# taz.de -- Ungarns Umbau der Kultur: Anfang vom Ende der Kunstfreiheit
       
       > Die Kunsthalle Budapest wird von der konservativen Kunstakademie
       > übernommen. Die aktuelle Ausstellung besiegelt das Ende eines liberalen
       > Hauses.
       
 (IMG) Bild: Installationsansicht aus der Kunsthalle Budapest, Dokumentation zu Robert Smithsons "Spiral Jetty"
       
       Diente die Kunsthalle Budapest, Mücsarnok, noch bis 1989 vornehmlich zur
       Repräsentation nationaler Kunst, hat sie sich in den nachfolgenden Jahren
       mit internationalen Wechselausstellungen zu einem bedeutenden
       Ausstellungsort für Gegenwartskunst gemausert. Nur noch die Hälfte der
       Ausgestellten sind heute UngarInnen.
       
       Ab Januar könnte sich dies ändern, dann nämlich wird die Ungarische
       Akademie der Künste (MMA) unter der Leitung des erzkonservativen
       81-jährigen Innenarchitekten György Fekete das Traditionshaus übernehmen
       und einen neuen Direktor ernennen.
       
       „Ich sehe keine Perspektive für die Kunsthalle“, sagt der jetzige
       Chef-Kurator, József Készman, „und auch nicht für die Kultur.“ Als die 1992
       als privater Verein konservativer Künstler gegründete MMA 2012 von der
       national-konservativen Regierung von Viktor Orbán in der neuen Verfassung
       verankert und in den Stand einer quasi staatlichen Einrichtung gehoben
       wurde, hatte man in der Kunsthalle zunächst noch geglaubt, es würde sich
       kaum etwas ändern.
       
       Spätestens Ende letzten Jahres aber war klar: Mit der Übernahme kommt ein
       neuer Direktor, ein neues Programm, eine neues Kunstverständnis. „Die
       Kunsthalle funktioniert als visuelle Werkstadt, Direktoren kamen und
       gingen, aber es blieb immer ein professionelles Team“, sagt József Készman.
       „Jetzt sieht es so aus, als würde unsere kuratorische Arbeit nicht mehr
       gebraucht werden.“
       
       Für die ungarische Kunstszene, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten aus
       dem Klammergriff des Staates befreit hatte, ist diese neue Bevormundung
       eine kulturpolitische Katastrophe.
       
       ## Proteste gegen die Pläne der Regierung Orbán
       
       Gegen die Pläne der Regierung hatten die Mitarbeiter der Kunsthalle im
       Oktober in einem offenen Brief protestiert. Genutzt hatte das nichts. Daher
       schließen einige, darunter auch József Készman, der seit elf Jahren an der
       Kunsthalle ist, eine Kündigung zum März nicht aus.
       
       Der Termin ist mit Bedacht gewählt: Bis zum 23. Februar nämlich läuft noch
       die Ausstellung „Entropy of a City“, die ausgewählte Werke zeitgenössischer
       Videokunst aus der Düsseldorfer Julia Stoschek Collection zeigt. Sie soll
       einen Schlusspunkt bilden. „Wir wollten noch einmal zeigen, was
       zeitgenössische Kunst für uns ist“, sagt die Kuratorin Lívia Rószás.
       
       ## Ausstellung moderner Videokunst
       
       Das Ausstellungsthema ist der Thermodynamik entlehnt. Der US-amerikanische
       Land-Art-Künstler Robert Smithson hatte die Entropie als Kernelement seiner
       künstlerischen Praxis neu definiert. Schließlich ist gerade der urbane Raum
       ein Ergebnis von Fremdeinwirkungen.
       
       Die 26 filmisch-dokumentarischen Arbeiten sind an realen Orten und im
       virtuellen Raum entstanden, auf Blu-Ray, Dia, DVD, 16- und
       25-mm-Zelluloid-Film gebannt. „Alles hier reflektiert den urbanen Raum und
       seine Beziehung zu den Menschen“, sagt Lívia Rózsás.
       
