# taz.de -- Freie Theaterszene in Ungarn: Mehr als Dokumentardramen
       
       > Ungarns Regierungschef Orban krempelt nicht nur die Politik um, sondern
       > auch die Kultur. Das unabhängige Theater hat es immer schwerer.
       
 (IMG) Bild: In der freien Theaterszene verhasst: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban.
       
       BUDAPEST dpa | In der Halle H der alten Mafilm-Studios in Budapest ist an
       diesem Abend am letzten November-Wochenende jeder Sitz ausverkauft. Der
       „Kretakör“ (Kreidekreis), Teil der freien Theaterszene in Ungarn,
       [1][spielt die Eigenproduktion „Korruption“.] 
       
       Es ist ein dichtes Dokumentardrama, vollgepackt mit Informationen über die
       Funktionsweise der politischen Korruption. Das grassierende Phänomen
       verursacht in Ungarn nicht nur Milliardenschäden, sondern bringt das Land
       mehr als 20 Jahre nach der Wende auch um seine Entwicklungsperspektiven.
       
       Den trockenen Stoff hat Regisseur und Dramaturg Marton Gulyas in eine
       moderne Familiensaga gekleidet. Die Familie bereichert sich bei der
       Privatisierung nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. Der eine Bruder geht
       in die Politik und sorgt dafür, dass immer neue Gesetze Schlupflöcher für
       korrupte Insider offen lassen.
       
       Die Ziehtochter des Patriarchen übernimmt eine Bank, um Kredite zu
       manipulieren. Die Schwägerin betreibt eine wohltätige Stiftung, die zur
       Geldwäsche dient. Der Clan schwelgt im Nationalismus, wie er für die
       Selbstdarstellung der Regierung des rechts-konservativen, EU-kritischen
       Ministerpräsidenten Viktor Orban charakteristisch ist.
       
       Nach zwei Stunden verlässt das Publikum eher bedrückt den Spielort in der
       alten Filmfabrik, trotz vieler Song-Einlagen und satirischer Szenen. Die
       Familie, die da gezeigt wurde, ist fiktiv. Doch jede einzelne Machenschaft,
       die in die Handlung einfloss, hat sich so wohl auch in Ungarn ereignet: vom
       Mineralölsteuer-Betrug bis zu den manipulierten Ausschreibungen beim
       künstlich überteuerten Autobahn-Bau.
       
       ## Theater des Grauens
       
       Am anderen Ende der Stadt hat am selben Abend im Nationaltheater das
       Oratorium „Johanna auf dem Scheiterhaufen“ von Arthur Honegger Premiere.
       Seit dieser Saison führt Attila Vidnyanszky, Orbans Wunschkandidat, als
       Intendant die erste Bühne des Landes. Der Vertrag des erfolgreichen, aber
       als „liberal“ verschrienen Vorgängers Robert Alföldi wurde nicht
       verlängert.
       
       Die „Johanna“ hat Vidnyanszky selbst inszeniert. Stückwahl und Regie sind
       von seiner Programmatik durchdrungen. In der Person der Jeanne d'Arc,
       erklärte Vidnyanszky vor der Premiere, verkörpere sich die
       „Selbstaufopferung für die Nation, für die Heimat, für das Land“.
       
       Die Heldin fällt bösen politischen Mächten zum Opfer. Damit es auch
       wirklich jeder im Publikum versteht, lässt Vidnyanszky die Finsterlinge mit
       übergroßen Spielkarten agieren. Auf diesen prangen die Namen bekannter
       westlicher Zeitungen, wie Die Zeit, Figaro, Le Monde, darunter stehen die
       Karikaturen von europäischen Politikern wie Martin Schulz, Daniel
       Cohn-Bendit und Rui Tavares. Ihnen gemeinsam ist, dass sie Orban wegen
       seiner autoritären Machtausübung kritisiert haben.
       
       ## Förderung wurde auf ein Zehntel gekürzt
       
       Während Vidnyanszky bei seinem ideell linientreuen Theater aus dem Vollen
       schöpfen kann, ringen kritische Theatermacher wie die Leute vom „Kretakör“
       ums Überleben. „Unsere Förderung wurde auf ein Zehntel des Umfangs gekürzt,
       den sie vor dem Regierungswechsel 2010 ausmachte“, stellt Marton Gulyas
       fest. „Die Kulturpolitik will ihr eigenes Narrativ durchsetzen. Darin hat
       das, was wir machen, keinen Platz.“
       
       Die „Umprogrammierung“ des Theaterlebens durch die rechte Kulturpolitik hat
       im Ausland Solidarisierungseffekte hervorgerufen. Es gab Petitionen und
       Aufrufe. Matthias Hartmann, der Intendant des Wiener Burgtheaters, reiste
       im vergangenen Sommer nach Budapest, um dem zuständigen Minister Zoltan
       Balog ins Gewissen zu reden. Anschließend stellten freilich beide Seiten
       den Verlauf des Gesprächs völlig unterschiedlich dar.
       
       Derlei Debatten müssen offenbar öffentlich geführt werden, um nicht ganz in
       Unverbindlichkeit zu münden. Die grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung
       [2][organisiert deshalb am Sonntag in Berlin eine Konferenz] unter dem
       Titel „Whatever happened... to the Hungarian Theatre?“
       
       Immerhin sollen da Vidnyanszky, Arpad Schilling, der künstlerische Leiter
       des „Kretakör“, und Laszlo L. Simon, der Präsident der für die
       Kulturförderungen zuständigen staatlichen Stiftung MKA, am Tisch sitzen.
       
       4 Dec 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.kretakor.eu/en/index/
 (DIR) [2] http://calendar.boell.de/de/theater-ungarn
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gregor Mayer
       
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