# taz.de -- Leaking-Aktivist über Propaganda: „Das ist ein riesiger Info-Krieg“
       
       > Geheimdienste aus aller Welt haben von Edward Snowden gelernt, sagt
       > Transparenzaktivist Friedrich Lindenberg. Ein Gespräch über gute und
       > schlechte Leaks.
       
 (IMG) Bild: Kerngeschäft Spionage. Zentrale des National Reconnaissance Office (NRO) in Chantilly/Virginia.
       
       taz: Herr Lindenberg, Ihr Verein setzt sich für einen transparenten Staat
       ein. Was muss aus Ihrer Sicht der NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag
       klären? 
       
       Friedrich Lindenberg: Wir wollen erstens wissen: Was wussten
       Bundesregierung und Bundesnachrichtendienst von der Massenüberwachung in
       Deutschland, und welche Zusammenarbeit mit der NSA gab es? Zweitens meinen
       wir, dass sich der Ausschuss die besten Quellen besorgen muss, die er
       bekommen kann. Das umfasst meines Erachtens die Ladung von Herrn Snowden.
       Drittens müssen die Ergebnisse der deutschen Öffentlichkeit bekannt gemacht
       werden – eine Aufgabe, die über die Arbeit des Ausschusses hinausgeht.
       
       Was heißt das? 
       
       Wir müssen in Europa für ein Staatsverständnis kämpfen, in dem der Staat
       vor seinen Bürgern umfassend Rechenschaft ablegt – und nicht umgekehrt.
       
       Sie tun das konkret als einer der Programmierer, die hinter der
       Leakingplattform „Yanukovych Leaks“ stehen. Dort haben Sie Dokumente
       veröffentlicht, die in der alten Villa des gestürzten ukrainischen
       Präsidenten Wiktor Janukowitsch geklaut wurden. Warum? 
       
       Das ist ein besonderer Fall von Journalismus im Kontext der ukrainischen
       Revolution, die Herr Janukowitsch durch sein korruptes Verhalten ja erst
       ausgelöst hat. Es gibt deshalb ein großes Interesse daran, die
       Verflechtungen zwischen Janukowitsch und reichen Oligarchen aufzuzeigen.
       Eine Allianz von Investigativjournalisten zwölf unterschiedlicher Medien
       ist dazu für zwei Wochen in seine alte Villa eingezogen, um Dokumente zu
       digitalisieren und auszuwerten. Wir veröffentlichen diese Dokumente, weil
       wir der Meinung sind, dass in dieser besonderen Situation der Revolution
       eine umfassende Information der Bürger nötig ist.
       
       Leaking gilt unter Aktivisten als neue Form der Dissidenz. Wann ist ein
       Leak ein guter Leak? 
       
       Ein Leak ist dann gut, wenn er nicht nur versucht, ein spezielles Argument
       zu untermauern, sondern Kontext zu politischem Handeln bietet. Ein guter
       Leak ist einer, der relevante Informationen über Machtverhältnisse
       veröffentlicht – und das möglichst vollständig. Das war bei den
       Snowden-Veröffentlichungen ebenso der Fall wie bei den
       Wikileaks-Veröffentlichungen, die auf Chelsea Manning beruhten.
       
       Ist das nicht immer auch abhängig von der Perspektive: Was passt mir selbst
       gerade gut in den Kram? 
       
       Nicht die Perspektive ist entscheidend, sondern der Kontext. Problematisch
       ist es, wenn Informationen nur ausschnitthaft sind. Ein Beispiel dafür ist
       der „Fuck the EU“-Mitschnitt gewesen, bei dem der Gesprächsfetzen von einer
       US-Diplomatin „geleakt“ worden ist. Dabei wurde nur der winzige Teil eines
       Prozesses öffentlich, der wesentlich umfangreicher war.
       
       Die letzten Wochen haben gezeigt: Mit gezielten Leaks können politische
       Gegner hervorragend diffamiert werden. In der Türkei wurden vertrauliche
       Gespräche von Ministerpräsident Tayyip Erdogan veröffentlicht. Muss man das
       gut finden? 
       
       Nein. Im Moment wird wieder sehr deutlich, dass jede Technik, die der
       Befreiung dienen kann, ebenso von Staaten instrumentalisiert werden kann –
       als Teil von machtstrategischen Handlungsoptionen.
       
       In der Ukraine wurde die Hasstirade aus einem Telefonat von Julia
       Timoschenko veröffentlicht. In dem Gespräch soll sie gesagt haben, dass sie
       Russlands Präsidenten Putin am liebsten erschießen würde. Was glauben Sie,
       wer dieses Telefonat veröffentlicht hat? 
       
       Ich glaube schon, dass es der russische Geheimdienst war. Das Interessante
       an diesen Leaks ist ja, dass sie offenbar immer wahr sind, aber nur
       bruchstückhaft wiedergegeben werden. Das ist auch eine Herausforderung für
       die Medien. Sie können den Nachrichtenwert nicht ignorieren, müssen die
       Meldung aber stets ausreichend kontextualisieren, damit das
       Propagandaelement neutralisiert wird.
       
       Im März wurde ein Telefonat zwischen Estlands Außenminister und der
       EU-Außenbeauftragten Ashton veröffentlicht. Die Ergebnisse staatlicher
       Spionage werden inzwischen offensiv veröffentlicht. Freut Sie das als
       Transparenzaktivisten? 
       
       Dieses offensive Leaking, das nun auch von Staaten betrieben wird, geht auf
       den großen Erfolg der Snowden-Leaks zurück. Dadurch, dass ohnehin alle
       wissen, dass es dieses gigantische Maß an Überwachung gibt, ist es offenbar
       akzeptabler geworden, es so offensiv zu nutzen. Der Witz ist: Das sorgt ja
       tatsächlich für ein erhöhtes Maß an Transparenz. Wir bekommen jetzt
       unmittelbar mit, welche strategischen Mittel der Informationsbeschaffung
       den Geheimdiensten zur Verfügung stehen. Auf dieser Basis können wir nun
       gut anfangen, darüber nachzudenken, ob wir uns das wirklich so wünschen –
       und welche Maßnahmen geeignet sind, dagegen anzugehen. Einzelzitate von
       Politikern sind zumindest nicht die Form der Transparenz, für die wir
       kämpfen.
       
       Sie sagen, die Geheimdienste haben von Snowden gelernt. Ist das ein neuer
       Info-Krieg? 
       
       Natürlich. Der ganze Ukrainekonflikt ist ein riesiger Fall von Info-Krieg
       und Meinungssetzung. In der Türkei sehen wir Ähnliches, wenn wir die
       Unverfrorenheit betrachten, mit der Ministerpräsident Erdogan dort Zensur
       betreibt. Wir erleben derzeit, dass Staaten neu ausloten, wie sie die
       politische Sprengkraft des Leakings im Kontrast von Informationsentzug und
       Informationsbereitstellung für ihre eigenen Interessen nutzen können.
       
       3 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Kaul
       
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