# taz.de -- Debatte Nahost-Friedensprozess: Die Siedler haben gewonnen
       
       > Die Regierung Netanjahu annektiert Stück für Stück das noch unbewohnte
       > palästinensische Land. Doch in Jordanien bewegt sich etwas.
       
 (IMG) Bild: Festung Eigenheim: das Quartier Ulpana am Rande der Siedlung Beit El nördlich von Ramallah.
       
       Der israelisch-palästinensische Friedensprozess liegt im Wachkoma. Es kann
       noch ein paar Tage dauern, bis er seinen letzten Atemzug tut, oder noch
       Jahre. Sowenig sich Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und
       Palästinenserpräsident Mahmud Abbas eine Friedenslösung herbeisehnen, so
       wenig liegt beiden an einem Ende der Verhandlungen.
       
       Das Rennen um die Sympathie der internationalen Öffentlichkeit dürfte mit
       dem Scheitern des Vermittlers, US-Außenminister John Kerry, zwar an die
       Palästinenser gegangen sein. Der eigentliche Sieger ist jedoch die
       Siedlerbewegung. Ihr Traum von Großisrael, das sich vom Mittelmeer bis zum
       Jordan erstreckt, nimmt zunehmend Form an, indessen die Vision vom Staat
       Palästina verblasst.
       
       Status quo heißt das Zauberwort für beide Seiten. Netanjahu klebt am
       Istzustand, den sich auch sein Volk mehrheitlich wünscht. Nie war es so
       friedlich wie heute. Nur nicht dran rütteln, lautet die Devise. Recht
       unerwartet kommt die Ruhe gerade infolge der anfangs mit Sorge beobachteten
       Arabellion. Während in Ägypten Hunderte Muslimbrüder zum Tode verurteilt
       wurden, die Hamas auf der Liste der Terrororganisationen landete und die
       ägyptischen Sicherheitskräfte die Tunnel zerstören, durch die einst Waffen
       nach Gaza geschmuggelt wurden, lehnen sich Israels Soldaten gemütlich
       zurück. Auch aus dem Norden, wo sich im Kampf um die Vorherrschaft in
       Damaskus Israels Feinde gegenseitig schwächen, droht auf absehbare Zeit
       keine Gefahr.
       
       Akuten Handlungsbedarf gibt es für Israel ebenso wenig an palästinensischer
       Front. Niemand rechnet mit Massendemonstrationen oder neuer Gewalt, wohl
       wissend, dass die Palästinenser die Bomben leid sind, die sie dem eigenen
       Staat doch keinen Schritt näher brachten. Die Mehrheit der Israelis zieht
       zwar die Zweistaatenlösung einer Einstaatenlösung vor. So recht an einen
       Frieden glauben will man aber spätestens seit dem Gaza-Abzug 2005 nicht
       mehr. Der Abzug der israelischen Truppen und die Räumung der Siedlungen
       brachte die Islamisten an die Macht, und dann kam der Raketenbeschuss.
       
       Im geteilten Palästina mangelt es der Hamas im Gazastreifen und Präsident
       Abbas im Westjordanland an demokratischer Legitimation. Ihre Amtszeiten
       sind lange überschritten, und Wahlen bleiben illusorisch, solange die
       verfeindeten Parteien nicht zueinanderfinden. Abbas allein verfügt nicht
       über die politische Stärke, die nötig wäre, um dem Konflikt mit Israel ein
       Ende zu machen, um einer Grenze zwischen beiden Staaten zuzustimmen und das
       Rückkehrrecht fast aller Flüchtlinge aufzugeben. Der Status quo garantiert
       ihm vorerst das Überleben als Präsident.
       
       ## Stagnation seit 14 Jahren
       
       Solange die Autonomiebehörde die palästinensische A-Zone (etwa 18 Prozent
       des Westjordanlandes) verwaltet und dort mit den eigenen Sicherheitstruppen
       für Ruhe sorgt, werden auch die internationalen Spendengelder weiter
       fließen, um den seltsamen Regierungsapparat in Ramallah vor dem
       Zusammenbruch zu bewahren. Augenscheinlich bleibt also alles beim Alten.
       
