# taz.de -- Grüne über Rassismus bei der Polizei: „Eine mangelnde Kritikkultur“
       
       > Kontrollieren Polizisten Migranten öfter und anders als Deutsche? Nicht
       > unbedingt, sagt die frühere Polizistin Irene Mihalic, heute Sprecherin
       > der Grünen.
       
 (IMG) Bild: Über strukturellen Rassismus bei der Polizei ist zu wenig bekannt, meint Irene Mihalic
       
       taz: Frau Mihalic, wie sind Sie als Kind von Migranten auf die Idee
       gekommen, 1993 eine Ausbildung zur Polizistin zu beginnen? Nahezu
       zeitgleich gab es rechtsextremistische Ausschreitungen in Hoyerswerda,
       Rostock, Mölln und Solingen. 
       
       Irene Mihalic: Polizistin werden war von klein auf mein Berufswunsch. 1993
       war ich mit der Schule fertig, insofern fiel das zufällig zusammen. Aber
       ich war damals in einem Alter, in dem ich die ganzen Ausschreitungen noch
       nicht richtig reflektiert habe. Im Gegenteil: Durch die Polizeiausbildung
       habe ich angefangen, mich damit zu beschäftigen.
       
       Der Polizei wurde damals vorgeworfen, die Menschen mit dem
       rechtsextremistischen Mob alleingelassen zu haben. 
       
       Was genau schiefgelaufen ist, kann man nach zwanzig Jahren nicht mehr
       sagen. Ich glaube, es gab innerhalb der Polizei eine große Überforderung.
       Um solche Ereignisse aufzuklären, braucht man Institutionen, die der
       Polizei helfen, konstruktiv aufzuarbeiten: Wo wurden warum Fehler gemacht?
       
       Hat die Polizei ein Rassismusproblem? 
       
       Schwer zu sagen. Als Parlamentarierin habe ich zwar den Auftrag, die
       Polizei als Teil der Exekutive zu kontrollieren. Aber wenn ich wirklich
       wissen will, ob es ein Rassismusproblem in der Polizei gibt, habe ich
       lediglich die Möglichkeit, im Innenministerium nachzufragen. Die fragen
       dann vielleicht den Bundespolizeipräsidenten. Und der sagt vermutlich: Bei
       uns ist alles prima. Wir haben also keine Möglichkeit, eine Innensicht über
       die Strukturen der Polizei zu bekommen.
       
       Aber Sie haben eine Innensicht durch Ihre Berufserfahrung. 
       
       Ich kann als einzelne ehemalige Polizistin nicht stellvertretend für die
       gesamte Polizei sprechen. Auf meiner Dienststelle habe ich keinen Rassismus
       erlebt. Aber das heißt nicht, dass er woanders nicht existiert.
       
       Am 7. Januar 2005 verbrannte Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau.
       Laya Condé starb nach einem Brechmitteleinsatz am selben Tag in
       Polizeigewahrsam in Bremen. Sind das Einzelfälle? 
       
       Man muss zwischen strukturellem Rassismus und dem Rassismus einzelner
       Polizisten unterscheiden. Polizisten, die sich gesetzeswidrig verhalten,
       müssen dafür selbstverständlich zur Verantwortung gezogen werden. Über
       strukturellen Rassismus wissen wir zu wenig. Schließlich reden wir über
       etwa 250.000 Polizeibeamte im Bund und in 16 Bundesländern, organisiert in
       etlichen Polizeibehörden. Deshalb wäre es wichtig, empirische Daten über
       die Häufigkeit und die Hintergründe solcher Fälle zu bekommen und diese
       Daten mit dem Rassismus in der Gesamtgesellschaft abzugleichen.
       
       Mit den mutmaßlichen Morden des sogenannten NSU-Trios wurde ein Versagen
       beim Bundeskriminalamt (BKA), bei den Landeskriminalämtern (LKA) und der
       Polizei sichtbar. 
       
       Wir haben durch den NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag erfahren, dass
       die Polizei nur im Umfeld der Opfer ermittelt hat. Sie hat die Opfer zu
       Tätern gemacht und rechts motivierte Gründe ausgeblendet. Aber: Es gab in
       Thüringen einen jungen Kollegen im Landeskriminalamt, der Uwe Böhnhardt auf
       der Spur war. Doch der LKA-Präsident hat ihm damals sinngemäß gesagt: „Fahr
       da mal hin, aber krieg bloß nichts raus.“ Der Kollege wurde damit in seinem
       Ermittlungsansatz völlig ausgebremst.
       
       Sie fordern für das BKA und die Bundespolizei einen Polizeibeauftragten.
       Warum? 
       
