# taz.de -- Erste Aussagen vor dem NSA-Ausschuss: Die Kronzeugen
       
       > Der NSA-Ausschuss vernimmt zwei Aussteiger aus dem Inneren des
       > US-Geheimdienstes. Sie könnten zu den wichtigsten Zeugen werden.
       
 (IMG) Bild: Arbeitete 37 Jahre für die NSA, bevor er sie verließ: William Binney
       
       BERLIN taz | William Binney bahnt sich mit seinem Rollstuhl den Weg durch
       die Fotografentraube im Bundestag. Blitzlicht flammt auf, immer wieder.
       Binney behält sein Lächeln. „How are you?“, grüßt der Mann mit dem blauen
       Jackett in die Menge. Dann verschwindet er in den Saal 3101 des Bundestags.
       
       Dort legt Binney wenig später seine Freundlichkeit ab. Zumindest was seinen
       früheren Arbeitgeber betrifft, die NSA. „Sie will alle Informationen haben,
       die sie bekommen kann, und das global“, sagt der 71-Jährige. „Die NSA
       verfolgt einen totalitären Ansatz, den wir sonst nur aus Diktaturen
       kennen.“
       
       Binney ist am Donnerstagnachmittag als Zeuge im NSA-Untersuchungsauschuss
       des Bundestags geladen: ein erster Höhepunkt des im April einberufenen
       Gremiums. 37 Jahre war Binney bei der NSA, bevor er den Geheimdienst 2001
       im Frust verließ. Nun wird er zum Kronzeugen in der deutschen Aufklärung
       der seit einem Jahr diskutierten Überwachungsaffäre.
       
       Und Binney kommt nicht allein. Nach ihm spricht auch Thomas Drake, ein
       hagerer Mann, auch er ein NSA-Aussteiger. Beide berichten dem Ausschuss
       erstmals aus dem Inneren der US-Behörde, die im Kern der Affäre steht. Ihre
       Aussage ist zentral, denn Binney und Drake könnten auch die Letzten sein,
       die das tun.
       
       Der einzige Zeuge, der noch zur Auskunft bereit wäre, ist der Offenleger
       der Massenüberwachung, Edward Snowden, der im letzten Jahr tausendfach
       NSA-Dokumente an Medien weiterreichte. Dessen Auftritt im Bundestag aber
       steht in weiter Ferne. Zwar beschloss der Ausschuss, den Whistleblower als
       Zeugen anzuhören. Nur wo und wie, darüber liegen die Abgeordneten bis heute
       im Clinch.
       
       ## „Verfassungsbruch“ beim Geheimdienst
       
       Umso zugewandter begrüßt Patrick Sensburg, der Ausschussvorsitzende und
       CDU-Mann, Binney und Drake. „Herzlich“ bedanke er sich für ihr Kommen. „Als
       US-Bürger hätten sie das ja nicht tun müssen.“
       
       Dann erzählt als erster Binney seine Geschichte. Der heutige Rentner
       gehörte zu den Topleuten bei der NSA, arbeitete dort als Technischer
       Direktor für eine Einheit mit 6.000 Analysten. Im Oktober 2001, kurz nach
       den Terroranschlägen in New York und Washington, verließ er den Dienst: aus
       Protest gegen die Anschaffung eines neuen Ausspähprogramms namens
       Trailblazer.
       
       Dieses kostete nicht nur Milliarden Dollar, sondern war auch imstande,
       millionenfach Daten anzuhäufen – inklusive solcher von US-Bürgern, die bis
       dahin ausgefiltert wurden. Dies, sagt Binney, bis heute empört, war nicht
       nur „völlig ineffizient“, sondern ein „Verfassungsbruch“. „Nun gab es
       überhaupt keinen Datenschutz mehr, der eingehalten wurde.“
       
       Das Jahr des Ausstiegs Binneys aus der NSA war das des Einstiegs für Thomas
       Drake. 2001 stieß der Kryptoanalytiker und frühere Air-Force-Pilot zu dem
       Geheimdienst. Zuvor hatte er bereits bei Partnerfirmen gearbeitet. Auch
       Drake kritisierte Trailblazer, beschwerte sich bei Vorgesetzten, schrieb an
       Ministerien. Am Ende kontaktierte er eine Journalistin.
       