       De facto verschiebt sich die Grenze jedoch nach Osten. Mit jedem Neubau von
       Wohnungen für Israelis im besetzten Land schrumpft Palästina zusammen. Was
       bislang nur die national-religiöse Koalitionspartei „Das jüdische Haus“
       offen forderte, ist insgeheim offenbar längst Regierungspolitik: eine
       Annexion des noch unbewohnten palästinensischen Landes. Immer schneller
       breiten sich die Siedlungen aus – besonders in den letzten acht Monaten der
       Verhandlungen, die die Zweistaatenlösung zum Ziel hatten.
       
       14 Jahre ist es her, dass die USA zum letzten Mal einen ernsthaften
       Vermittlungsversuch unternahmen. Über Wochen zog sich Ex-US-Präsident Bill
       Clinton damals völlig umsonst von allen anderen Pflichten zurück.Nach dem
       Scheitern John Kerrys wird sich so rasch kein dritter Weltpolitiker die
       Hände verbrennen wollen. Noch einmal 14 Jahre ungehinderter Siedlungsbau im
       aktuellen Tempo, und die jüdische Bevölkerung im besetzten Land wird die
       Millionengrenze erreichen.
       
       ## Netanjahu geht behutsam vor
       
       Im Westen des Jordans werden die Palästinenser prozentual weniger, im Osten
       eher mehr. Eine jordanische Arabellion ist nur noch eine Frage der Zeit.
       Vorerst gelingt es König Abdallah zwar noch, mit seinen Reformangeboten und
       mit dem Schreckgespenst des syrischen Bürgerkriegs vor Augen den
       Demokratiewunsch der Jordanier einzudämmen. Die Monarchie der
       haschemitischen Minderheit, die schon jetzt über eine deutliche
       Bevölkerungsmehrheit von Palästinensern regiert, wird sich trotzdem nicht
       ewig halten.
       
       Ein demokratisches Jordanien wird ein palästinensisches sein. Die
       Restbestände von „Westjordanien“ – die Enklaven Ramallah, Nablus, Hebron,
       Bethlehem und die Palästinenser in Ostjerusalem – könnten von den neuen
       Herren in Amman dann gleich mitregiert werden. Übrig vom Traum des
       legendären PLO-Chefs Jassir Arafat bliebe dann eine palästinensische
       Republik Gazastreifen.
       
       Daher wäre ein politisches Erdbeben nötig, um den Neuen Nahen Osten zu
       retten. Die offizielle Annexion von palästinensischem Land zum Beispiel
       oder die Ankündigung, nicht nur 500, sondern gleich 50.000 neue
       Siedlerwohnungen zu bauen, würde den Westen vielleicht wachrütteln. Doch
       Netanjahu geht behutsam auf Abstand zu drastischen Schritten, die für ihn
       nur kontraproduktiv wären.
       
       Seit gut 30 Jahren hält der Frieden mit Ägypten, weil Israel den Sinai
       zurückgab, und seit fast 20 Jahren hält der Frieden mit Jordanien, weil der
       König keine Gebietsansprüche hegt. Ein Frieden mit Libanon und eines Tages
       vielleicht sogar mit Syrien wäre zumindest geopolitisch möglich, denn
       Israel hat bisher signalisiert, die Golanhöhen womöglich zurückzugeben.
       
       Doch im Westjordanland zieht es einen Feind heran, der den Kampf niemals
       aufgeben wird. Ohne Lösung für das Palästinenserproblem wird der Nahe Osten
       nicht zur Ruhe kommen. Und ohne einen Staat Palästina wird Israel weiter
       als Zündstoff der islamistischen Hetzparolen in Teheran oder Beirut
       herhalten müssen und der Antisemiten im Westen.
       
       19 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Knaul
       
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