# taz.de -- „Mehr Tierschutz“-Siegel für Fleisch: Die Label-Blockade
       
       > Das „Mehr Tierschutz“-Siegel soll artgerechter erzeugtes Fleisch aus der
       > Nische holen – bisher vergeblich. Sind die Verbraucher einfach
       > verantwortungslos?
       
 (IMG) Bild: Enge Ställe müssten für die Label-Regeln umgebaut werden. Viele Landwirte zögern, weil der Handel ihnen nicht langfristig garantiert, das Fleisch zu kaufen
       
       BERLIN taz | „Was?“, antwortet die Verkäuferin eines Berliner Supermarkts
       auf die Frage nach Fleisch mit dem [1][„Mehr Tierschutz“-Siegel]. Nein,
       hier gebe es keine Produkte mit dem Label des Deutschen Tierschutzbunds,
       das zum Beispiel mehr Platz im Stall garantieren soll. „Sagt mir gar
       nichts“.
       
       So ähnlich ist das in den meisten Lebensmittelläden: Ihr Fleischangebot
       kommt in der Regel aus engen Massenställen, in denen männliche Ferkel ohne
       Betäubung kastriert werden, oder Hühner so stark gemästet werden, dass sie
       sich nur unter Schmerzen bewegen können. All das verbietet das Siegel. Aber
       auch ein Jahr nach seinem Verkaufsstart hat es kaum messbare Marktanteile.
       Beim Tierschutzbund, der kürzlich auf der weltgrößten Agrarmesse Grüne
       Woche Bilanz zog, macht sich Ernüchterung breit.
       
       Denn nur die Fleischkonzerne Vion und Wiesenhof sowie zwei kleinere
       Anbieter vermarkten Produkte mit dem Label. Bei Schweinen sind nur 16
       Bauern dabei, bei Masthühnern 44. Das ist nichts im Vergleich zu den
       insgesamt 200.000 Betrieben, die in Deutschland Tiere halten. Von den 11
       Millionen Schweinen, die Vion jährlich schlachtet, kommen nach
       Firmenangaben lediglich rund 40.000 aus „Mehr Tierschutz“-Ställen.
       
       Dabei hat das Siegel nur dann eine Existenzberechtigung, wenn es sich am
       Markt durchsetzt. Es gab schon vorher Labels, die für bessere
       Haltungsbedingungen sorgen: Das staatliche Bio-Siegel etwa fordert anders
       als das Tierschutzzeichen sogar Auslauf und das wichtige
       Beschäftigungsmaterial Stroh als Einstreu. Das gilt auch für das
       Neuland-Programm. Problem: Bio- und Neuland-Fleisch hat nur einen
       Marktanteil von etwa einem Prozent.
       
       Ein Grund ist, dass beispielsweise ein Bio-Hähnchen 150 Prozent mehr kostet
       als konventionelles. Deshalb hat der Tierschutzbund geringere Anforderungen
       festgelegt, so dass der Verbraucher für ein Tierschutzlabel-Hähnchen nur 30
       Prozent mehr zahlen muss. Erklärtes Ziel: artgerechtere Produktion raus aus
       der Nische holen.
       
       Dass das dem Label bisher nicht gelungen ist, liegt kaum am Verbraucher.
       Denn in einer Umfrage im Auftrag des Bundesagrarministeriums gaben 44
       Prozent der Befragten an, beim Einkauf auf Tierschutzstandards zu achten.
       Mehrere Studien bestätigten, dass die Konsumenten auch bereit sind, dafür
       mehr zu zahlen.
       
       Aber die Wirtschaft schafft es bislang nicht, dieses allgemeine
       Nachfragepotenzial in konkrete Nachfrage nach Fleisch mit dem
       Tierschutzsiegel umzumünzen. Dafür wäre eine große Marketingkampagne nötig,
       die die Verbraucher über das neue Produkt informiert, sagt Achim Spiller,
       Professor für Lebensmittelmarketing an der Universität Göttingen, der das
       Label als Berater mitentwickelt hat. Bislang haben die Anbieter aber nur in
       ein paar Handzettel, Produktaufkleber und Plakate investiert – Werbung etwa
       im Fernsehen fehlt.
       
