# taz.de -- Debatte zum Euro: Ein wohnliches europäisches Haus
       
       > Es gibt gute Gründe für die Währungsunion in Europa. Dazu muss sie aber
       > auch zu einer Fiskal- und Sozialunion umgebaut werden.
       
 (IMG) Bild: Für Elmar Altvater eine Karnevalslösung.
       
       Beim Nachdenken über Geld sind schon viele Menschen verrückt geworden,
       insbesondere wenn sie sich mit Geld im Plural beschäftigen mussten, mit
       Währungen also. Da herrschen die „kunterbuntesten und widersprechendsten
       Vorstellungen“. Das hat Marx von den Theorien über Geld im 19. Jahrhundert
       geschrieben. In einer Welt mit Dollar, Yuan, Sonderziehungsrechten,
       Fränkli, Euro und weiteren etwa 160 Währungen wird die monetäre
       Vorstellungswelt chaotisch.
       
       Daher ist der Mut von Ökonomen und Politikern beeindruckend, wenn sie einen
       Masterplan nach dem anderen zur Überwindung der aktuellen Krise der
       (Noch)-Leitwährung Euro entwerfen. Vollgeldfantasien in der Tradition
       Silvio Gesells oder der US-amerikanischen Ökonomen Irving Fisher und Henry
       Simons aus den 30er Jahren, die vom Internationalen Währungsfonds (IWF)
       anlässlich der Finanz- und Währungskrise aus der Kiste geholt werden,
       gehören ebenso dazu wie das Kommando „Zurück zu nationalen Währungen“, auch
       in der deutsch-karnevalesken Version „Wir wollen unsere D-Mark
       wiederhaben“.
       
       Manche erinnern sich positiv an das Europäische Währungssystem zwischen
       1979 und 1991 und an dessen Anpassungsmechanismen innerhalb eines Korridors
       von Kursbewegungen. Einige rufen auch zum großen Sprung nach vorn, zur
       Vervollständigung der heutigen Europäischen Währungsunion durch eine
       politische Union, um so aus dem halben Euro ein richtiges Eurogeld zu
       erschaffen.
       
       Dass die Europäische Währungsunion etwa 20 Jahre nach dem
       Maastricht-Vertrag an einem Scheideweg angekommen ist, kann nicht
       bestritten werden. Die wirtschaftliche und soziale Lage im Euroraum, die
       Arbeitslosigkeit, die Verarmung, ja der Hunger, der Verlust des Zugangs zu
       Medizin und ärztlichen Leistungen, zu den Institutionen von Bildung und
       Ausbildung, die politische Perspektiv- und Fantasielosigkeit sind
       unhaltbar.
       
       ## Das Diktat des Sachzwangs
       
       Das Geld ist – so drücken es Ökonomen aus – eine „harte Budgetrestriktion“:
       ein Sachzwang, der mit großer Rücksichtslosigkeit in der gegenwärtigen
       Krise von der Troika aus Europäischer Kommission, IWF und EZB ausgeübt
       wird. Millionen Menschen leiden unter deren Diktat. Aber wir wissen nicht
       nur von der Gewalt des Geldes, sondern auch davon, dass es ein soziales
       Konstrukt ist und Gestaltungsmöglichkeiten existieren.
       
       Das Geld ist das reale Gemeinwesen, heißt es bei Marx. Das europäische
       Geld, der Euro, ist nicht besser als das „europäische Haus“. Also kann man
       das Geld dem maroden Zustand des europäischen Projekts anpassen und die
       Währungsunion mehr oder weniger „geordnet“ auflösen und zu nationalen
       Währungen zurückkehren – oder das europäische Haus wohnlicher, sozialer,
       menschlicher gestalten und die Währungsunion zu einer Fiskal- und
       Sozialunion weiterentwickeln.
       
