# taz.de -- Die Wahrheit: Der Pirinçci-Code
       
       > Von Sarrazin bis Lucke: Dank der „Hirnsturm“-Software von Thilo
       > Lutschmann werden Hass-und-Angst-Bücher automatisch generiert.
       
 (IMG) Bild: Lutschmann will unerkannt bleiben, solange er für die dunkle Seite des Verlagswesens programmiert.
       
       Thilo Lutschmann entspricht nicht dem Stereotyp des Computernerds: Der
       25-Jährige ist propper und rotwangig. Als wir ihn in seiner Bonner
       Souterrain-Wohnung aufsuchen, sagt er gleich zur Begrüßung: „Das hätten Sie
       nicht gedacht, stimmt’s?“ Der gut gelaunte Programmierer kennt sich mit
       Vorurteilen und – wie er es nennt – der „Verschlankung komplexer
       Sachverhalte“ bestens aus. Seit gut drei Jahren verdient er damit sogar
       Geld.
       
       „Los ging’s mit dem Kopp Verlag“, plaudert Lutschmann unbefangen aus dem
       Nähkästchen des Fachverlags für Verschwörungstheorien. „Mein Onkel ist da
       Programmchef und hat Probleme bekommen, als sein produktivster Autor einen
       Burn-out hatte.“ Eigentlich habe Udo Ulfkotte nach „SOS Abendland“ keine
       Lust mehr gehabt, musste sich als Zugpferd des Kopp Verlags aber immer neue
       apokalyptische Szenarien mit Ausländern und Hartz-IV-Empfängern ausdenken.
       „Für den habe ich eine Software entwickelt, die eigenständig populistische
       Hass-und-Angst-Bücher generiert.“
       
       Wir fragen Lutschmann, ob „Hass-und-Angst-Bücher“ nicht selbst ein
       populistischer Begriff sei, aber er winkt ab: „Das ist eine präzise
       Beschreibung dieser Schmöker rund um schleichende Islamisierung,
       Ökoschwuchteln und Euro-Emanzen.“ Mit leuchtenden Augen führt der
       Mittzwanziger aus, das sei europaweit ein Wachstumsmarkt. „Für Deutschland,
       Frankreich und die Niederlande biete ich ein ’Musel-Tool‘ an, für Ungarn
       eine Anwendung mit Zigeunern und in der Schweiz gehen Deutsche am Besten.“
       
       Das Prinzip sei immer das Gleiche: Eine Minderheit werde als homogene,
       feindliche Gruppe dargestellt und dann zu einer riesigen Bedrohung
       aufgebauscht. Die Mehrheit werde dann zum Opfer der Minderheit erklärt, das
       sich endlich wehren müsse. Heutzutage sei es allerdings zwingend, einen
       weiteren Gegner zu konstruieren: den linksgrünen Mainstream, eine wachsende
       Masse gehirngewaschener Gutmenschen, die jene gefährliche Minderheit
       schütze.
       
       ## Opferapp mit Heulsusenton
       
       Stolz präsentiert uns Lutschmann seine Opfer-App „Beleidigte Leberwurst“.
       Sie winselt erbärmlich. „Sie baut selbstständig diesen Heulsusenton ein“,
       freut sich der Programmierer. „Den findet die Neue Rechte total sexy. Aber
       die App kann noch mehr: Alles, was der User schreibt, wird als unterdrückte
       Wahrheit erkannt. Jede Gegenmeinung hingegen wird dank der
       ,Ad-hominem-Funktion‘ zur Propagandalüge schwuler Muselkuschel-Emanzen
       erklärt. Ein bombensicheres Kommunikations-Tool innerhalb der Peer-Group.“
       
       Mittlerweile fragen auch große Verlage bei Lutschmann an. Die Deutsche
       Verlags-Anstalt etwa habe den neuen Sarrazin-Bestseller weitgehend mit
       seiner Software „Hirnsturm“ erstellen lassen. Das spare Zeit und Geld, so
       der findige Programmierer.
       
       „Die Leser wollen keine Statistiken, sondern bestimmte Schlüsselwörter. Für
       die Zielkunden sind Begriffe wie ’Meinungsdiktatur‘, ’linker Mainstream‘
       oder ’Genderwahnsinn‘ echte Must-haves. Das ist wie mit den Akkordfolgen im
       Musikantenstadl.“ Zu den Kunden des Bonners zählen bekannte Publizisten wie
       Bettina Röhl, Hans-Olaf Henkel und Matthias Matussek. Aber auch Politiker
       wie Bernd Lucke oder Kommentatoren beim Blog PI News greifen gerne auf
       „Hirnsturm“ zurück.
       
       ## Eine irre Erfolgsgeschichte
       
       Lutschmanns bisher größter kommerzieller Erfolg ist das aktuelle Buch von
       Akif Pirinçci. „Das ist wirklich eine irre Erfolgsgeschichte“, freut sich
       Lutschmann. „Herr Pirinçci hat wirklich alles aus meiner App ,Eigentümlich
       Brei‘ herausgeholt. Ich nenne das Ergebnis scherzhaft den ’Pirinçci-Kot‘.
       Verstehen Sie, ’Code‘ und ’Kot‘ sind Homophone und Pirinçci klingt …“ Der
       Informatiker erklärt umständlich den Witz. Für Lutschmann bringt das Buch
       das Gedankengut der Neuen Rechten auf den Punkt: „Pirinçci hasst jenes
       Minderheiten schützende, zivilisierte Deutschland, das ihn aufgenommen hat
       und ihn seine Meinung sagen lässt. Und er liebt die frauen- und
       schwulenfeindlichen Ansichten der muslimischen Reaktionäre, die er hasst.
       So kann er in alle Richtungen hassen und sich selbst gleich doppelt mit.“
       
       Seinen größten persönlichen Triumph verknüpft Lutschmann allerdings nicht
       mit Pirinçci, sondern mit dem „2083“-Manifest, das der Norweger Anders
       Breivik verfasst hat. „Zwar hat Breivik dieses Textmonstrum ohne meine
       Software zusammengestellt, dabei aber auf viele ,Hirnsturm‘-Elaborate im
       Netz zurückgegriffen. Und er hat bewiesen, dass diese Texte auch
       Konsequenzen haben können. Als ich von dem Massaker hörte, dachte ich nur:
       Wow, endlich passiert mal was.“
       
       Wir lächeln so niedlich wie eine ZDF-Mittagsmagazin-Moderatorin. In diesem
       Moment klopft es und Frau Lutschmann steht mit Schnittchen und Limo in der
       Tür. Das gibt uns Gelegenheit, ein wenig mit der Mutter zu plaudern: „Mein
       Sohn ist ja gar nicht politisch“, verrät uns die Hausfrau und fügt hinzu:
       „Der freut sich einfach nur, wenn er helfen kann.“
       
       10 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anselm Neft
       
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