# taz.de -- Debatte Deutschlands China-Politik: Ewig grüßt die Doppelmoral
       
       > Solange die Deutschen weiter Panzer nach Saudi-Arabien liefern, wird
       > Merkels Kritik an Chinas Menschenrechtspolitik ins Leere laufen.
       
 (IMG) Bild: Wer liest hier wem die Leviten: Xi Jinping und Angela Merkel.
       
       Wenn am Freitag der chinesische Partei- und Staatschef Xi Jinping Joachim
       Gauck und Kanzlerin Angela Merkel trifft, werden sie ihm gegenüber die
       Menschenrechte in China ansprechen. So heißt es aus deutschen
       Regierungskreisen.
       
       Die beiden dürften also auf Cao Shunli verweisen, die kürzlich wegen
       verweigerter medizinischer Versorgung in Haft starb, und auf Liu Xia, der
       unter Hausarrest stehenden und erkrankten Ehefrau des zu elf Jahren Haft
       verurteilten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo. Auch der eingezogene
       Reisepass des Künstlers Ai Weiwei, der nächste Woche nicht zur Eröffnung
       seiner Ausstellung nach Berlin reisen darf, dürfte Thema sein. Diese und
       andere Fälle anzusprechen ist richtig und notwendig.
       
       Doch ist leider zweifelhaft, ob dies bei Xi mehr als ein Achselzucken
       auslöst. Zwar ist auch China – anders als es die dortige Führung gern hätte
       – nicht völlig immun gegen westliche Kritik. Doch hat Chinas KP-Führung
       gelernt, diese oft ins Leere laufen zu lassen. Das fällt ihr umso leichter,
       je mehr unter ihrer Führung in der Volksrepublik der Wohlstand weiter
       wächst und je mehr westliche Kritiker die von ihnen hoch gehaltenen
       Prinzipien selbst nicht ernst nehmen. Chinas Führung weiß längst, dass
       Menschenrechtskritik westlicher Politiker auch auf den Beifall des
       westlichen Publikums zielt und wirkliche Verbesserungen der Lage in China
       oft nebensächlich sind.
       
       Vergangene Woche sprach sich Michelle Obama an der Peking Universität für
       die „universelle Freiheit“ des Internets aus. Das wird in China bekanntlich
       von mehreren zehntausend Zensoren überwacht. Ungewünschte Inhalte werden
       meist schnell gelöscht, etliche Blogger sitzen in Haft. Das ist zu Recht zu
       kritisieren. Doch solange Michelle Obama zur von Edward Snowden enthüllten
       millionenfachen Überwachung digitaler Kommunikation durch den
       US-Geheimdienst NSA schweigt, wird Chinas Führung ihre Kritik nicht ernst
       nehmen. Im Gegenteil: Sie dürfte das Verhalten der NSA sogar darin
       bestärken, die eigene Überwachung auszuweiten.
       
       Zuvor haben westliche IT-Firmen Chinas Zensurbehörden mit entsprechender
       Filtertechnik beliefert. Ein amerikanischer Internetkonzern verriet Chinas
       Staatssicherheit die Identität eines Cyberdissidenten. Dass westliche
       Regierungen diese Geschäftspraktiken kritisiert hätten, ist so wenig
       bekannt wie, dass diese Firmen wirksamen Boykotten kritischer Verbraucher
       ausgesetzt wären.
       
       ## Wenig glaubwürdig
       
       Xi mag Merkel glauben, dass sie das Abhören ihres Handys durch die NSA
       ärgerte. Doch dürfte er die moralische Empörung („Unter Freunden gehört
       sich so etwas nicht“) darüber für wenig glaubwürdig halten, solange die im
       Kanzleramt koordinierten deutschen Geheimdienste weiter gern die nach
       deutschen Gesetzen illegal gesammelten Informationen nutzen, die sie von
       der NSA erhalten.
       
