# taz.de -- Flüchtlinge in Berlin-Kreuzberg: Im Niemandsland der Rechtsordnung
       
       > Der Ausnahmezustand als Normalfall: Warum ein Begriff des Philosophen
       > Giorgio Agamben die Lage in Berlin-Kreuzberg erfasst.
       
 (IMG) Bild: Ausgerüstet mit „höchstmöglicher Sensibilität“: Polizei in Berlin-Kreuzberg.
       
       Als vor gut einer Woche die Polizei 900 uniformierte Kräfte um die von 40
       Asylsuchenden besetzte Schule in der Ohlauer Straße in Berlin-Kreuzberg
       versammelte, war das alles andere als ein „beispielloser Vorgang“, wie zu
       lesen war.
       
       Der Vorgang beziehungsweise Fall war in jeder Beziehung, theoretisch wie
       praktisch, vorbereitet und eingeübt. Man muss dazu nur im realen Sinn
       europäisch und nicht berlinerisch oder deutsch denken.
       
       Die Theorie zu diesem konkreten Fall des Ausnahmezustands gibt es seit 2003
       auf Italienisch und seit 2004 auf Deutsch. Sie stammt von Giorgio Agamben,
       und sein Buch trägt den Gegenstand im Titel, der „Ausnahmezustand“ lautet.
       Der Ausnahmezustand, „dieses Niemandsland zwischen Öffentlichem Recht und
       politischer Faktizität, zwischen Rechtsordnung und Leben“, wird in Agambens
       Theorie zum Normalfall der Regierung gerade in demokratisch verfassten
       Staaten als Antwort auf die Bedrohungen durch Terroristen und Einwanderer.
       
       Der vorgängige Anlass seiner Schrift war die „military order“ des
       US-amerikanischen Präsidenten vom 13. November 2001. Danach ist bei
       Nicht-Staatsbürgern, die terroristischer Taten verdächtigt werden,
       „unbeschränkte Haft“ und ein Prozess vor „military commissions“ erlaubt,
       die nichts mit Militärgerichten, wie sie das Kriegsrecht vorsieht, zu tun
       haben. Der erlaubte Ort dieses Nicht-Rechts heißt Guantánamo.
       
       ## Die Kritik der Augen
       
       Agambens Theorie hat aber auch eine Nachgeschichte, und die beginnt im Juli
       2008, als die italienische Regierung für ganz Italien den Ausnahmezustand
       ausrief, um dem Problem der illegalen Einreise von Einwanderern aus
       Nordafrika und Osteuropa Herr zu werden.
       
       Dazu ließ die Regierung demonstrativ 4.000 bewaffnete Soldaten an sensiblen
       Punkten in Großstädten, an Bahnhöfen und Geschäftszentren, aufmarschieren,
       um dadurch die öffentliche Sicherheit zu garantieren. Bemerkenswert war
       daran, dass der Ausnahmezustand ohne große Aufregung eingeführt wurde. Das
       Leben ging ganz normal weiter seinen Gang.
       
       Wie beispielhaft das italienische Modell für Europa war, lässt sich jetzt
       in Kreuzberg studieren. Ein Vertreter der grünen Stadtteilregierung hofft,
       dass die Polizei mit „höchstmöglicher Sensibilität“ bei der Räumung der
       Schule vorgehen werde. Die Polizei hingegen werde, wie ein Sprecher
       erklärte, erst mal Gespräche führen und „das dann mit Augenmaß“ angehen.
       
       Dass die Kritik der Augen, die diesem Augenmaß zugrunde liegen, längst
       geschrieben ist, wird sie genauso wenig stören wie die Grünen die
       Nicht-Wirklichkeit der Menschenrechte beim Regieren.
       
       2 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cord Riechelmann
       
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