# taz.de -- Lage der Opposition im Bundestag: Die Suchenden
       
       > Linke und Grüne verzweifeln über fehlende Kernthemen, Personal und
       > Zwistigkeiten. Wie wollen sie das ändern?
       
 (IMG) Bild: Suchen immer noch nach Kernthemen für die Grünen: Anton Hofreiter im Gespräch mit Kovize Katrin Göring-Eckardt
       
       BERLIN taz | Die Opposition, freut sich ein SPD-Spitzenpolitiker, sei
       schwach wie keine zuvor. In Fachausschüssen, höhnt der Genosse, der lieber
       namenlos bleiben möchte, säßen mitunter ahnungslose Neulinge. Ein
       SPD-Minister macht sich bereits Sorgen um die parlamentarische Demokratie.
       Statt ständig übereinander herzufallen, müssten Grüne und Linkspartei
       dringend die Regierung schärfer angehen. Fast klingt Mitleid mit der
       Konkurrenz an – die Höchststrafe im politischen Geschäft. Ist das nur die
       Selbstgefälligkeit der Großen Koalition? Oder sind Linke und Grüne nach dem
       ersten halben Jahr Oppositionsarbeit wirklich in so desolater Verfassung?
       
       Gregor Gysi steht am Montagnachmittag im Reichstag und schaut gut gelaunt
       wie fast immer in die TV-Kameras. Noch zwei Wochen, dann beginnt die
       Sommerpause. Am Mittwoch wird er, formal Oppositionsführer, Kanzlerin
       Angela Merkel in der Generaldebatte als Erster Kontra geben. Dafür läuft
       sich der Fraktionschef warm: „Die soziale Spaltung nimmt zu“, sagt er. Und:
       „Die Eurokrise kommt in vollem Umfang bei uns an.“
       
       Bekannte Sätze, die bekannte Rolle der Linkspartei als soziales Gewissen
       der Nation. Doch die Große Koalition hat inzwischen zwei Themen der Linken
       gekapert: Rente und Mindestlohn. Jahrelang haben die Genossen damit
       Regierungen vor sich hergetrieben, nun ist die Luft raus.
       
       Immerhin kann Gysi das Komplizierte einfach machen. Er fragt: „Warum soll
       die Lidl-Verkäuferin mit ihren Rentenbeiträgen die Mütterrente bezahlen,
       aber ich und Volker Kauder nicht? Verstehe ich nicht.“ Keiner im Bundestag
       forderte Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel in den vergangenen sechs
       Monaten besser als Gysi. Und: Niemand kann die Widersprüche der Linkspartei
       so gekonnt versöhnen wie Gysi, oder zumindest lustig darüber
       hinwegplaudern.
       
       ## Revanche und Beleidigungen innerhalb der Linkspartei
       
       Die Frage ist, wie lange er diese Rolle noch erfüllt. Nach der Wahl gab es
       in einem Berliner Restaurant ein Krisentreffen der Linksparteispitze. Die
       linke Flügelfrau Sahra Wagenknecht drängte in die erste Reihe. Gysi gab
       nach. Im Herbst 2015 soll er, so die Verabredung, für Wagenknecht und den
       Ostrealo Dietmar Bartsch Platz machen. Wird er? Und vor allem: Was dann?
       
       Bereits jetzt geht es intern wild her. Der Zwist tobt nicht etwa zwischen
       den Linksfundamentalisten und Ostpragmatikern, sondern zwischen Reformern
       des Forums demokratischer Sozialismus (FdS) um Stefan Liebich und der
       Parteichefin Katja Kipping.
       
       Der Streit hat etwas von einer Ehekrise im Endstadium. „Wenn das so
       weitergeht, halten uns viele für nicht mehr wählbar“, fürchtet der
       Brandenburger Linksparteimann Thomas Falkner, inzwischen aus dem FdS
       ausgetreten. Dort spiele „Revanche“ für die Niederlage von Dietmar Bartsch
       gegen Katja Kipping vor zwei Jahren eine zu große Rolle. Revanche, Rache,
       Beleidigungen. Damit hält sich die Linkspartei gerade auf.
       
