# taz.de -- Debatte Friedensbewegung: Typischer Affentanz um den Krieg
       
       > Wer denkt, zumindest früher habe es in Deutschland eine richtige
       > Friedensbewegung gegeben, täuscht sich. Wir sind diesen Weg noch nie
       > gegangen.
       
 (IMG) Bild: Wie wär's mit radikalem Frieden? Ostermarsch in Frankfurt (Oder).
       
       Jeden Abend ist die Hilflosigkeit der Politik in der Tagesschau zu
       besichtigen. Worthülsen, diplomatische Verzierungen – ob Politiker oder
       „Experten“, egal: man weiß nicht mehr ein noch aus. Also gehen die
       Katastrophen in Syrien, in Gaza, im Irak, in Zentralafrika und auch in der
       Ukraine weiter und weiter. Alles ist ein-gefahren, ein-gemeindet,
       ein-institutionalisiert. Am schmerzlichsten ist es für mich, wenn die
       Kirchen oder Christen alldem ihren Segen geben.
       
       Eine ernsthafte Friedensbewegung hat es noch nicht gegeben, sie steht noch
       aus. Bundespräsident Gauck indessen wünscht sich kein pazifistisches
       Deutschland. „Der vom Evangelium gewiesene Weg sei nicht ausschließlich der
       Pazifismus“, hat er seinen Staatssekretär auf einen offenen Brief von
       Pfarrern und Theologen Anfang Juni antworten lassen und einmal mehr
       deutsche Verantwortung mit mehr militärischem Engagement verknüpft. Doch
       wir sind den Weg des Pazifismus nicht ein einziges Mal wirklich gegangen!
       
       Interessanterweise will auch keine deutsche Partei eine radikale
       Friedenspartei sein. Für die allgemeine Befindlichkeit ist vielmehr der
       Affentanz von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel typisch. Er spürt, dass
       Waffenexporte nicht so recht populär sind, also will er sie eindämmen. Doch
       er hat die Rechnung ohne die Gewerkschaften gemacht. Denen geht es nicht um
       Frieden, sondern um Arbeitsplätze. Wie aber kommen wir aus den Katastrophen
       heraus, von denen uns die Medien Tag für Tag berichten? Wir müssen weg von
       den militärischen Ritualen und dem Schutz, den stehende nationale Armeen
       angeblich bieten.
       
       ## Eine Armee unter UN-Kommando
       
       Ich bin überzeugt davon, dass niemand für sein eigenes Gemeinwesen die
       Notwendigkeit einer Polizei in Frage stellen wird. Genauso werden wir auch
       in der Welt von Zeit zu Zeit eine agierende Weltpolizei nötig haben. Die
       aber muss abseits der nationalen Heere agieren. Die Zahl der Militärs, die
       gesehen haben, dass man mit nationaler Befehlsgewalt nicht weiterkommt, ist
       Legion. Der tapferste bis heute ist sicher der Kommandeur Roméo Dallaire,
       der die UN-Blauhelmtruppen in Ruanda befehligte und nach eigener
       Einschätzung den Völkermord hätte verhindern können.
       
       Am 26. 1. 1994 sendete er an den damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan
       ein Telegramm und bat um Unterstützung. Doch Annan sagte das, was die UNO
       immer sagt: Dallaire solle wie bisher beide Seiten beobachten. So kam es
       zum Völkermord mit einer Million Toten. Dallaire ist gegen den Befehl
       seines Vorgesetzten in Ruanda geblieben. Später hat er zwei Mal versucht,
       sich das Leben zu nehmen.
       
