# taz.de -- Kommentar Besetzte Schule: Am Rand der Katastrophe
       
       > Die Flüchtlinge in der Kreuzberger Schule sind lästig für die Berliner
       > Landespolitik. Das wirkliche Problem jedoch ist ein viel
       > existenzielleres.
       
 (IMG) Bild: Auf dem Dach der Schule am Donnerstag.
       
       Es war Donnerstag, der dritte Tag des Großeinsatzes in Kreuzberg, als eine
       Anwohnerin der Ohlauer Straße im Gespräch meinte, dass sie sich hier
       zwischen den Protestierenden gewiss keine Freunde machen würde, aber sie
       fände es schlimm, dass dort ein gesetzloser Raum entstanden sei. Mit „dort“
       meinte sie natürlich die besetzte Schule und nicht das polizeiliche
       Absperrgitter neben dem sie stand.
       
       Dabei befindet sich die Grenze zwischen Rechtsstaat und Willkür genau an
       diesem Gitter, das sich um zwei Blocks in Berlin Kreuzberg zieht. Die
       Ohlauer Straße ist normalerweise eine viel befahrene Verbindung zwischen
       Kreuzberg und Neukölln, der Kiez zwischen Reichenberger und Wiener Straße
       ist ein belebtes Viertel, mit Geschäften, Kneipen, Schwimmhalle,
       Werkstätten und Arztpraxen. Wer dort jetzt hinein darf entscheiden –
       Polizeibeamte.
       
       Je nach Tageszeit und -form der Beamten sind die Einreiseformalitäten eher
       kurz und knapp oder mit ausführlicher Überprüfung verbunden.
       Pressevertretern wird seit Tagen der Zugang zur besetzten Schule gänzlich
       verwehrt und in die Sperrzone erheblich erschwert. Umstandslos endet an dem
       Absperrgitter das Leben nach gewohnten Normen. Es beginnt ein Raum, in dem
       Sheriffs in Kampfanzügen das Gesetz sind – viel rechtsfreier geht es kaum.
       
       Dass diese Situation ausgerechnet im grün regierten Kreuzberg entstanden
       ist, dürfte Frank Henkel, dem CDU-Innensenator der Stadt, ein Lächeln ins
       Gesicht treiben. Die unwürdigen Versuche der beteiligten PolitikerInnen in
       Bezirk und Land, sich gegenseitig die Verantwortung für das Desaster und
       seine Lösung zuzuschieben, bestätigt nur, dass es schon lange nicht mehr um
       die Flüchtlinge geht, sondern nur noch darum, wer den größten politischen
       Schaden aus der Ohlauer Straße davonträgt.
       
       ## Zwangsläufiges Scheitern
       
       Seit mehr als anderthalb Jahren sind sie der Stachel im Fleisch der
       Berliner Landespolitik: Jene Flüchtlinge die im öffentlichen Raum mit allen
       ihnen zur Verfügung stehenden friedlichen Mitteln ihr Recht auf ein
       menschenwürdiges Leben einklagen. Alle Versuche, das Problem
       ordnungspolitisch aus der Welt zu schaffen, sind bislang gescheitert.
       
       Dieses Scheitern wird sich zwangsläufig fortsetzen. Auf dem Pariser Platz,
       dem Oranienplatz und nun in der Schule in der Ohlauer Straße haben die
       BerufspolitikerInnen es nämlich mit Menschen zu tun bekommen, denen mit den
       gewohnten Techniken politischer und polizeilicher Steuerung einfach nicht
       beizukommen ist.
       
       Bis heute scheint es bei den Verantwortlichen nicht angekommen zu sein,
       dass diese Flüchtlinge für ihren Protest keine Exit-Strategie haben. Das
       sind keine Bürgerkinder, die am 1. Mai ein wenig über die Stränge schlagen,
       am nächsten Tag aber wieder brav sind. Das ist keine lokale Initiative, die
       ein paar Bäume pflanzen will, aber auch ein paar Bäume weniger nimmt. Es
       geht den Flüchtlingen nicht darum, in Hinterzimmern einen gesichtswahrenden
       Deal auszuhandeln. Mehr als deutlich haben sie gemacht, dass es ihnen um
       das nackte Überleben geht. Solche Leute lassen sich nicht unbedingt von
       einer Hundertschaft Bereitschaftspolizei einschüchtern oder mit ein paar
       Almosen abspeisen.
       
       ## „Ihr habt keine Macht“
       
       Ob man einer grün geführten Bezirksregierung nun mehr menschliche Empathie
       für die Belange der Flüchtlinge zutrauen soll, sei dahingestellt. Dass die
       politische Vernunft aber nicht einmal so weit reicht, sich nicht in eine
       Situation zu manövrieren, in der ein ganzer Kiez in den Belagerungszustand
       versetzt wird und der Innensenator sich bitten lassen kann, zur Hilfe zu
       eilen, überrascht dann doch.
       