       Auch bei den Grünen ist die Stimmung nach dem ersten Halbjahr angeknackst.
       Einige Medien haben sich auf ihren Fraktionschef eingeschossen: Anton
       Hofreiter, der im Herbst den Posten von Jürgen Trittin an der
       Fraktionsspitze übernahm, hält als Sündenbock für vieles her, was
       schieflief. Anders als die Linksfraktion mit ihrem erprobten Frontmann Gysi
       haben die Grünen den Generationswechsel schon vollzogen. Seither lasten
       enorme Erwartungen auf „Toni“. Hofreiter versprach, der taumelnden
       Bundestagsmannschaft eine gewisse Unverwechselbarkeit zu garantieren mit
       seiner kumpeligen Art, der bayerisch-deftigen Sprache und der aus der Zeit
       gefallenen Langhaarfrisur.
       
       ## Niemand füllt das Vakuum
       
       Doch der Bayer blieb blass, seine erste große Rede im Bundestag wirkte
       ungeübt, der Neue kassierte zunehmend Spott und Dresche. Ein Satiremagazin
       besang ihn als „Kleinen grünen Hanswurst“, dann kam auch noch die
       Zweitwohnungssteuer-Affäre – Hofreiter hatte vergessen, diese zu bezahlen.
       
       Die drei anderen aus dem grünen Spitzenquartett – Kofraktionschefin Katrin
       Göring-Eckardt sowie die Parteichefs Simone Peter und Cem Özdemir – duckten
       sich dankbar weg. Denn Hofreiter lenkte als Blitzableiter vortrefflich von
       ihren Schwächen und den inhaltlichen Lücken bei den Grünen ab.
       
       Die Lage ähnelt der nach einer Palastrevolution. Die gefürchteten Herrscher
       sind weg. Endlich Freiheit für alle Kleingehaltenen. Doch nach der ersten
       Euphorie wird klar: Niemand kann das Vakuum füllen. „Selbst bei Grünen ist
       ganz tief der Wunsch nach Führung verwurzelt“, sagt ein einflussreicher
       grüner Landespolitiker. Seit Trittins Rückzug fehle seiner Partei „die eine
       Person, die intellektuell und strategisch vorangeht“.
       
       Wer vorangehen will, muss eine Route kennen. Doch auch die ist unklar. Im
       Parlament haben sie sich einen „konstruktiven“ Oppositionskurs verordnet.
       Also keine Kritik um der Kritik willen. Noch schriller als die
       Linksfraktion ginge es ohnehin nicht. Inzwischen jedoch hört man den
       Spitzenleuten an, wie sie die Regler hochdrehen.
       
       ## Mangelnde Haltung trifft auf personelle Probleme
       
       Am Dienstag, dem Tag vor seiner Rede in der letzten Generaldebatte vor den
       Parlamentsferien, tritt Hofreiter ziemlich krachledern auf. Ein paar Flure
       weiter im Reichstag spitzt sich gerade der Streit um die Energiewende zu.
       Hofreiter überbietet sich mit Tiraden: frech, unverschämt, skandalös sei
       der Umgang der Regierung mit dem Parlament. „Wir können nicht verhindern,
       dass die Unsinn beschließen“, poltert er. „Aber wir können immerhin dafür
       sorgen, dass der Unsinn sichtbar wird.“
       
       Doch auch bei ihrem früheren Knallerthema haben es die Grünen schwer. Sie
       verorten sich irgendwo zwischen Mitmachen und Opponieren, und das ist keine
       einfache Lage. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann erklärte im
       Frühjahr, die Grünen müssten „versuchen, die Energiewende im Konsens
       voranzutreiben“. Die Bundesländer hatten zuvor stundenlang im Kanzleramt
       über das EEG-Gesetz verhandelt. „Das ist uns heute gut gelungen“,
       versicherte Kretschmann.
       