       Die europäischen nationalen Armeen sind nicht mehr darauf eingerichtet, im
       Notfall das Leben ihrer Soldaten zu riskieren. Als in Ruanda neun belgische
       Blauhelme ermordet wurden, just zu Beginn des Völkermordes, musste die
       belgische Regierung sofort alle 470 Soldaten abziehen. Auch die
       niederländischen Blauhelme waren aufgrund des Selbstschutzes gezwungen, in
       Potocari/Srebrenica die im Camp um Schutz Suchenden zu verraten und an die
       mordenden Befehlsempfänger von Ratko Mladic zu übergeben. Das Leben
       europäischer Soldaten ist immer wertvoller als das Menschen anderer
       Nationen. Die Blauhelme der UN funktionieren in ihrer jetzigen Form nicht,
       denn die einzelnen Truppen unterstehen immer noch den Nationalstaaten. Eine
       Armee aufzubauen, die unter UN-Kommando steht, wird eine der größten
       Herausforderungen sein.
       
       ## „Die Welt in Waffen“
       
       Der Sozialdemokrat Hans-Jürgen Wischnewski sagte kurz vor seinem Tod 2005
       sinngemäß zu mir: Wenn ein Kontingent deutscher Soldaten nur unter der
       Befehlsgewalt des UN-Generalsekretärs agieren würde, wäre das der erste
       große Schritt zum Frieden in der Welt. Wenn doch Deutschland als erstes
       Land diesen Schritt ginge!
       
       Die Angriffe auf Gaza – die noch nicht zu Ende sind – haben so viel Hass in
       den jungen Menschen erzeugt, die da gefesselt an Israels Macht leben
       müssen, dass man sich ein gedeihliches Zusammenleben kaum mehr vorstellen
       kann. Der Sprecher der Knesset, Moshe Feiglin von der Likud-Partei, hat in
       einer 7-Punkte-Erklärung gesagt: „Gaza ist Teil unseres Landes und wird es
       für immer bleiben. Sobald der Terror eliminiert ist, werden dort Juden
       wohnen und das wird die Wohnungskrise in Israel entschärfen.“ Auf die
       Frage, wohin dann mit den Palästinensern?, antwortete er: „Laut Umfragen
       wollen die meisten Araber Gaza verlassen. (…) Diejenigen, die bleiben
       wollen, erhalten eine permanente Aufenthaltserlaubnis.“
       
       Die Bewegung der pazifistischen Internationalen – der Sozialisten, der
       Christen, der Freimaurer, der Buddhisten, der Muslime – hat bisher nicht
       funktioniert. Aber im Angesicht der Katastrophe wünschte ich mir, wir
       würden zu ganz neuen Ufern der Friedensarbeit vorstoßen, aus eigener
       Initiative. Und auch als Partei. Hunger, Elend, Malaria oder Ebola können
       ausgerottet werden. Wie, das hat US-Präsident D. W. Eisenhower bereits 1953
       in einer Rede vor Zeitungsverlegern so umrissen: „Jede Kanone, die
       hergestellt, jedes Kriegsschiff, das zu Wasser gelassen, jede Rakete, die
       abgefeuert wird, bedeutet letzten Endes Diebstahl an den Menschen, die
       hungern und nicht gesättigt werden, an denjenigen, die frieren und nichts
       haben, um es anzuziehen. Diese Welt in Waffen gibt nicht nur Geld aus. Sie
       vergeudet den Schweiß der Arbeiter, (…) die Hoffnung ihrer Kinder.“
       
       ## Gastfreundschaft stärken
       
       Wir müssen den Frieden durch die Abschaffung der nationalen Heere, durch
       die Aufgabe der Rüstungsindustrie, durch die Einrichtung einer starken
       UN-Blauhelm-Armee als Weltpolizei zuallererst schaffen. Auch müssen wir die
       Gastfreundschaft in unseren Breiten stärken. Um die berühmte Schrift des
       Philosophen Immanuel Kant „Vom Ewigen Frieden“ (1795) zu zitieren, die das
       heutige Völkerrecht entscheidend beeinflusst hat: „Es ist das Recht eines
       Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines andern wegen von diesem
       nicht feindselig behandelt zu werden.“ Noch immer ist dieses
       Weltbürgerrecht und die ihm zugrundeliegende Willkommenskultur eine Vision.
       
       Ich wünsche mir Christen und Menschen guten Willens in meiner Gesellschaft,
       die an dieser neuen Weltordnung mitarbeiten.
       