       Und die Kunsthalle ist ein passender Ort, um die konfliktreiche Beziehung
       zwischen Gesellschaft und dem sie umgebenden Raum zu zeigen: ein imposanter
       frei stehender Bau am Budapester Heldenplatz, entworfen Ende des 19.
       Jahrhunderts von Albert Schickedanz und Fülöp Herzog.
       
       Selbst die großflächigen Installationen wirken in der neoklassizistischen
       Monumentalarchitektur klein – und dominieren mit ihren zwischen den
       korinthischen Säulen widerhallenden Geräuschen doch das Haus.
       
       ## Einfluss der Architektur
       
       Tritt man durch das Hauptportal, steht man zunächst im Dunkeln. Körnige,
       sich langsam verändernden Projektionen von Innen- und Außenräumen der
       schwedischen Videokünstlerin Klara Lidén tauchen den tiefen Raum für die
       kurze Zeit des Diawechsels immer wieder in Schwarz. Laut knacken dazu die
       Projektoren.
       
       Viele der ausgestellten KünstlerInnen kommen aus der Architektur. Der
       Belgier Francis Alýs etwa kam erst mit seiner Übersiedlung nach Mexiko zur
       Kunst und bewegt sich seither an deren Schnittpunkt zur sozialen Praxis.
       „Rehearsal I“ (2004) zeigt in Budapest den Kampf eines roten VW-Käfers mit
       einem staubigen Hügel in Mexiko: Schafft er im unsteten Zickzack ein paar
       Meter bergauf, spielt eine Mariachi-Band, fällt er zurück, verstummt sie.
       Immer wieder setzt der klapprige Kleinwagen an und scheitert doch. Ton an.
       Ton aus. Sisyphos in der Endlosschleife.
       
       ## Einschnitte in die Stadtfassaden
       
       Der US-Konzeptkünstler Gordon Matta-Clark kommt aus derselben Generation
       wie Robert Smithson, von dessen Hauptwerk „Sprial Jetty“ (1970), der
       Aufschüttung einer Erdskulptur im Great Salt Lake, Utah, die Kunsthalle
       eine Dokumentation zeigt.
       
       Mit sogenannten Cuttings zerschnitt Matta-Clark in den siebziger Jahren die
       Fassaden von Gebäuden, die für den Abriss bestimmt waren: eine anarchische
       Dekonstruktion des Raums, eine Antiarchitektur. In Budapest läuft „Conical
       Intersect“ (1975), das Einschnitte in ein mehrstöckiges Wohnhaus neben dem
       im Bau befindlichen Centre Pompidou zeigt.
       
       Immer wieder fahren Motorsägen durch die Wand, Gesteinsbrocken brechen
       heraus, bis ein kreisrundes Loch den Blick in das Innere frei gibt.
       Verstört blicken die Passanten empor. Der soziale Kontext der
       Dokumentation: die Umstrukturierung des Stadtviertels, der auch jenes
       Gebäude zum Opfer fiel – von Kunst und Haus bleibt am Ende nur der kurze
       Film.
       
       ## Von der Schönheit des Scheiterns
       
       Die Schönheit des Scheiterns fängt der junge französische Videokünstler
       Cyprien Gaillard in seinem mit wackliger Hand gefilmten „The Lake Arches“
       (2007) ein. Zwei junge Männer springen lachend kopfüber in einen
       künstlichen See, eingehegt von einem grotesk langen retrofuturistischen
       Betonkomplex. Als sie aus dem Wasser steigen, sehen wir, dass es kaum
       knietief ist: Einer hält sich die krumme Nase, Blut läuft über die Finger,
       tropft von den nassen Haarsträhnen.
       
