher wie eine Anwältin.
       
       Kurz schaut Zschäpe in den hinteren Teil des Sitzungsovals, wo Angehörige
       der zehn Mordopfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) und von
       den zwei Bombenanschlägen der Terrorgruppe Betroffene sitzen. Dann flackern
       die Blitzlichter.
       
       Zschäpe dreht sich um, kehrt den Fotografen den Rücken, verschränkt die
       Arme. Sie steht dort fünf Minuten, zehn Minuten, zwanzig Minuten. Am Ende
       wird es eine halbe Stunde sein. Sie blickt kühl und abgeklärt. Dann redet
       Beate Zschäpe anscheinend gelassen mit ihren drei Verteidigern, legt den
       Kopf in den Nacken, lächelt immer wieder. Und kaut Kaugummi. Im
       Gerichtssaal herrscht zwischenzeitlich gespenstische Stille.
       
       „Unfassbar“, raunen sich Zuschauer oben auf der Empore zu. Wie kann eine
       Frau, die als zehnfache Mörderin angeklagt ist, so selbstbewusst auftreten?
       Später, als die Fotografen und Fernsehteams draußen sind, blickt sie ohne
       erkennbare Rührung lange in Richtung der Hinterbliebenen der Opfer. Diese
       Frau soll Teil eines Tötungskommandos gewesen sein, das ihre Väter und
       Männer „hinrichtungsgleich“ erschoss, so sieht es die Bundesanwaltschaft.
       Mehrere Opfer-Angehörige, so man das von oben erkennen kann, haben Tränen
       in den Augen.
       
       So hat am Montag der lang erwartete Prozess gegen Beate Zschäpe, das
       mutmaßlich letzte lebende Mitglied des NSU, und vier Helfer der
       Terrorgruppe begonnen. Mit einem Auftritt der 38-jährigen Hauptangeklagten,
       der verstört angesichts der ihr drohenden Strafe: lebenslange Haft mit
       anschließender Sicherungsverwahrung.
       
       ## Anträge vor der Anklageverlesung
       
       Danach ging es weiter, wie viele Beobachter erwartet hatten: zäh. Noch
       bevor die Bundesanwaltschaft die Anklage verlesen konnte, stellten die
       Verteidiger der Angeklagten diverse Anträge. Mehrmals musste der Prozess
       unterbrochen werden.
       
       Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm hatten
       schon zwei Tage vor Prozessbeginn einen Befangenheitsantrag gegen den
       Vorsitzenden Richter Manfred Götzl an das Münchner Oberlandesgericht
       gefaxt, den einer von ihnen am Montag länglich vortrug. Sie halten Götzls
       Verfügung, alle Rechtsanwälte aus Sicherheitsgründen durchsuchen zu lassen
       – Richter, Bundesanwälte, Justizbedienstete und Polizisten dagegen nicht –,
       für „offene Diskriminierung“.
       
       Einer der Nebenklagevertreter, Reinhard Schön aus Köln, warf den
       Zschäpe-Anwälten darauf vor, den Beginn des Prozesses zu verschleppen und
       so die „Qualen der Opfer zu verlängern“. Das sei angesichts der schlimmsten
       faschistischen Verbrechen der Nachkriegsgeschichte ungehörig. Zschäpes
       Anwälte wiesen das zurück. Ihre Mandantin sei mit der „maximalen Anklage“
       konfrontiert. Da müsse sie sich mit allen Mitteln verteidigen, ergo auch
       einen Befangenheitsantrag stellen dürfen.
       
       Am Nachmittag folgte noch ein Befangenheitsantrag eines weiteren
       Angeklagten gegen mehrere Richter. Und weil das Gericht über diese Anträge
       erst mal in Ruhe entscheiden muss, hat der Senat zwei weitere
       Prozesstermine für diese Woche abgesagt. Die Anklage konnte gar nicht mehr
       verlesen werden.
       
       ## Mit Sonnenbrille im Gerichtssaal
       
       Spannend war an diesem ersten von womöglich über 200 Prozesstagen also vor
       allem, wie sich die fünf Angeklagten präsentierten. André E., 33, ein
       überzeugter Neonazi, dem die Bundesanwaltschaft unter anderem Unterstützung
       einer Terrorgruppe vorwirft, kam mit Sonnenbrille in den Gerichtssaal.
       Später fläzte der muskulöse Rechtsextreme provokativ auf der vordersten der
       drei Anklagebänke. Von ihm ist kaum Reue zu erwarten. Zu den Vorwürfen
       schweigt er.
       
       Von dem ehemaligen Thüringer NPD-Funktionär Ralf Wohlleben, 38, darf man
       auch keine Abkehr von seiner Hassideologie erhoffen. Ihm wird Beihilfe zu
       neun Morden vorgeworfen; er soll dem NSU die Pistole verschafft haben, mit
       der die Terroristen in Nürnberg, München, Kassel, Hamburg, Dortmund und
       Rostock neun Migranten erschossen.
       
       Wohlleben wird vor Gericht von der Szeneanwältin Nicole Schneiders
       vertreten, die früher einmal im selben NPD-Kreisverband wie er mitmischte.
       Beim Prozessauftakt hatte Schneiders zwischen ihren Unterlagen eine
       verschwörungstheoretische rechte Postille liegen. Für die weitere
       Verfahrensstrategie lässt das Übles befürchten.
       
       ## Neonazis auf der Empore
       
       Auf der hinteren Anklagebank sitzen mit Holger G., 39, und Carsten S., 33,
       dagegen zwei Männer, die zwar mutmaßlich ebenfalls schwere Schuld auf sich
       geladen haben, allerdings mit ihren Aussagen gegenüber den Ermittlern schon
       einiges zur Aufklärung der Taten beitrugen.
       
       Auf der Zuschauerempore fand sich zum Auftakt des Prozesses auch eine
       Delegation türkischer Parlamentarier ein, zu erkennen an ihren roten
       Ansteckern. Auch der türkische Botschafter, Hüseyin Avni Karslioglu, saß
       mit dabei. „Es ist wichtig, dass der Prozess nun endlich angefangen hat,
       vor allem für die Familien der Opfer“, sagte Karslioglu in einer Pause.
       „Wir verfolgen das weitere Verfahren mit großer Aufmerksamkeit.“ Doch auch
       zwei Neonazis gelangten auf die Empore. Weil sie nicht störten, durften sie
       bleiben.
       
       Der NSU-Prozess wird am 14. Mai fortgesetzt. Mit einem Urteil ist womöglich
       erst für das Jahr 2015 zu rechnen.
       
       6 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolf Schmidt
 (DIR) Wolf Schmidt
       
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