       15 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rupert Neudeck
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Krieg
 (DIR) UN-Blauhelme
 (DIR) Friedensbewegung
 (DIR) Pazifismus
 (DIR) ThyssenKrupp
 (DIR) Waffenexporte
 (DIR) Israel
 (DIR) Russland
 (DIR) Ursula von der Leyen
 (DIR) Irak
 (DIR) Irak
 (DIR) Irak
 (DIR) Irakkrieg
 (DIR) Waffenlieferung
 (DIR) Irak
 (DIR) Waffen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Rüstungsindustrie in Deutschland: Israel kauft ein
       
       Die Bundesregierung unterstützt Israel bei der Anschaffung von vier
       Kriegsschiffen. Mit bis zu 115 Millionen Euro wird der Kauf neuer Korvetten
       bezuschusst.
       
 (DIR) Waffenexport von Rheinmetall genehmigt: Eine Panzerfabrik für Algerien
       
       Rheinmetall darf eine Fabrik für die Produktion von „Fuchs“-Panzern nach
       Algerien liefern. Das Wirtschaftsministerium erteilte eine Genehmigung.
       
 (DIR) Konflikt zwischen Israel und Hamas: Demos und Verhandlungen
       
       Israel und Palästinenser verhandeln über eine dauerhafte Waffenruhe, beide
       Seiten sind aber pessimistisch. In Tel Aviv demonstrieren Tausende für
       Frieden.
       
 (DIR) Krise in der Ukraine: Außenminister fordert Militärhilfe
       
       Erneut schießen prorussische Separatisten ein ukrainisches Kampfflugzeug
       ab. Die Ukraine bittet den Westen unterdessen um militärische
       Unterstützung.
       
 (DIR) Kolumne Der rote Faden: Islamischer Staat erreicht Berlin
       
       Diese Woche: Sämtliche Parteien wollen etwas gegen IS tun, auch mit Waffen.
       Politische Konzepte fehlen. Und die EU? Hat sich aufgelöst, oder?
       
 (DIR) Frontbesuch im Nordirak: Schwierige Stellung
       
       Die kurdischen Peschmerga-Kämpfer äußern Respekt vor ihrem Gegner, der
       Terrororganisation IS. Sie setzen auf moderne Waffen aus dem Westen.
       
 (DIR) Jesiden flüchten vor IS-Terror: Über Syrien in den Irak zurück
       
       Die meisten der von der IS-Miliz bedrohten Jesiden konnten in kurdische
       Gebiete flüchten. Freigekämpft wurde die Route von der PKK.
       
 (DIR) Kommentar Waffen für Krisengebiete: Manchmal bittere Notwendigkeit
       
       Regierung und Bevölkerung sind dafür, Waffen an die Kurden im Irak zu
       liefern. Die deutsche Außenpolitik steht damit vor einer Neuorientierung.
       
 (DIR) Waffenlieferungen in den Nordirak: Vielleicht doch, vielleicht nicht
       
       Außenminister Steinmeier schließt nicht mehr aus, dass Deutschland Waffen
       in den Irak liefert. Neben der SPD streiten auch andere Parteien über ihre
       Haltung.
       
 (DIR) Kommentar Waffenlieferung an Kurden: Argumente statt Lügen
       
       Es gibt gute Gründe gegen Waffenlieferungen an Kurden im Irak. Aber
       Militärministerin von der Leyen begründet den bisherigen Verzicht mit der
       Unwahrheit.
       
 (DIR) Kampf gegen Islamisten im Nordirak: Frankreich liefert Waffen an Kurden
       
       Präsident Hollande kündigt „jede nötige Unterstützung“ im Kampf gegen den
       „Islamischen Staat“ im Irak an. Dazu gehören auch Waffenlieferungen an die
       Kurden.
       
 (DIR) Kommentar Bewaffnung der Kurden: Was Deutschland tun kann
       
       Die deutsche Debatte über Waffenlieferungen an irakische Kurden speist sich
       aus opportunistischen Reflexen. Andere Maßnahmen wären wichtiger.