# taz.de -- Agrardiesel auf dem Prüfstand: Wie bio ist der Biosprit?
       
       > Was die EU heute fördert, gilt morgen vielleicht schon als pfui. Nun
       > stimmt das EU-Parlament über die Biosprit-Förderung ab
       
 (IMG) Bild: Quo vadis, Raps? Der Kreuzblütler könnte sich bald rar machen im deutschen Landschaftsbild
       
       BERLIN taz | Jörg Jacob, 66, blaues Hemd, gestreifte Krawatte, schwarze
       Nadelstreifenhose, eilt durch die warme, laute Werkshalle in einem
       Gewerbegebiet in Pritzwalk im Nordwesten Brandenburgs. Ständig klingelt
       sein Telefon, aber er will sich Zeit nehmen, um zu erklären, was er und
       seine 55 Mitarbeiter hier tun: Aus winzigen schwarzen Rapskörnern pressen
       sie den rund 40-prozentigen Ölanteil heraus, um daraus mit einer einfachen
       chemischen Reaktion Biodiesel herzustellen.
       
       Als Unternehmensberater hat Jacob Firmen aller möglichen Branchen saniert.
       Vor vier Jahren beriet er einen maroden Hersteller von Biodiesel, da hat es
       ihn gepackt: Zusammen mit Partnern kaufte er Anteile an dem Werk in
       Pritzwalk, nachdem er es durch ein Insolvenzverfahren geführt hatte.
       
       Seit Mai diesen Jahres sind Ölmühle und Biodieselwerk ausgelastet und
       produzieren jährlich insgesamt 130.000 Tonnen Biodiesel, 44.000 Tonnen
       Rapsöl, 88.000 Tonnen Rapsschrot (also Tierfutter) und 13.000 Tonnen
       Glycerin, einen Grundstoff der chemischen Industrie. Der Geschäftsführer
       der mittelständischen GBF German Biofuels GmbH könnte nun daran denken,
       Geld zu verdienen. Wenn da nicht diese Entscheidung in Straßburg wäre.
       
       Dort werden am Mittwoch die EU-Parlamentarier über die Biosprit-Politik der
       EU abstimmen und die Verwendung von Diesel aus Pflanzen womöglich stark
       einschränken.
       
       ## EU justierte nach
       
       Im Jahr 2020 sollen in der EU zehn Prozent der Energie im Transportsektor
       aus erneuerbaren Quellen stammen, so hatte es die Union beschlossen. Doch
       was gut gemeint war, zeigte gefährliche Nebenwirkungen: Wissenschaftler
       warnten vor Pflanzensprit im Tank, weil er viel zu ineffizient sei.
       Allenfalls Ethanol, also Benzin, aus Zuckerrohr und Zuckerrüben fand Gnade
       bei ihren Berechnungen. Im Diesel aus Raps, Palm- oder gar Sojaöl hingegen
       sahen sie überwiegend Nachteile: zu gering die Treibhausgas-Einsparungen,
       zu groß der Flächenverbrauch im Anbau.
       
       Entwicklungs-, Umweltorganisationen und Kirchen liefen Sturm gegen
       Agrokraftstoffe: Mais, Weizen oder Raps im Tank trieben die Preise für
       Nahrungsmittel in die Höhe, rechneten sie vor. Zudem verdrängten
       Palmölplantagen und Sojafelder wertvolle Regenwald- und Torfgebiete.
       
       Also justierte die EU nach und beschloss eine Nachhaltigkeitsverordnung:
       Nur noch solcher Biokraftstoff darf Benzin und Diesel an der Tankstelle
       beigemischt werden, durch den nachweislich keine wertvolle Natur zerstört
       wurde, und mit dem 35 Prozent Treibhausgase gegenüber fossilen Kraftstoffen
       eingespart werden. Den Kritikern reicht das nicht, sie fordern stärkere
       Beschränkungen. Die stehen nun in Straßburg zur Abstimmung.
       
       ## Deckelung der Beimischungsquoten
       
       Die Lage im Parlament ist EU-typisch komplex, aber grob sortieren sich die
       Abgeordneten in zwei etwa gleich großen Lagern: Die einen wollen Bioethanol
       und -diesel weiter wie bisher fördern. Die anderen wollen eine Obergrenze
       von 5,5 Prozent für die Beimischung von Pflanzensprit aus Ackerfrüchten
       einführen. Die restlichen 4,5 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien
       müssten durch Elektromobilität oder von Biosprit geleistet werden, die
       nicht aus Ackerfrüchten, sondern Stroh, Holz, Abfällen oder Algen bestehen.
       