       Schon vor einigen Jahren haben die Regierungen Deutschlands und Chinas eine
       „strategische Partnerschaft“ vereinbart. Deren sichtbarster Ausdruck sind
       seit 2011 die jährlichen Regierungskonsultationen, also die Treffen beider
       Regierungskabinette abwechselnd in Deutschland und China. Die Regierung in
       Peking macht dies mit keinem anderen Land, obwohl sich Deutschland an das
       nach dem Massaker auf dem Tiananmenplatz 1989 von der EU verhängte
       Waffenembargo hält. Das hätte der frühere rot-grüne Regierungschef Gerhard
       Schröder damals gern aufgehoben. Merkel will dies zu Recht nicht.
       
       Doch was antwortet die Kanzlerin, wenn Xi sie danach fragt, warum sie die
       Lieferung ganzer Panzerverbände an das menschen- und frauenverachtende
       Regime in Saudi-Arabien befürwortet? Das Regime in Riad schickte 2011 sein
       Militär ins Nachbarland Bahrain, um dort die Arabellion niederzuschlagen.
       Wenn Merkel ehrlich ist, spricht sie von Öl und westlichen Interessen im
       Nahem Osten. Mit Menschenrechten und demokratischen Werten kann sie nicht
       argumentieren.
       
       Chinas KP-Führung dürfte sich in ihrer Abwehrhaltung gegen westliche Kritik
       auch darin bestärkt führen, dass sie seit knapp 35 Jahren mit Erfolg ein
       gigantisches Transformationsexperiment leitet. Das hat mehrere hundert
       Millionen Menschen aus der Armut befreit und gängige liberale
       Modernisierungstheorienbisher Lügen gestraft. Diesen Theorien zufolge hätte
       die Wirtschaftsliberalisierung längst zur politischen Liberalisierung und
       damit zur Demokratisierung führen müssen. Es ist möglich, dass dies noch
       passiert, schließlich besteht der Widerspruch zwischen wirtschaftlicher
       Freiheit und autoritärer politischer Kontrolle weiter.
       
       ## Eine Art Entwicklungsdiktatur
       
       Doch bisher blieb nicht nur der von der westlichen Theorie vorausgesagte
       Automatismus aus, sondern fällte die Partei nach der Niederschlagung der
       demokratischen Studentenbewegung 1989 viele Entscheidungen, die nicht nur
       in ihrem Herrschaftssinn, sondern meist auch zum Nutzen der Mehrheit waren.
       Aufgrund dieser von manchen in Asien favorisierten „benevolent
       dictatorship“, einer Art gutmütiger Entwicklungsdiktatur, zeigt auch Chinas
       neue städtische Mittelschicht bisher wenig demokratischen Ehrgeiz. Sie ist
       mit dem Wirtschaftswachstum, dem Nationalismus und der erzwungenen
       Stabilität offenbar zufrieden. Sie möchte sich auch nicht von den Armen
       Mehrheit dominieren lassen, das aber wäre das Risiko bei einer
       Demokratisierung.
       
       Beim Blick ins Ausland sehen chinesische KP-Kader, dass die Probleme
       grassierender Korruption und massiver Umweltzerstörungen auch das
       demokratische Indien nicht in den Griff bekommt. Die in Russland nach dem
       Ende der Sowjetunion erfolgte Demokratisierung hat nur die Oligarchen reich
       gemacht. Und die Länder der Arabellion sind bisher den Beweis schuldig
       geblieben, dass es den Bevölkerungen dort heute besser geht.
       
       Trotzdem: China ist wie alle Unterzeichnerstaaten der Allgemeinen Erklärung
       der Menschenrechte von 1948 zu deren Schutz verpflichtet. Punkt. Gauck und
       Merkel sollten das deshalb auch einfordern. Dabei ist Gauck zu wünschen,
       dass er überzeugender argumentieren kann als Michelle Obama zur
       Internetfreiheit. Und Xi fragt Merkel hoffentlich nach den Panzern für
       Saudi-Arabien.
       
       28 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sven Hansen
       
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