# taz.de -- Debatte über digitalen Widerstand: Hacking, Leaking, Sabotage!
       
       > Das Bürgertum ruft zum Aufstand gegen die digitale Unterdrückung. Na
       > dann: Reden wir über den Angriff! Eine Erweiterung des FAZ-Diskurses.
       
 (IMG) Bild: Guy Fawkes meets India: Der Kampf gegen die digitale Unterdrückung muss global geführt werden
       
       Als in der Jungsteinzeit die ersten Menschen auf die Idee kamen, sich einen
       Acker anzulegen, begann etwas Großes. Eine Avantgarde beschloss, künftig
       auf den Stress zu verzichten, den das Nomadentum ihnen bescherte. Sie zogen
       sich ihr Gemüse im Garten. Das schätzen wir bis heute. Es war eine tief
       greifende Menschheitsrevolution. Als im 19. Jahrhundert eine technologische
       und wohlhabende Avantgarde beschloss, die Produktion von Dingen zu
       verschnellern und zu verstetigen, begann eine zweite Menschheitsrevolution.
       
       Es gab plötzlich Maschinen, es gab davon schnell immer mehr – und die
       Menschen kämpfen seitdem darum, dass ihre persönliche und soziale Autonomie
       den Umgang mit den Maschinen dominiert; und nicht umgekehrt. Heute hat die
       Digitalisierung aller Lebensbereiche den Punkt erreicht, an dem wir uns mit
       der nächsten Menschheitsrevolution beschäftigen müssen.
       
       Seitdem das Ausmaß der alltäglichen Überwachung bekannt geworden ist, ist
       es undenkbar geworden, die Digitalisierung zu feiern, ohne über die neue
       Unterwerfung des Menschen zu reden. Anders als zuvor ist heute nicht mehr
       nur die Herausforderung zu bestehen, seine Würde zwischen der privaten Welt
       und der Arbeitswelt zu erhalten: Vielmehr ist ein digitaler
       Verschmelzungsprozess in Gang gekommen, der die gesamte Identität erobert –
       einfach weil es so gut wie unmöglich ist, der Erhebung der eigenen Daten zu
       entgehen, ob beim Autofahren, beim Telefonieren, beim Arzt. Das ist die
       neue Totalitarismusdebatte.
       
       Hans Magnus Enzensberger empfahl, [1][alle Handys wegzuwerfen].
       Internet-Ikone Sascha Lobo revidierte seinen einstigen Optimismus im
       Hinblick auf das emanzipatorische Potenzial der Digitalisierung. Nun
       schrieb er: Als Medium der totalen Kontrolle [2][untergrabe das Internet
       die Grundlagen der freiheitlichen Gesellschaft]. Der weißrussische
       Intellektuelle Evgeny Morozov erdete die Debatte: Alle Instrumente der
       Befreiung können immer auch als [3][Instrumente der Unterdrückung genutzt
       werden].
       
       Seit wir wissen, über welche Daten Staaten wie die USA, Großbritannien,
       China, Russland und sicher viele andere verfügen, sind die intellektuellen
       Vordenker damit beschäftigt, zu ergründen, wie Selbstbestimmung im
       digitalen Zeitalter aussehen kann. Die Frage ist, welche Aufgabe dabei den
       Einzelnen und welche Aufgabe der Gemeinschaft – mithin: dem Staat –
       zukommt.
       
       In dieser Debatte, in Deutschland angestoßen von FAZ-Herausgeber [4][Frank
       Schirrmacher], deutet sich ein beachtlicher Konsens an: Wird hier etwa
       Widerstand zur Pflicht erklärt? Als Staatsrechtler, der er ist, sprach der
       Süddeutsche-Journalist Heribert Prantl kürzlich vor Datenschützern von
       einem staatlichen Verfassungsnotstand. Statt die Grundrechte der Bürger vor
       dem Zugriff durch andere Staaten zu schützen, beteilige sich die
       Bundesregierung strukturell an der Fortschreibung des Skandals.
       Verfassungsnotstand? Echt? Fragen wir Martin Schulz.
       
       Unter der Überschrift [5][„Warum wir jetzt kämpfen müssen“] schrieb der
       europäische Spitzenkandidat der Sozialdemokraten Anfang Februar in der FAZ
       ein leidenschaftliches Plädoyer: „Wie am Ende des 19. Jahrhunderts wird
       eine Bewegung gebraucht, die die Unverletzlichkeit der menschlichen Würde
       ins Zentrum ihrer Überlegungen stellt und die nicht zulässt, dass der
       Mensch zum bloßen Objekt degeneriert.“ FDP-Chef Christian Lindner schrieb
       daraufhin zustimmend: „Nötig sind [6][offensive Antworten, um das
       zivilisatorische Potenzial dieser Technologie zu nutzen.“] 
       
       Siehe da – das Bürgertums schreit nach Revolte. Allein: Es fehlt das
       revolutionäre Subjekt. Wir müssen über den Angriff reden.
       
       Die Geschichte sozialer Bewegungen zeigt, dass politische Veränderungen
       dort erkämpft werden, wo die Kämpfe mit radikalen Mitteln ausgetragen
       werden. Tatsächlich erkennen wir, dass die einzigen Erfolge im Kampf gegen
       die globale Überwachung bislang auf militante Maßnahmen zurückzuführen
       sind: Die beispiellose Offensive, mit der Edward Snowden die USA
       herausfordert, ist das deutlichste Beispiel. Wie effektiv diese Form der
       außerparlamentarischen Politik ist, zeigt die Anzahl der Inhaftierten,
       Gestorbenen, Verfolgten: [7][Jeremy Hammond], [8][Rudolf Elmer],
       [9][Gottfrid Svartholm], [10][Barrett Brown], [11][Nabeel Rajab],
       [12][Aaron Swartz], [13][Tron], [14][Chelsea Manning], [15][Julian Assange]
       – lauter Outlaws, die die Welt veränderten.
       
