# taz.de -- Türkischer Jurist über NSU-Prozess: „Keine Rücksicht für die Opfer“
       
       > Der Verfassungsrechtler Osman Can findet den Richter souverän und
       > korrekt. Der Schmerz der Opferangehörigen stehe dahinter zurück.
       
 (IMG) Bild: Der Schmerz der Opfer ist hier nachrangig.
       
       taz: Herr Can, als Teilnehmer der türkischen Delegation haben Sie den
       Auftakt des NSU-Prozesses in München verfolgt. Wie haben Sie diesen Tag
       erlebt? 
       
       Osman Can: Ich bin Jurist. Mich faszinieren in erster Linie die
       juristischen Zusammenhänge. Da ist am ersten Prozesstag noch nicht viel
       passiert. Vielleicht so viel: Ich habe den Eindruck, dass der Vorsitzende
       Richter seine Sache sehr souverän macht.
       
       Nach dem Prozessauftakt haben Sie die Angehörigen der Opfer beim Empfang
       des Botschafters im türkischen Konsulat in München getroffen. Worüber haben
       Sie sich unterhalten? 
       
       Die Angehörigen waren schockiert, dass der Vorsitzende Richter den Prozess
       gleich zu Beginn noch einmal vertagt hat. Wir haben versucht, ihnen zu
       vermitteln, dass sie Geduld haben müssen. Bei einem Strafprozess müssen die
       Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit eingehalten werden. Selbstverständlich
       gilt die Unschuldsvermutung. Alles verläuft nach Regeln. Aber diese Regeln
       nehmen keine Rücksicht auf den Schmerz der Opfer.
       
       Welche Bedeutung hat der NSU-Prozess in der Türkei? 
       
       In der Türkei gibt es derzeit eine ganze Reihe wichtiger Themen: Die
       Syrienkrise, die Diskussion um die Verfassungsänderung. Deshalb ist der
       Prozess nur eins von mehreren Themen – aber er wird verfolgt. Vor allem im
       Fernsehen wurde vom Prozessauftakt viel berichtet. Von den Printmedien
       hätte ich mir eine ausführlichere Berichterstattung gewünscht.
       
       Die AKP verdankt ihren Wahlsieg 2007 auch den türkischen Staatsbürgern in
       Deutschland. Rund 60 Prozent der türkischen WählerInnen in Deutschland
       haben für die AKP gestimmt. Ist der NSU-Prozess für Ihre Partei deshalb so
       wichtig? 
       
       Natürlich interessiert es uns, wenn unsere Bürger ermordet werden. Aber das
       ist nicht das Wichtigste. Bei den Taten des NSU handelt es sich um Morde,
       die aus rassistischen Motiven verübt wurden. Hier sind die Demokratie und
       die Grundwerte der Menschheit bedroht. Daher werden wir den Prozess, aber
       auch die politischen Entscheidungen zu diesem Thema sehr genau unter die
       Lupe nehmen.
       
       Im Vorfeld des Prozesses war von türkischer Seite zu hören, der deutsche
       Staat habe den NSU unterstützt. Deutsche Kommentatoren kontern, solche
       Vermutungen basierten auf der Erfahrung mit dem türkischen Staatsapparat,
       der selbst in kriminelle Machenschaften verwickelt war. 
       
       Wir können uns gegenseitig Schuld zuweisen, aber das ist wenig sinnvoll.
       Auch in der Türkei lief nicht immer alles rund. Dagegen haben wir schon
       viel gekämpft und tun es noch, etwa mit dem geplanten
       Verfassungsgebungsprozess. Auch gibt es Parallelen zwischen dem deutschen
       und dem türkischen Staat, was auf das preußisch-bürokratische Erbe
       zurückzuführen ist. Es ist unbestritten, dass zweifelhafte Dinge ans Licht
       gekommen sind: die Verwicklung des Verfassungsschutzes, das systematische
       Versagen der Polizei. Da kann der Eindruck entstehen, die Taten seien von
       staatlicher Seite gedeckt worden. Deshalb ist es in der Türkei wie auch in
       Deutschland wichtig, dass die Politik dafür sorgt, dass kein Staat im Staat
       entsteht.
       
       14 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marlene Halser
       
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