       Das genau sind die Alternativen: „Trennt euch“, rät der frühere Chefökonom
       der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Unctad)
       Heiner Flassbeck der zerstrittenen europäischen Familie, ohne ihr
       mitzuteilen, wie mit dem dann ausbrechenden Chaos umzugehen sei. Denn dass
       die Trennung „geordnet“ verläuft, glaubt wohl auch Flassbeck nicht.
       
       Haltet es mit Willy Brandt, „es wächst zusammen, was zusammengehört“, sagen
       andere. Europa gehöre vereint, es sei das Friedensprojekt der Jahrzehnte
       nach dem schrecklichen Zweiten Weltkrieg, die Bedingung für Demokratie und
       Sozialstaat. Für beide Alternativen sprechen gute Argumente. Gute Argumente
       können mit der Zeit möglicherweise aber schlecht werden. Michail
       Gorbatschow hat ja recht: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
       
       ## Weltweite Überakkumulationskrise
       
       Zu Beginn der 1990er Jahre wäre es richtig gewesen, den Euroraum nicht zu
       schaffen. Keine der Bedingungen für einen „optimalen Währungsraum“ war
       erfüllt. Die Produktivitätsentwicklung in der Europäischen Union und die
       Systeme der Lohnbildung waren für eine Einheitswährung zu uneinheitlich.
       Seitdem sind aber zwei Jahrzehnte vergangen und die Uhr kann man nicht
       zurückdrehen. Auf den Finanzmärkten wird heute noch wilder spekuliert als
       zu Maastricht-Zeiten: ob die Eurozone in der gegenwärtigen Zusammensetzung
       existiert oder nicht. Die Überakkumulationskrise hat heute nicht nur Europa
       erfasst. Sie blockiert konjunkturelle Impulse vom Weltmarkt.
       
       Es sind inzwischen auch neue Währungen am Währungshimmel aufgetaucht. Der
       chinesische Renminbi, die BRICs-Währungen, einige Währungsverbünde, etwa in
       Lateinamerika oder am Golf, rücken in die Rolle regionaler Leitwährungen
       auf. So entsteht eine sehr instabile Situation, die von den Banken und
       Fonds auf den globalen Finanzmärkten ausgenutzt wird.
       
       Welche Währung wird die Ölwährung sein, in der die Ölimporte bezahlt werden
       müssen? Und welche Währung wird, wenn der Euroraum abgeschafft worden sein
       sollte, die Ankerwährung sein, an deren Stabilitätskriterien sich die
       Zentralbanken der schwächeren Währungen mehr oder weniger freiwillig
       orientieren? Vor Bildung des Euroraums war dies die D-Mark, was zur Folge
       hatte, dass die Geldpolitik Frankreichs oder Italiens nicht in Paris oder
       Rom, sondern in Frankfurt gemacht wurde. Genau dies war ein starker
       Beweggrund, den Euro zu schaffen.
       
       ## Schnäppchenjäger aus Aufwertungsländern
       
       Die Brisanz der ungünstigen Rahmenbedingungen würde sich nach einer
       Abwertung, die in den südeuropäischen Euroländern unweigerlich einem
       Verlassen der Eurozone folgt, schnell zeigen. Weil Importe mehr kosten,
       würden die Lebenshaltungskosten steigen. Zudem kann der Markt von
       Schnäppchenjägern aus den Aufwertungsländern leer gekauft werden.
       
       Die Umverteilung zulasten schwacher Länder und armer Menschen würde
       beschleunigt, ohne dass die reale Wettbewerbsfähigkeit besser würde. Das
       könnte auch nicht durch Kapitalverkehrskontrollen, wie sie Flassbeck und
       Costas Lapavitsas vorschlagen, verhindert werden. Dazu bedarf es auch einer
       Bankenkontrolle und vor allem einer Entschuldung. Diese ist schwer genug
       durchsetzen, aber innerhalb einer Europäischen Währungsunion leichter als
       in einem System mit einem deutsch dominierten Euro als Ankerwährung.
       
       3 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elmar Altvater
       
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