       Zusätzlich zu einer Deckelung der Beimischungsquoten stehen sogenannte
       Iluc-Faktoren zur Debatte. Werden in Deutschland mehr Äcker mit Raps für
       Biodiesel bepflanzt, müssen etwa in Indonesien oder Brasilien Regenwälder
       gerodet werden, um Lebensmittel anzubauen.
       
       „Die Rapsindustrie ist direkt oder indirekt mit den globalen
       Pflanzenölmärkten verbunden“, sagt David Laborde vom International Food
       Policy Research-Institute (Ifpri) in Washington, USA, und damit mit den
       Märkten für Soja- und für Palmöl. „Sojaöl führt zur Waldvernichtung in
       Lateinamerika“, so der Autor maßgeblicher Studien zum Thema, Palmöl führe
       zu Landnutzungsänderungen in Indonesien, dessen Torfböden riesige Mengen
       Kohlendioxid speicherten. „Egal, welches Pflanzenöl wir verbrennen“, so
       Laborde, „wir nehmen damit Einfluss auf wichtige CO2-Speicher“.
       
       ## Der Iluc-Faktor
       
       Diese indirekten Effekte sollen in die Bilanzen der Biokraftstoffe
       eingerechnet werden, fordern etwa der Umwelt- und der Entwicklungsausschuss
       im EU-Parlament. Der Industrie- und der Agrarausschuss lehnen die Faktoren
       ab, ebenso wie die Bundesregierung: Iluc-Faktoren seien nicht genau zu
       berechnen und beruhten auf vielen Annahmen.
       
       Andere Maßnahmen, etwa eine Deckelung der Beimischungsquoten, seien
       effektiver. Auch wissenschaftlich ist Iluc hoch umstritten, weder
       „beobachten noch messen“ ließen sich Landnutzungsänderungen, sagt etwa
       Matthias Finkbeiner, Experte für Ökobilanzen an der TU Berlin.
       
       Auch Unternehmer Jacob sieht Iluc kritisch. „Sobald der Iluc-Faktor kommt,
       kann ich kein wettbewerbsfähiges Produkt mehr anbieten“, sagt Jacob. Für
       sein Werk in Pritzwalk bedeute er das Aus. Zwar benutzt die GBF als
       Rohstoff neben Raps auch geringe Mengen an gebrauchtem Speiseöl. Aber ganz
       kann sie die Produktion darauf nicht umstellen, dazu müsste das Unternehmen
       hohe Summen in neue Anlagen investieren.
       
       ## 17 Biosprit-Hersteller in Deutschland
       
       Zusammen mit der Uni Bielefeld hat das Werk einen Versuch mit Algensprit
       gestartet. Aber: „Wir sind noch nicht bereit für diese Technologien“, sagt
       Jacob, „die Schwierigkeiten werden unterschätzt, Pilotanlagen in den
       industriellen Maßstab zu überführen.“
       
       Kraftstoffe der zweiten und dritten Generation sind bei Parlamentariern
       derzeit groß in Mode. Vorsicht, warnt aber etwa das Wuppertal-Institut für
       Klima, Umwelt und Energie. Erstens seien diese Kraftstoffe „derzeit ohne
       Förderung nicht wettbewerbsfähig“, sagt Manfred Fischedick, Vizepräsident
       des Instituts, außerdem könnten auch diese Technologien sich als ökologisch
       problematisch erweisen. Für Jacob ist sowieso klar: „Solange die Politik
       alle fünf Jahre die Parameter ändert, investiere ich gar nichts mehr.“
       
       Derzeit gibt es noch 17 Biosprit-Hersteller in Deutschland, 15 davon
       stellen Biodiesel her, 2008 waren es noch 32. Einst wurden sie gefördert,
       um den Bauern ein zweites Standbein neben den von stetem Preisverfall
       bedrohten Lebensmitteln zu ermöglichen. „Das haben inzwischen alle
       vergessen“, schimpft Marco Gemballa. Er sitzt, 138 Kilometer nordöstlich
       von Pritzwalk, auf seinem haushohen Mähdrescher und zieht große Kreise auf
       einem Acker.
       
