# taz.de -- Sozialleistungen für EU-Bürger: Ein Urteil mit Pferdefuß
       
       > Das jüngste Urteil zu Hartz IV für Rumänen ist keineswegs so großzügig
       > wie viele glauben. Denn das Aufenthaltsrecht ist in Gefahr.
       
 (IMG) Bild: Wer hier erfolglos bleibt, hat ein Problem.
       
       BERLIN taz | Ein rätselhaftes Urteil sorgt für Furore. Letzte Woche
       entschied das Landessozialgericht (LSG) von NRW, dass eine rumänische
       Roma-Familie Hartz IV bekommt, weil ihre Arbeitssuche nicht
       erfolgsversprechend sei. Während Sozialverbände das Urteil begrüßten,
       warnte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), die Entscheidung sei ein
       „Anreiz für weiteren Zuzug“. Tatsächlich ist das Essener Urteil überhaupt
       nicht roma-freundlich - im Gegenteil: es enthält eine unverhohlene
       Aufforderung, arbeitslose Roma baldmöglichst abzuschieben.
       
       Konkret ging es um eine rumänische Familie mit zwei Kindern, die seit 2009
       in Gelsenkirchen lebt. Ihr Antrag auf Hartz IV wurde vom Jobcenter
       abgelehnt, weil das deutsche Recht eine ausdrückliche Ausschlussklausel
       enthält: sogenannte „arbeitssuchende“ Ausländer und ihre Angehörigen können
       kein Hartz IV bekommen (Paragraf 7 SGB II).
       
       Das LSG gewährte der Familie nun aber doch Hartz IV, da für sie die
       Ausschlussklausel nicht gelte. Sie seien nämlich nicht mehr als
       Arbeitssuchende einzustufen, da ihre bisherigen Bemühungen erfolglos
       blieben und weitere Bemühungen als „nicht erfolgversprechend“ eingeschätzt
       wurden.
       
       Das LSG war damit aber alles andere als großzügig. Auch wenn die betroffene
       Familie für die Vergangenheit Hartz IV bekommen soll, so beschreibt das LSG
       damit keinen Dauerzustand. Es bezeichnet die Roma nämlich als „EU-Bürger
       ohne Aufenthaltsgrund“. Für Holger Schönfeld, den Anwalt der
       Gelsenkirchener Familie, ist das „eine deutliche Aufforderung an die
       Ausländerbehörden, nun die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen zu ziehen“.
       
       Tatsächlich haben EU-Bürger zwar in der ganzen EU das Recht auf
       Freizügigkeit, das heißt sie können sich niederlassen, wo sie wollen – wenn
       sie Arbeit haben, wenn sie selbstständig sind oder wenn sie Arbeit suchen.
       Wenn aber EU-Bürger sonst als „nicht erwerbstätig“ gelten (zum Beispiel als
       Rentner, Studenten oder gesundheitlich nicht Erwerbsfähige) kommt es für
       das Aufenthaltsrecht darauf an, dass sie selbst für ihren Lebensunterhalt
       sorgen können.
       
       ## „Aussichtslose“ Bemühungen
       
       Es ist also ein rechtlicher Nachteil, wenn man als „nicht arbeitssuchend“
       eingestuft wird, denn dann kann ein Hartz IV-Antrag zum Verlust des
       Aufenthaltsrechts führen. Das LSG NRW will EU-Bürger dann als „nicht
       arbeitssuchend“ einstufen, wenn das Bemühen um eine Arbeitsstelle „objektiv
       aussichtslos“ ist, wie es in einer bereits begründeten ähnlichen
       Entscheidung im August hieß. Dabei sei „einem Arbeitnehmer eine Zeit zur
       Arbeitsuche von sechs bis neun Monaten einzuräumen“.
       
       Die konkrete Familie hat nun allerdings nichts zu befürchten. Denn
       inzwischen hat die Frau eine kleine Putzstelle bei einem Gelsenkirchener
       Rentner gefunden. Die Frau gilt nun als Arbeitnehmerin und hat schon
       deshalb mit ihrer Familie ein Aufenthaltsrecht in Deutschland. Den kargen
       Lohn kann sie sogar mit Hartz IV aufstocken.
       
       Anwalt Schönfeld kennt aber andere Fälle, in denen die Ausländerbehörden
       arbeitslose Roma zur Ausreise aufgefordert haben, weil ihre Arbeitssuche
       aussichtslos sei. Ob die Behörden damit durchkommen, müssen die
       Verwaltungsgerichte entscheiden.
       
       ## Eine wichtige Frage bleibt offen
       
       Die entscheidende juristische Frage hat das LSG allerdings gar nicht
       angepackt. Umstritten ist nämlich vor allem, ob es überhaupt zulässig ist,
       arbeitssuchende EU-Bürger von Hartz IV auszuschließen. Viele Juristen und
       auch deutsche Gerichte sehen in der gesetzlichen Ausschlussklausel einen
       Verstoß gegen EU-Recht, das die Gleichbehandlung von EU-Bürgern fordert.
       
       Bisher gibt es aber noch keine Grundsatzentscheidung des
       Bundessozialgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg. Das
       LSG NRW konnte mit seiner überraschenden Argumentation diese Frage offen
       lassen.
       
       Das Urteil aus Essen ist noch nicht rechtskräftig. Das Jobcenter hat
       angekündigt, Revision beim Bundessozialgericht einzulegen.
       
       14 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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