       Hacking und Leaking – das sind die Mittel, die sich in diesem politischen
       Kampf um das Digitale als geeignet erwiesen haben. Eine Hacking- und
       Leakingkultur offensiv zu fördern und zu verteidigen ist also die erste
       Plicht für jene, die sich nicht nur in Abwehrdiskursen bewegen wollen. Dies
       ist schließlich die gravierendste Eigenschaft der digitalen
       Unterwerfungsära: dass es gelungen ist, die Menschen rund um die Uhr damit
       zu beschäftigen, sich zu wehren. Die industrielle Revolution wurde zu einer
       Menschheitsrevolution, weil sie die Warenproduktion vergrößerte und in der
       Folge zu Arbeitnehmerrechten, Streikrecht, Urlaubsrechten führte. Die
       digitale Revolution wartet noch auf ihre Humanisierung.
       
       Doch der Kampf um das Digitale ist ein Elitenprojekt: eine reizvolle
       Aufgabe für technisch Hochqualifizierte. Das revolutionäre Subjekt dieses
       Kampfes trat aus den sogenannten Crypto Wars in den USA der 1990er Jahre
       hervor und verkörpert sich am treffendsten in jenem Aktivistentypus, dessen
       Protagonisten sich als [16][Cypherpunks] bezeichneten. Sie hatten früh
       verstanden, dass die Technik, die sie im Alltag nutzten, eine
       hochpolitische Angelegenheit war. Sie kämpften dafür, verschlüsselt zu
       kommunizieren, und forderten den Staat heraus, der standardmäßig
       Einfallstore in Kommunikationstechnik verbauen lassen wollte, um immer
       Zugriff auf Gesprächsinhalte zu haben - etwa beim legendären Streit um den
       [17][Clipper Chip].
       
       Hier bildete sich jene globale Hacker-Elite, die noch immer die Avantgarde
       des ausstehenden Befreiungskampfes darstellt. Zu ihr zählen Programmierer
       wie [18][Jacob Appelbaum]. Heute hat diese Avantgarde ihr Quartier in
       Berlin bezogen. Es sind das Netzwerk des [19][Chaos Computer Clubs] und die
       politische Situation in Deutschland, die Menschen wie Appelbaum oder
       [20][Wikileaks-Aktivistin Sarah Harrison] anziehen. Mit ihnen kamen
       Unterstützer von [21][Edward Snowden] und Chelsea Manning aus aller Welt.
       Diese Menschen müssen wir schützen.
       
       Die Ausgangsbastion für eine nächste, zivilgesellschaftliche Angriffswelle
       liegt also – eigentlich – nahe. Doch bislang ist weder die Strategie
       geklärt noch die Frage, wer sich dieser Avantgarde anschließen kann und
       darf. Diejenigen, die sich zu wehren wissen, betrifft die digitale
       Durchleuchtung schließlich am wenigsten. Für die Bezieher sogenannter
       Hartz-IV-Leistungen, die sich vor dem Staat existenziell offenbaren muss,
       ist die informationelle Ausbeutung und Erniedrigung, die sie erfährt,
       relevanter. Ihr muss die Befreiung gelten. Wie also kann Alltagswiderstand
       aussehen, der kein Informatikstudium voraussetzt? Funkmasten umsägen wie in
       den 1980er Jahren? Oder Beiträge schreiben in der FAZ? 
       
       Doch statt die Debatte über die Formen der Offensive zu suchen, leiden
       Blogger, Netzaktivisten, Piraten in Deutschland an ihrer Einhegung. Sie
       halten in Bundestagsausschüssen Vorträge, demonstrieren ein- bis dreimal im
       Jahr zu einem großen Anlass. Sie reden über Whistleblowerschutz und
       Informationsfreiheitsrechte, fordern Transparenzgesetze und
       Datenschutzgrundverordnungen. Sie wenden sich also an den Staat, um
       Zugeständnisse zu erbitten. Und so sitzen sie in einer Falle, die sehr
       ernst zu nehmen ist: Martin Schulz hat volles Verständnis für sie. Aber er
       kann ihnen nicht helfen.
       
       Digitale Militanz - was ist das? Sie wissen, wie die Netzbewegung in die
       Offensive kommt? Sie können sagen, wie Radikalisierung im Zeitalter des
       Digitalen aussieht? Und wie der Widerstand von morgen ausehen muss? Dann
       diskutieren Sie mit: In der Kommentarspalte unter diesem Text - oder direkt
       mit [22][Martin Kaul] via [23][Mail] oder [24][Twitter].
       
       17 Apr 2014
       
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 (DIR) [3] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/evgeny-morozov-antwortet-auf-martin-schulz-wider-digitales-wunschdenken-12790285.html
 (DIR) [4] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/frank-schirrmacher-ueber-den-digitalen-wandel-und-die-offene-gesellschaft-12836746.html
 (DIR) [5] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/technologischer-totalitarismus-warum-wir-jetzt-kaempfen-muessen-12786805.html
 (DIR) [6] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/it-kapitalimus-fdp-chef-lindner-fuer-digitale-autonomie-europas-12833286.html
 (DIR) [7] http://de.wikipedia.org/wiki/Jeremy_Hammond
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 (DIR) [10] http://en.wikipedia.org/wiki/Barrett_Brown
 (DIR) [11] http://en.wikipedia.org/wiki/Nabeel_Rajab
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 (DIR) [19] http://www.ccc.de/
 (DIR) [20] http://de.wikipedia.org/wiki/Sarah_Harrison
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