       Zwölf Stunden später klang das bei Hofreiter komplett anders. Die Reform
       bleibe falsch, schimpfte er: „Das Tempo der Energiewende wird verringert,
       die Ausbauziele sind zu niedrig.“ Was ankam war: Die Grünen haben bei ihrem
       Kernthema keine klare Haltung.
       
       Auch personell ist es schwierig. Wichtige Energieexperten flogen aus dem
       Bundestag. Andere wechselten die Seiten – darunter Rainer Baake, früher als
       Staatssekretär bei Jürgen Trittin Architekt grüner Energiepolitik. Im Jahr
       2013 holte ihn SPD-Minister Sigmar Gabriel wieder als Staatssekretär – was
       allzu wütenden Protesten der Grünen die Glaubwürdigkeit nimmt.
       
       ## AKW-Protest ging immer
       
       Früher half den Grünen notfalls ihr Anti-Atom-Selbstverständnis. Doch der
       AKW-Protest hat sich erledigt. Ein neues Herzensthema ist nicht in Sicht.
       „Da gibt’s ein großes Spektrum an Ideen und Möglichkeiten“, sagte Hofreiter
       kürzlich bei einem Podiumsauftritt. Übersetzt heißt das: Den Grünen fehlt,
       wie der Linkspartei, das identitätsstiftende Großthema. Flügelstreitereien
       schwelen vor sich hin. Nachdem die Partei kürzlich einen Fahrplan zur
       Kanalisierung des Steuerkonflikts verabschiedete, zoffen sich Spitzengrüne
       jetzt halböffentlich über dessen Auslegung. Landesfürsten beklagen, die
       Partei trage zu viele ungeklärte Fragen mit sich herum, die eigentlichen
       Kontroversen würden nicht ausgetragen.
       
       „Wir sind noch nicht aus dem Gröbsten raus“, konstatiert Malte Spitz, 30
       Jahre, Nachwuchsvertreter im einflussreichen Parteirat. Man sei in der
       Findungsphase, „wer wir sind und wohin wir wollen“. Seine Partei brauche
       jetzt grundsätzliche Diskussionen: „Mit welcher Haltung treten die Grünen
       auf? Welche Inhalte stellen wir nach vorne?“
       
       Kein Wunder, dass bei einer Umfrage nach der Europawahl im Mai 70 Prozent
       der Wähler zugaben: Sie kapieren gerade nicht, wofür die Grünen stehen. Die
       Fraktion überprüft inzwischen ihre inhaltlichen Prioritäten. Nach der
       Sommerpause wird sie vermutlich einen weiteren Schwerpunkt setzen. Ein
       „mögliches Thema“, sagt Anton Hofreiter, sei das umstrittene
       Freihandelsabkommen TTIP.
       
       Dabei kann es ja auch gut laufen, so wie zuletzt im Untersuchungsausschuss
       zur NSA-Affäre. Der grüne Altlinke Christian Ströbele und
       Realo-Fraktionsvize Konstantin von Notz treiben munter die Regierung vor
       sich her, flankiert von der Linkspartei-Obfrau Martina Renner. Das Gezerre
       um Edward Snowden macht seit Wochen Schlagzeilen. Inzwischen bereiten die
       Fraktionen gemeinsam eine Klage beim Verfassungsgericht vor.
       
       Eine solche Kooperation ist die Ausnahme. Es fehle oft ganz einfach an
       „Absprachen in den Ausschüssen, um zusammen effektive Oppositionsarbeit zu
       machen“, analysiert Linkspartei-Mann Liebich. Die Zusammenarbeit mit den
       Grünen müsse sich verbessern. Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit.
       Doch spätestens seit der Ukrainekrise ist es das Gegenteil davon.
       
       24 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
 (DIR) Astrid Geisler
 (DIR) Malte Kreutzfeldt
       
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