       ## „Tagtägliche“ Zusammenarbeit mit dem BND
       
       Der Staat schlug zurück: 2007 durchsuchte das FBI Drakes Haus. 2010 wurde
       er wegen Spionage angeklagt. 35 Jahre Haft drohten. Im Prozess fielen die
       Vorwürfe in sich zusammen. Drake bekam nur für unautorisiertes Nutzen eines
       Dienstcomputers 240 Sozialstunden. Auch gegen Binney wurde ermittelt.
       Rechtsverstöße konnten ihm nie nachgewiesen werden. Heute sind er und Drake
       Vortragsreisende gegen die Arbeit ihrer früheren Kollegen.
       
       Als „Besessene“ hatte Drake die NSA bereits im Vorfeld bezeichnet. Auch
       Binney sagt im Saal 3101: „Es ist ein sehr hässlicher Weg, auf den sich die
       NSA begeben hat.“ Der Dienst agiere „ohne Einschränkung, ohne Respekt vor
       den Gesetzen“. Die Überwachung ziele heute "auf die sieben Milliarden
       Menschen dieses Planeten". Für Binney ist sie „die größte Bedrohung für
       unsere Demokratie“.
       
       Erstaunlich Worte für zwei Männer, die sich in den USA politisch den
       rechten Republikanern verbunden fühlen und einst mit Stolz für die NSA
       arbeiteten. Beide sehen darin keinen Widerspruch: Es gehe ihnen um einen
       Akt des Patriotismus, den Schutz der amerikanischen Freiheitswerte. Ein
       Motiv, das auch Edward Snowden anführt. Es war Drake, der als einer von
       wenigen den Whistleblower im letzten Oktober in Moskau besuchte.
       
       Heikel wird es am Donnerstag, als Binney und Drake über den deutschen
       Bundesnachrichtendienst (BND) berichten. Deutschland sei „Ausspähziel
       Nummer eins“, hatte Drake bereits vielfach betont - ein Akt des Misstrauens
       seit den Anschlägen vom September 2011, an denen auch Attentäter aus
       Hamburg beteiligt waren.
       
       Binney berichtet im Bundestag aber gleichzeitig von einer „extrem guten und
       effizienten Zusammenarbeit“ zwischen BND und NSA. Programme würden geteilt,
       Daten „tagtäglich“ in großem Stil ausgetauscht. „Ich gehe davon aus, dass
       dies bis heute geschieht.“
       
       Die Botschaft kommt an. Nach der Sommerpause will der Ausschuss gezielt die
       deutschen Dienste in den Blick nehmen. Erst jüngst wurde bekannt, dass der
       BND jahrelang Rohdaten von Europas größtem Internetknoten in Frankfurt/Main
       direkt an die NSA weitergeleitet haben soll. Der Linken-Abgeordnete André
       Hahn stellte am Rande die Frage, wo eigentlich Whistleblower aus den
       deutschen Diensten blieben.
       
       Binney und Drake können erzählen, warum diese bisher wohl fehlen: Es gibt
       einen Preis für die Enthüllungen. Der Bruch mit der NSA habe ihre Karrieren
       und Freundeskreise zerstört, sagen beide. Unabhängig davon kämpft Binney
       mit Diabetes, der ihn heute an den Rollstuhl fesselt.
       
       Umso mehr merkt man den beiden NSA-Aussteigern die Genugtuung an, nun im
       deutschen Parlament zu sprechen. In den USA aber bleibt auc hdas Stigma des
       Verräters. Wenn Drake, einst hochdotierter Computerspezialist, wieder in
       die Heimat fliegt, wird an den Arbeitsplatz zurückkehren, der ihm geblieben
       ist. Einen Apple-Store.
       
       3 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
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