       In einem Statement am Samstag sagten die Besetzer der Schule über die
       Polizisten und damit deren Dienstherren in Bezirk und Land: „You have no
       power. You have nothing in your hands besides your guns“ - „Ihr habt keine
       Macht. Ihr habt nichts in euren Händen, außer euren Waffen“.
       
       Das stimmt, denn die Macht, über Monate die öffentliche Wahrnehmung für die
       existenzielle Verzweiflung der Flüchtlinge zu schärfen, liegt bis heute
       allein bei ihnen selbst und sie nutzen sie bei aller Heterogenität der
       Gruppe entschlossen und gemeinsam. Das wirklich Tragische jedoch ist, dass
       die Flüchtlinge ihrerseits nicht viel mehr in den Händen halten als ihr
       Leben. Solange aber Bezirk und vor allem der Senat das nicht angemessen in
       Rechnung stellen, ist die Situation nicht einfach nur verfahren, sondern
       bewegt sich gefährlich nah am Rande einer Katastrophe.
       
       28 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniél Kretschmar
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Kreuzberg
 (DIR) Frank Henkel
 (DIR) Flüchtlingspolitik
 (DIR) Berlin
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Gerhart-Hauptmann-Schule
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Berlin-Kreuzberg
 (DIR) Kreuzberg
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Flüchtlinge
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Besetzte Schule in Berlin-Kreuzberg: Kommt jetzt doch die Räumung?
       
       Die Polizei hatte dem Bezirksamt in Berlin ein Ultimatum gestellt, bevor
       sie aus Kreuzberg abzieht. Nun will das Amt die Flüchtlinge wohl doch
       räumen lassen.
       
 (DIR) Kommentar Flüchtlinge in Schule: Politische Lehrstunde in Kreuzberg
       
       Die Polizei stellt dem Bezirk ein Ultimatum, das ihm keine Wahl lässt. Die
       Probleme der Flüchtlinge auf dem Dach sind damit noch lange nicht gelöst.
       
 (DIR) Hauptmann-Schule: Polizeipräsident stellt Ultimatum
       
       Klaus Kandt fordert Bürgermeisterin Herrmann auf, eine Lösung für den
       Konflikt in der Schule zu präsentieren. Sonst werde man die Sperren am
       Dienstag abbauen.
       
 (DIR) Presse-Ausschluss in besetzter Schule: taz legt erneut Beschwerde ein
       
       Journalisten dürfen die von Flüchtlingen besetzte Schule in
       Berlin-Kreuzberg weiterhin nicht betreten. Die taz hält die
       Sicherheitsgründe für vorgeschoben.
       
 (DIR) Lösungsvorschlag für besetzte Schule: Bezirk bietet Dach überm Kopf
       
       Der Kreuzberger Bezirksamt bietet an, dass der Pavillon auf dem
       Schulgelände Unterkunft werden soll. Und fordert vom Innensenator einen
       Abschiebestopp.
       
 (DIR) Debatte Flüchtlingspolitik: Schlechtes Gewissen macht Angst
       
       In Berlin-Kreuzberg finden sich nicht nur Touristen ein, sondern auch
       politisch aktive Asylsuchende. Das alternative Milieu ist völlig
       überfordert.
       
 (DIR) Besetzte Schule in Berlin-Kreuzberg: Friedliche Demo für Flüchtlinge
       
       Tausende demonstrieren am Samstag in Kreuzberg für die Flüchtlinge in der
       besetzten Schule. Der Bezirk sucht derweil nach einer Lösung.
       
 (DIR) Besetzte Schule in Kreuzberg: Vermittlungen sind gescheitert
       
       Die Flüchtlinge verlangen Bleiberecht und beharren auf Verhandlungen mit
       Innensenator Henkel. Mit dem Bezirk wollen sie nicht mehr reden.
       
 (DIR) taz geht gegen Presseausschluss vor: Niederlage in erster Instanz
       
       Die taz kämpft juristisch dagegen, dass die Polizei keine Journalisten auf
       das Gelände der besetzten Schule in Kreuzberg lässt. Und verliert in erster
       Instanz.
       
 (DIR) Bürgermeisterin über Flüchtlinge: „Die Lage ist sehr brisant“
       
       Kreuzbergs Bürgermeisterin ist vorsichtig optimistisch, dass es zu einer
       friedlichen Lösung an der besetzten Schule kommt. Doch die Polizei hätte
       das Recht, zu räumen.
       
 (DIR) Besetzte Schule in Berlin-Kreuzberg: Frühstück im Sperrgebiet
       
       Mitten in Berlin sperrt die Polizei einen ganzen Wohnblock ab. Der Zugang
       ist auf die Anwohner beschränkt. Ein Besuch an der Ohlauer Straße.