       ## Zu geringes Angebot
       
       Eine breite Marketingkampagne ist allerdings erst dann möglich, wenn die
       Produkte flächendeckend in den Regalen liegen, „weil sonst die Verbraucher
       ja enttäuscht wären, dass sie die Ware gar nicht bekommen können“,
       erläutert Spiller. Doch die Kieler Sky-Supermärkte mussten Schweinefleisch
       mit dem Label sogar wieder aus dem Sortiment nehmen, „weil unser Lieferant
       uns nicht mit ausreichend Mengen versorgen konnte“, wie eine Sprecherin
       mitteilt. Auch der Discounter Netto klagt, „dass die Mengenverfügbarkeit
       nicht ausreichend ist“.
       
       Es müssten also mehr Bauern ihre Ställe nach den Labelregeln umbauen. Doch
       die Landwirte zögerten, weil sie nicht sicher seien, ob sie genug
       Labelfleisch verkaufen könnten, sagt Marktforscher Spiller. Und da schließt
       sich der Kreis: Die Verbraucher kaufen das Labelfleisch nicht, weil der
       Handel es nicht genügend bewirbt, da das Angebot zu gering ist, weil die
       Bauern nicht genügend liefern, da die Verbraucher zu wenig kaufen. Von
       wegen die Nachfrage bestimmt das Angebot.
       
       Diesen Teufelskreis, findet Spiller, könnte vor allem der Handel
       durchbrechen, der die Wertschöpfungskette für Lebensmittel dominiert. „Es
       wäre ein wesentlicher Schritt, wenn ein Händler gegenüber seinem
       Lieferanten kommunizieren würde: Ich will das, und ich nehme das Fleisch
       ab.“ Das Schlachtunternehmen Tönnies, das bisher nicht an dem Programm
       teilnimmt, wünscht sich eine mehrjährige Abnahmegarantie des Handels. Dann
       würden auch mehr Landwirte umstellen, sagt Wilhelm Jaeger, Abteilungsleiter
       Landwirtschaft.
       
       ## Konkurrenz ohne Transparenz
       
       Doch von solchen Garantien ist der Handel weit entfernt. Aldi Süd
       entschuldigt sich damit, dass die Kunden bei Tests die Produkte nicht
       angenommen hätten. „Die Unternehmen blockieren das Label, weil sie auf die
       [2][Initiative ’Tierwohl‘] setzen“, verrät ein Branchenkenner. Bei dieser
       Initiative wollen Aldi, Lidl/Kaufland, Edeka/Netto, Metro, Rewe und
       Kaiser’s Tengelmann einen eigenen Fonds für mehr Tierschutz finanzieren. Er
       soll Landwirte für Maßnahmen bezahlen, die den Tieren zugutekommen.
       
       Der Haken: Geld soll es schon für einfache Anforderungen wie die Teilnahme
       am brancheneigenen Qualitätsssicherungssystem QS geben, das im Wesentlichen
       kontrolliert, ob die Bauern die Gesetze einhalten. Auf den Verpackungen
       soll nicht zu erkennen sein, welches Fleisch tierfreundlicher und welches
       konventionell erzeugt wurde.
       
       „Ich halte gar nichts von solche Wirtschaftsinitiativen“, sagt Kathrin
       Hartmann, die in ihrem Buch „Ende der Märchenstunde“ das Geschäft mit
       angeblich umweltfreundlichem und fairem Konsum kritisiert. „Die Konzerne
       wollen nur ihren Massenmarkt für Fleisch erhalten.“ Ihre Lösung: Der Staat
       müsse die Tierschutzstandards erhöhen.
       
       21 Jan 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.tierschutzlabel.info/home/
 (DIR) [2] /!123286/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Tierschutz-Label
 (DIR) Tierschutzbund
 (DIR) Landwirtschaft
 (DIR) Ernährung
 (DIR) Essen
 (DIR) Tiere
 (DIR) Fleisch
 (DIR) Lebensmittelkennzeichnung
 (DIR) Wiesenhof
 (DIR) Fleisch
 (DIR) Massentierhaltung
 (DIR) Neuland
 (DIR) Neuland
 (DIR) Schalke 04
 (DIR) Tierschutz
 (DIR) Landwirtschaft
 (DIR) Landwirtschaft
 (DIR) Massentierhaltung
 (DIR) Grüne Woche
 (DIR) Demonstrationen
 (DIR) Massentierhaltung
 (DIR) Tierhaltung
 (DIR) Landwirtschaft
 (DIR) Wiesenhof
 (DIR) Massentierhaltung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Nach Kritik an Arbeitsbedingungen: Fleischkonzerne wollen sich bessern
       
       Bis Juli 2016 soll das Arbeitsrecht bei allen Jobs in Schlachthöfen und
       Fabriken der großen Firmen angewendet werden.
       
