# taz.de -- Debatte SPD in der GroKo: Die Kurzstreckenläufer
       
       > Rente mit 63, Mindestlohn, Doppelpass. Die Sozialdemokraten treiben die
       > Kanzlerin in der Großen Koalition vor sich her. Noch.
       
 (IMG) Bild: Was die GroKo ignoriert: Die Altersarmut wird die Jüngeren erfassen
       
       Deutschland ist nach einem guten halben Jahr Große Koalition gerechter
       geworden. Es gibt den Mindestlohn, die Rente mit 63, den Doppelpass. Die
       SPD gibt den Takt in der Regierung vor. Nebenher hat Arbeitsministerin
       Andrea Nahles nach den Verwerfungen der Schröder-Ära auch noch die SPD mit
       sich selbst versöhnt.
       
       So sehen es die Sozialdemokraten. Wenn man näher hinschaut, ist das Bild
       anders, rissiger, schattierter. Der hellste Punkt in diesem Gemälde ist der
       Mindestlohn, eine längst überfällige Korrektur. Dass es Lobbygruppen wie
       den Zeitungsverlegern auf den letzten Metern gelang, Ausnahmen
       durchzusetzen, ist misslich. Im Großen und Ganzen aber ist Andrea Nahles’
       Deal aufgegangen. Sie hat Dehnbarkeit bei Übergangszeiten und Ausnahmen
       gegen den großen Konsens getauscht.
       
       Jenseits von ein paar schlecht gelaunten Leitartiklern, die den Untergang
       der Marktwirtschaft beklagen, und dem eher depressiven als kampfeslustigen
       Gemurre beim Wirtschaftsflügel der Union ist keine Kritik zu hören. Dass
       nur fünf Unionsparlamentarier gegen den Mindestlohn stimmten, spricht
       Bände.
       
       Der Mindestlohn, lange hartnäckig bekämpft, taugt nicht mehr zur
       ideologischen Überhöhung. Das ist gut so. Es erhöht die Chance, dass er
       praktisch funktioniert und nicht auch noch mit gutem Gewissen sabotiert
       wird. Und: Man kann hoffen, dass der Mindestlohn auch die Löhne im
       mittleren Bereich leicht anhebt. Wenn Ungelernte statt 6 Euro nun 8,50 Euro
       bekommen, werden Gelernte auch ein paar Euro mehr fordern. Ob eine
       rot-rot-grüne Regierung gegen scharfen Widerstand von Medien, Union und
       Unternehmern den Mindestlohn effektiver durchgesetzt hätte, ist fraglich.
       
       ## Keine Kampagne gegen Multikulti
       
       Beim Doppelpass sieht der Deal ähnlich aus: Ausnahmen gegen geräuscharmes
       Durchwinken. Auf der Habenseite steht, dass Migranten nicht mehr gezwungen
       sind, sich mit 21 Jahren zwischen dem deutschen und einem anderen Pass zu
       entscheiden – auf der Sollseite, dass Ältere ausgeklammert sind. Die
       Schrittlänge ist zu kurz, aber die Richtung stimmt. Dass das Ganze ohne
       Antimultikultikampagne über die Bühne ging, ist von Vorteil. Auch da hätte
       es eine Mitte-links-Regierung schwerer gehabt.
       
       Beim teuersten Projekt der Großen Koalition liegen die Dinge anders. In der
       Rentenpolitik marschieren Union und SPD unbeirrt in die Sackgasse. Man kann
       die Rente mit 63 für Leute, die 45 Jahre gearbeitet haben, rechtfertigen.
       Ebenso, dass Mütter, die vor 1992 Kinder bekommen haben, nun finanziell
       weniger krass diskiminiert werden. Aber: Die teure Mütterrente wird erst
       mal aus der Rentenkasse finanziert und nicht aus Steuern. Das ist
       systematisch falsch und unsozial.
       
       Vor allem aber privilegieren die Mütterrente und Rente mit 63 die Älteren.
       Die Welle von Altersarmut aber wird die Jüngeren erfassen angesichts des
       sinkenden Rentenniveaus, des späteren Rentenbeginns und niedriger Zinsen.
       Dass die Große Koalition dies starrsinnig ignoriert, ist dramatisch. Denn
       Rentenpolitik braucht den Konsens. Welche Regierung, wenn nicht die Große
       Koalition, soll zu einer brauchbaren Rentenreform in der Lage sein?
       
       ## Kein Grund zur Selbstzufriedenheit für die SPD
       
       Ist Deutschland also gerechter geworden? Das Bild ist nicht schwarz, nicht
       weiß, sondern grau. Die SPD kann sich politisch einiges zugute halten –
       Grund zur Selbstzufriedenheit hat sie nicht.
       
       Im Gegenteil. Erfolge wie der Mindestlohn werden bald Vergangenheit sein.
       Bei anderen Themen, mit denen sie links punkten könnte, fehlt der SPD der
       Mut. In der Europolitik entfernt sich die SPD-Spitze nur Zentimeter von
       Merkel – und auch nur, wenn diese gerade in Paris ist. Die Idee der
       SPD-Spitze, sich künftig als Wirtschaftspartei gegen Merkel zu profilieren,
       hat etwas Ratloses.
       
       Die SPD wirkt wie ein Langstreckenläufer, der die ersten paar Hundert Meter
       sehr forsch angegangen ist. Und nun nicht mehr recht weiß, wie es
       weitergeht. Angela Merkel ist auf langen Strecken nie zu unterschätzen.
       
       5 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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