       ## Deutlich höhere Weizenerträge
       
       Beim Örtchen Pasenow in Mecklenburg-Vorpommern wächst Raps auf einem Feld
       bis zum Horizont. Im Frühjahr leuchtete es gelb, nun sind die Halme
       graubraun. Meter für Meter frisst sich die Maschine in die Halme und
       drischt in ihrem Inneren die schwarzen Rapskörner heraus. Etwa 3,5 Liter
       Diesel braucht Gemballas Gefährt, um eine Tonne Raps zu ernten.
       
       Gut gefedert wippt Gemballa auf seinem Sitz vor seinem
       Computer-Arbeitsplatz. Bildschirme verraten ihm Qualität und Menge der
       Ernte, Zustand der Maschinen oder seine Geschwindigkeit. „Wenn uns der
       Biodieselmarkt wegbricht“, sagt Gemballa, „dann werden die Gewinnaussichten
       schlechter und wir werden weniger Raps anbauen.“
       
       Bisher wächst der Kreuzblütler – Raps ist mit dem Kohl verwandt und kein
       Getreide – auf 55 Hektar der Agrargenossenschaft Zinzow. Er reichert den
       Boden mit Stickstoff an, seine Pfahlwurzeln dringen tief in den Boden ein,
       erklärt der Landwirtschaftsmeister. „Nach Raps habe ich deutlich höhere
       Weizenerträge und brauche weniger Stickstoffdünger“, sagt Gemballa. In der
       Fruchtfolge sei Raps daher wichtig. Um ein Drittel bis zur Hälfte wird der
       Rapsanbau in Deutschland zurückgehen, wenn der Markt für Biodiesel
       zusammenbricht, schätzt die Union zur Förderung von Ölpflanzen (Ufop).
       
       ## Irrationale Diskussion
       
       Bondan Andriyanu von der indonesischen Nichtregierungsorganisation Sawit
       Watch schaut auf andere Zahlen: Jede Minute verliere Indonesien Waldflächen
       in der Größe von 13 Fußballfeldern, führt der Aktivist aus. Eigens für die
       Entscheidung des EU-Parlaments ist er nach Europa gereist, um auf die
       verheerenden Folgen des Palmölanbaus in seiner Heimat aufmerksam zu machen.
       
       12,2 Millionen Hektar des Landes sind inzwischen mit Palmölplantagen
       bedeckt – der Waldverlust ist zum größten Treibhausgas-Emittenten in
       Indonesien geworden. Immer wieder beobachtet Sawit Watch, dass Bauern von
       ihrem Land vertrieben und Plantagen darauf errichtet werden; die
       Arbeitsbedingungen seien schlecht, Kinderarbeit sei an der Tagesordnung.
       
       Was er sich von der EU wünscht? „Stimmen Sie für die niedrigsten
       Beimischungsquoten“, sagt Bondan, „fünf Prozent oder weniger.“ Zudem solle
       die EU keine Agrarkraftstoffe aus Ackerfrüchten nutzen. Ihre
       Kohlenstoffbilanz wende sich ins Negative, wenn man etwa die
       Waldvernichtung berücksichtige. Zwölf Prozent des Palmöls – Indonesien ist
       der größte Produzent weltweit – gehen in die Produktion von Biosprit. „Wenn
       die EU Kraftstoffe aus Pflanzen weiter fördert, wie bisher, schafft sie
       eine stabile Nachfrage und einen Anreiz für die Unternehmen, noch mehr
       Plantagen anzupflanzen.
       
       „Zwölf Prozent“, schnaubt Jacob, „wenn der Markt für Biosprit in Europa
       zerstört wird, ändert sich in Indonesien gar nichts.“ Das Palmöl werde in
       die Lebensmittel- oder Chemieindustrie umgelenkt und aus Brasilien mehr
       Sojaschrot importiert, weil der eiweißreiche Raps aus Europa fehle. Diese
       ganze Diskussion sei irrational. Letztlich, sagt Jacob resigniert, könne
       die Politik natürlich entscheiden, was sie wolle, „aber verlässlich muss
       sie sein“.
       
       11 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Holdinghausen
       
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