       Ein Polizeibeauftragter wäre im NSU-Fall hilfreich gewesen. Denn er hätte
       sowohl Ansprechpartner für den jungen Kollegen als auch für die Familie der
       Opfer sein können. Den Polizeibeauftragten könnte man mit dem
       Wehrbeauftragten vergleichen. Die Stelle sollte unabhängig sein und könnte
       im Parlament angesiedelt werden. Genau wie der Wehrbeauftragte sollte ein
       Polizeibeauftragter unangekündigt Dienststellen besuchen können und einmal
       im Jahr einen Bericht vorlegen, wie es in der Polizei aussieht.
       
       Fast alle Verfahren gegen Polizisten werden vor Gericht eingestellt.
       Menschen, die sich von Polizisten diskriminiert fühlen, haben kaum eine
       Möglichkeit, sich zu wehren. 
       
       Zunächst einmal muss man in Betracht ziehen, dass das Vorgehen eines
       Polizisten rechtmäßig ist. Ein Beispiel beim Racial Profiling: Nur weil
       eine dunkelhäutige Person kontrolliert wird, heißt das nicht, dass die
       Maßnahme rassistisch war. Ein Polizist muss zum Zeitpunkt der Kontrolle
       transparent machen können, warum der Betroffene kontrolliert wird.
       Gleichzeitig ist es tatsächlich ein Problem, dass fast alle Verfahren gegen
       Polizisten eingestellt werden, ohne dass es einen Schlichtungsversuch
       zwischen der Polizei und betroffenen Personen gibt.
       
       Warum ist das so? 
       
       In der Polizei gibt es eine mangelnde Fehler- und Kritikkultur. Aber es
       gibt noch ein anderes Problem: Wenn sich ein Polizist strafbar macht, kann
       er wie alle anderen Beschuldigten vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch
       machen. Er muss sich nicht selbst belasten. Und schon haben Sie die
       berühmte Mauer des Schweigens, die häufig beklagt wird. Das macht es
       schwierig, etwas aufzuklären. Ein außergerichtlicher Weg wäre deswegen viel
       zielführender, hier könnte ein Polizeibeauftragter helfen.
       
       Die Bundesregierung bestreitet aber, dass es rassistisch motivierte
       Polizeikontrollen gibt. 
       
       Das kann ich nicht nachvollziehen. Erst im Oktober 2012 hat das
       Oberverwaltungsgericht Koblenz anhand eines konkreten Falles ein
       eindeutiges Urteil gesprochen. Es ist nicht zulässig, jemanden aufgrund
       eines Merkmals wie Hautfarbe zu kontrollieren, weil es gegen das Allgemeine
       Gleichbehandlungsgesetz verstößt.
       
       Für viele nichtweiße Menschen sind solche Kontrollen dennoch Alltag. Macht
       die Polizei etwas falsch? 
       
       Es gibt keine belastbaren Zahlen. Niemand weiß, ob rassistische Kontrollen
       ein Massenphänomen sind oder ob es sich um Einzelfälle handelt. Statistisch
       wird nicht erfasst, wer kontrolliert wird und warum. Natürlich melden sich
       Menschen bei Hilfsorganisationen, die rassistische oder rassistisch
       wirkende Kontrollen erlebt haben. Aber das sind letztlich Fallsammlungen.
       
       Die Kampagne Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) hat Fragebögen
       erstellt, mit denen jeder Polizist sein eigenes Vorgehen dokumentieren
       kann. Darin wird auch notiert, welche Hautfarbe der Kontrollierte hat,
       welche Religionszugehörigkeit vermutet wird und ob sich der Anfangsverdacht
       bestätigt. 
       
       In England wurde ein ähnliches Verfahren erfolgreich eingesetzt. Dort
       mussten Polizisten nach jeder Personenkontrolle beispielsweise genau
       aufschreiben, wie die Person aussah und welchen Grund die Kontrolle hatte.
       Hinterher wurde das ausgewertet, man konnte genau sehen, in welchen
       Situationen die Kontrollen rassistisch motiviert waren. Das könnte man sich
       auch in Deutschland vorstellen.
       
       Kritiker lehnen Fragebögen als Bürokratiemonster ab. 
       
       Natürlich ist das ein Aufwand. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass
       Polizeibeamtinnen und Beamte jeden Tag viel Papierkram zu erledigen haben,
       da macht das eine Blatt Papier keinen Unterschied.
       
       Es wird auch häufig bemängelt, dass bei der Polizei zu wenig Menschen mit
       Migrationshintergrund arbeiten. Schreckt das Image der Polizei ab? 
       
       Ich kann nicht beurteilen, warum sich jemand nicht bei der Polizei bewirbt.
       Aber ich kann mir vorstellen, dass Menschen davor zurückschrecken, wenn sie
       zuvor negative Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben.
       
       20 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jasmin Kalarickal
       
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