 (DIR) Ferkelquälerei in Deutschland: Sauerei zieht Ermittlungen nach sich
       
       Auf die Vorwürfe der illegalen Ferkeltötung gegen den größten Sauenhalter
       Straathof und andere Branchengrößen folgen nun Strafanzeigen.
       
 (DIR) Kommentar Fleischskandal: Neuanfang für Neuland
       
       Die Missstände beim Alternativ-Fleischhersteller Neuland sind gravierend.
       Nur wenn Manager ausgetauscht werden, kann es einen Neuanfang geben.
       
 (DIR) Etikettenschwindel bei Neuland: Fleisch außer Kontrolle
       
       Nach dem Skandal um seine Gütesiegel will Neuland Lücken im Kontrollsystem
       schließen. Ein Lieferant hatte konventionelle Hähnchen umdeklariert.
       
 (DIR) Kolumne Press-Schlag: Mit Schweinesystem arrangiert
       
       Darf Schalke-Klubchef und Fleischmogul Clemens Tönnies den russischen
       Präsidenten Wladimir Putin besuchen? Nein. Aber er darf Geschäfte mit ihm
       machen.
       
 (DIR) Thüringens Umweltministerium: Großwildjäger wird versetzt
       
       Der Thüringer Umweltminister Jürgen Reinholz will den Beamten, der in
       Afrika Elefanten schoss, in das Landesamt für Landwirtschaft versetzen
       lassen.
       
 (DIR) Kolumne Liebeserklärung: Es geht steil bergab
       
       Aldi und Lidl drücken die Lebensmittelpreise immer weiter nach unten. Nicht
       nur Bauern, sondern sogar Coca Cola bekommt das zu spüren.
       
 (DIR) Öko-Bauern in NRW: Morgen noch Land sehen
       
       In Nordrhein-Westfalen merken die Landwirte nichts vom Bio-Boom. Sie haben
       eine Landesvereinigung Ökologischer Landbau gegründet, um das Problem zu
       beheben.
       
 (DIR) Demo gegen die Agrarindustrie: 20.000 Menschen haben es satt
       
       In Berlin gehen Tausende gegen Massentierhaltung auf die Straße. Die
       Demonstranten und er hätten gemeinsame Ziele, sagt Minister Friedrich
       (CSU).
       
 (DIR) Fressmesse im Check: Durch die Currywurstbudenschleuse
       
       Pflaumenschnaps-Shot und dänisches Blasorchester: Wie erlebt man die Grüne
       Woche in Berlin beim ersten Besuch?
       
 (DIR) Protest gegen Agrarindustrie in Berlin: Stoppschild gegen Massentierhaltung
       
       30.000 Menschen haben am Samstag in Berlin für eine nachhaltigere
       Landwirtschaft demonstriert. Derzeit findet dort die Agrarmesse „Grüne
       Woche“ statt.
       
 (DIR) Hormonbehandlung bei Schweinen: Ferkel feiern zeitgleich Wurffest
       
       Landwirte geben Sauen Präparate, um Eisprung und Geburtstermine
       „gleichzuschalten“. Das Umweltbundesamt fürchtet Schäden für die Natur.
       
 (DIR) Debatte Tierhaltung: „Fleisch for fun“
       
       Die Medien entscheiden über die Art der Tierhaltung. Die Produzenten haben
       das längst begriffen – und passen sich entsprechend an.
       
 (DIR) Missstände in der Massentierhaltung: Aldi will für Tierschutz zahlen
       
       Wenn es Schweinen und Hühnern besser geht, sollen Bauern mehr Geld von
       Supermärkten bekommen. Die Bedingungen für „mehr Tierwohl“ sind mau.
       
 (DIR) Tierquälerei trotz Tierschutz-Label: Wertlose Wiesenhof-Garantie
       
       Aktivisten veröffentlichen dramatische Bilder aus Ställen des Marktführers
       Wiesenhof. Das Fleisch von dem Hof trug ein weitverbreitetes
       Tierschutz-Siegel.
       
 (DIR) Fleisch aus Massentierhaltung: Ein Siegel für mehr Stallfläche
       
       Ein neues Siegel für artgerechter erzeugtes Fleisch soll die Verbraucher
       überzeugen. Der Tierschutzbund kooperiert dafür mit Großkonzernen.