       Der scharfe Kontrast zwischen grellem Rot und dem Grau-in-Grau von Wasser
       und Beton schmerzt in den Augen. Der unwirkliche Schauplatz der Szene:
       Saint-Quentin-en-Yvelines, ein verlassenes, einst als soziale Utopie
       entworfenes Wohngebäude von Ricardo Bofill.
       
       Am Ende der Ausstellung, deren Projektionen – würde man alle bis zu Ende
       sehen – wohl an die zehn Stunden dauern, bleibt ein ungutes Gefühl. Die
       Geschichten, die hier erzählt werden, sind eben auch welche des Scheiterns.
       Vielleicht ist „Entropy of a City“ gerade deshalb ein gelungenes Statement
       zum Tod der unabhängigen Kunsthalle.
       
       ## Vorwurf der „nationalen Blasphemie“
       
       Vor diesem Hintergrund ist auch der Weg der Ausstellung nach Budapest
       interessant: Als der letzte Direktor der Kunsthalle, Gábor Gulyás, zum
       September das Haus verließ, hatte er keine Ausstellungen für den Rest des
       Jahres hinterlassen – so kamen die KuratorInnen mit der Julia Stoschek
       Collection ins Gespräch.
       
       Gulyás’ Weggang indes kam nicht überraschend, gekündigt hatte er bereits
       2012, nachdem der MMA-Vorsitzende die von Gulyás kuratierte Ausstellung
       „Was ist ungarisch?“ als „nationale Blasphemie“ kritisiert hatte – als kurz
       darauf bekannt wurde, dass die Kunsthalle der MMA unterstellt würde, nahm
       Gulyás seinen Hut.
       
       Wie sich das Haus unter der Leitung der MMA entwickeln wird, ist unklar.
       Lediglich Pläne für sogenannte „nationale Kunstsalons“, die jährlich zu
       einem Thema stattfinden sollen, sind bekannt. Im nächsten Jahr soll es
       Architektur sein. „Im Grunde ist das keine bildende Kunst mehr, sondern
       angewandte“, kommentiert József Készman das wage Konzept.
       
       Bisher weiß man in der Kunsthalle allerdings nicht einmal, wann der neue
       Direktor seinen Posten antreten wird, und darüber, wer es sein wird, gibt
       es nur Gerüchte: eine unerträgliche Situation für die Angestellten, die
       zwar pro forma einen Ausstellungsplan für 2014 entworfen haben. Umgesetzt
       wird er wohl nicht werden.
       
       ## Die Übernahme als Teil der neuen Kulturpolitik
       
       Die Übernahme der Kunsthalle ist nur ein Mosaikstein in der Neuorganisation
       der ungarischen Kulturpolitik, wie sie die Regierung Orbán, die seit 2010
       die Zweidrittelmehrheit im Parlament besitzt, vorantreibt – auch in anderen
       Institutionen, dem Nationaltheater oder der Kulturstiftung wurden
       Nationalkonservative in Führungspositionen gehievt.
       
       Im Frühjahr wird nach der Kunsthalle auch das Konzerthaus Pesti Vigadó und
       die Villa Hild in Budapest unter Kuratel der MMA gestellt werden. Stück für
       Stück werden so die Kultureinrichtungen zentralisiert und auf Linie
       gebracht. „Dahinter steht der Wechsel der kulturellen Elite“, meint József
       Készman.
       
       Die MMA entsendet nicht nur den Direktor des Hauses, sondern erhält üppige
       staatliche Gelder, verteilt Subventionen, kurz: Sie ist die finanzielle
       Schaltstelle einer neuen regierungsnahen Kunstszene. Wer der MMA nicht
       angehört, wird praktisch ausgegrenzt. In Ungarn haben unabhängige
       KünstlerInnen wiederholt gegen diesen fundamentalen Umbau der
       Kulturlandschaft protestiert. Im Rest Europas blieb es indes gespenstisch
       still.
       
       8 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sonja Vogel
       
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