# taz.de -- Zahl der Obdachlosen steigt: Miete frisst Einkommen
       
       > Viele Menschen können sich keine Wohnung mehr leisten. Schuld daran sind
       > sozialpolitische Fehlentscheidungen. Doch die Bundespolitik schweigt.
       
 (IMG) Bild: Die Angst, die eigene Wohnung zu verlieren, greift um sich
       
       FRANKFURT/MAIN taz | Die Zahl der Menschen ohne eigene Wohnung ist in
       Deutschland weiter angestiegen. In einer am Donnerstag präsentierten
       Schätzung geht die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) von
       284.000 Menschen aus, die im vergangenen Jahr über keinen mietvertraglich
       abgesicherten Wohnraum verfügten.
       
       Dazu zählen Menschen, die in Notunterkünften, Heimen oder Frauenhäusern
       leben ebenso wie solche, die kurzfristig bei Freunden unterkommen oder von
       den Behörden ohne Mietvertrag in Wohnräume eingewiesen werden. Zu den
       Wohnungslosen gehören außerdem die klassisch Obdachlosen, also Menschen,
       die ohne jegliche Unterkunft auf der Straße leben. Ihre Zahl stieg seit dem
       Jahr 2010 von 22.000 auf inzwischen 24.000 an.
       
       Da es eine von Sozialverbänden seit Langem geforderte offizielle
       bundesweite Statistik nicht gibt, muss die BAGW die Zahlen schätzen.
       Demnach waren es 2010 noch 248.000 Wohnungslose – dies bedeutet einen
       Anstieg um rund 15 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Während die Zahlen
       seit Mitte der 90er rückläufig waren, steigen sie seit 2008 wieder an.
       
       Als einen der Hauptgründe für diesen „drastischen Anstieg der
       Wohnungslosigkeit“ sieht Thomas Specht, Geschäftsführer der BAGW, vor allem
       die steigenden Mietpreise bei gleichzeitig schrumpfendem Bestand an
       Sozialwohnungen. Außerdem sei eine „Zunahme der Verarmung der unteren
       Einkommensgruppen“ zu verzeichnen, so Specht. „Die Schere zwischen
       verfügbarem Einkommen und dem Angebot an erschwinglichen Wohnungen geht
       immer weiter auseinander. Viele Menschen mit geringen Einkommen können sich
       keine Wohnung mehr leisten.“
       
       ## Erst das Essen, dann die Miete
       
       Tatsächlich steigt der Anteil der Mietkosten am Einkommen, besonders für
       arme Menschen: In 60 der 100 größten deutschen Städte haben
       einkommensschwache Familien nach Abzug der Mieten durchschnittlich weniger
       als den Hartz-IV-Regelsatz zur Verfügung, so eine aktuelle Studie der
       Bertelsmann-Stiftung.
       
       „Bevor die Menschen hungern oder frieren, zahlen sie ihre Mieten nicht
       regelmäßig“, erklärt Specht die häufig auftretende Situation, die zum
       Verlust der Wohnung führen kann. Dafür macht Specht auch „schwerwiegende
       sozialpolitische Fehlentscheidungen“ verantwortlich, vor allem die zu
       niedrige Mietobergrenze in der Grundsicherung sowie Sanktionierungen bei
       den Kosten der Unterkunft. Rund 25.000 der Wohnungsverluste im Jahre 2012
       waren laut BAGW Zwangsräumungen.
       
       Specht plädiert vehement für die Einführung einer Mietpreisbremse, die den
       Anstieg von Neu- und Wiedervermietungsmieten bei 10 Prozent über der
       ortsüblichen Vergleichsmiete deckelt. Insgesamt sei „eine feste Verankerung
       der Wohnungspolitik auf der Ebene des Bundes sowie eine aktive soziale
       Wohnungsbaupolitik der Länder und Kommunen“ nötig.
       
       Der Bund will aber mit dieser Problematik scheinbar nichts zu tun haben:
       Ein Sprecher des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
       verweist auf die Zuständigkeit der Länder. Ebenso ein Sprecher des
       Sozialministeriums: „Für die Vermeidung und Bekämpfung von
       Wohnungslosigkeit sind in erster Linie die Kommunen als Träger der
       Sozialhilfe zuständig.“ Eine amtliche Statistik lehnt das Ministerium ab.
       
       Zwar findet Thomas Specht durchaus Lob für viele Kommunen, die „sensibler“
       für die Problematik der Wohnungslosigkeit geworden seien – „besonders in
       der Nothilfe hat sich einiges verbessert“. Dennoch fordert Specht den
       Ausbau von Fachstellen in den Kommunen: „In vielen Fällen könnte bei
       Meldung des drohenden Wohnungsverlusts an eine entsprechende Fachstelle
       Wohnungslosigkeit vermieden werden.“ Doch zu wenige Kommunen machten von
       gesetzlichen Möglichkeiten wie der Übernahme der Mietschulden Gebrauch –
       „obwohl das für die Betroffenen besser und für die Kommunen im Endeffekt
       auch billiger ist“.
       
       Die BAGW geht davon aus, dass die Zahl der Wohnungslosen bis zum Jahre 2016
       auf rund 380.000 steigen wird – „wenn sich nicht dringend etwas ändert“.
       
       1 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Timo Reuter
       
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