# taz.de -- Soziologe über Migranten in Dänemark: „Der Rassismus wächst“
       
       > Die dänische Gesellschaft ist weitgehend gespalten, erklärt Flemming
       > Røgilds. Denn wenn es um Integration geht, ist meistens Assimilation
       > gemeint.
       
 (IMG) Bild: Blumen für den Attentäter. Muslimische Jugendliche haben sie beiseite geräumt
       
       Herr Røgilds, anscheinend nehmen vor allem Angehörige der weißen dänischen
       Mittelschicht an den Veranstaltungen zur Ehrung der Opfer teil und legen
       Blumen vor der Synagoge ab. Wo sind die Minderheiten? 
       
       Flemming Røgilds: Sie sind nicht da. Sie nehmen an den Veranstaltungen
       nicht teil. Aber sie spielen auch in den Reden keine Rolle. Die
       Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt zum Beispiel sprach von zwei
       Toten, dabei waren es drei.
       
       Der Dritte war der mutmaßliche Täter El-Hussein. 
       
       Natürlich steht die Trauer um die beiden Opfer an erster Stelle, aber wenn
       Thorning-Schmidt von dem Zusammenhalt der Gesellschaft spricht, meint sie
       eben doch nur den weißen Mainstream.
       
       Wie ordnen Sie die Herkunft des vermeintlichen Täters ein? 
       
       El-Hussein stammt aus dem Kopenhagener Viertel Nørrebro. Vor einigen Jahren
       gab es dort einen Bandenkrieg zwischen den ethnisch organisierten Gangs auf
       der einen Seite und Rockern wie den Hells Angels auf der anderen. Hier ging
       es vor allem um Gebietsansprüche, die eng verflochten sind mit der Hoheit
       über den Drogenhandel. Doch nun ist bei Einzelnen eine Entwicklung in
       Richtung Islamismus zu beobachten.
       
       Wie erklären sich die Spaltungen in der dänischen Gesellschaft? 
       
       Kopenhagen ist eine weitgehend ethnisch geteilte Stadt. Bei weitem nicht so
       dramatisch wie etwa Paris, aber sie finden trotzdem eine räumlich
       segregierte Stadt. Am ehesten ist die Situation vielleicht mit Berlin
       vergleichbar, wo sie mit Neukölln und Wedding auch Bezirke haben, wo der
       Anteil an Migranten überdurchschnittlich hoch ist. In Stockholm oder
       Göteborg ist die Segregation sogar noch stärker. Dort leben kaum Migranten
       in den Innenstädten, sondern wurden in die Außenbezirke abgedrängt. Ähnlich
       wie in Berlin ist die größte migrantische Gruppe in Dänemark übrigens
       türkischer Herkunft.
       
       In den Jugendgangs finden sich viele türkische Migrantenkinder? 
       
       Nicht so sehr. Inzwischen hat sich das Bild nämlich verändert. Es gibt in
       Nørrebro heute einen viel größeren Anteil von Palästinensern, Somalis und
       Marrokanern. Was den sozialen Status angeht, stehen die auf der untersten
       Stufe und haben auch einen überdurchschnittlich hohen Anteil an der
       Bandenkriminalität. El-Husseins Eltern sind palästinensische Flüchtlinge,
       die auch eine Weile in einem jordanischen Flüchtlingslager gelebt haben.
       Aber er selbst ist natürlich in Dänemark geboren und aufgewachsen. 
       
       Woher kommt die Gewaltbereitschaft mancher Kinder und Enkel der ersten
       Migrantengeneration? 
       
       Ein Problem für die nachfolgenden Generationen ist, dass die politische
       Debatte um Integration in Wirklichkeit eine um Assimilation ist. Dieser
       Assimilationsdruck verstärkt den Diskurs von „Denen“ und „Uns“ und zwar
       sowohl in der Mehrheitsgesellschaft, als auch bei den Migranten. So fühlen
       sie sich nicht akzeptiert und fangen an, sich eher über die Herkunft ihrer
       Eltern oder die Mitgliedschaft in Straßengangs zu definieren, denn als Teil
       der dänischen Gesellschaft.
       
       Sie sprechen von einer verlorenen Generation? 
       
       Nicht unbedingt. Besonders junge Frauen aus Einwandererfamilien erlangen
       einen immer höheren Bildungsgrad und sind im weiteren Sinne sehr gut
       integriert. Auch finden sie in akademischen Berufen oder bei Journalisten
       zunehmend junge Menschen, die einen Migrationshintergrund haben. Es gibt
       jedoch ein Segment, vor allem junger Männer, die sozial zurückbleiben und
       von denen sich ein Teil radikalisiert.
       
       Erfasst die offizielle Politik die Probleme also nicht zur Genüge? 
       
       Ich war ehrlich gesagt etwas genervt von den Reden. Muslime oder überhaupt
       Migranten wurden kaum erwähnt. Dabei sind die Anschläge eben nicht nur auf
       die Vertreter der freien Rede und Juden verübt worden, sondern auch auf
       jene Teile der migrantischen Communities, die willens sind, in der
       dänischen Gesellschaft anzukommen.
       
       Aber gibt es die wirklich in größerer Zahl? 
       
       Ja, es gibt Brücken zwischen ursprünglich dänischen und migrantischen
       Jugendlichen, eine hybride Kultur entsteht, so etwas können Sie in Teilen
       auch in Deutschland sehen. Gleichzeitig wachsen aber auch der Rassismus und
       Ausschluss. Und so entwickeln Migranten zum Teil eine Art Gegenkultur, eine
       Gegenbürgerlichkeit.
       
       Parallelgesellschaften? 
       
       Parallelgesellschaft, das ist ein politischer Kampfbegriff. Der wird in
       Dänemark von der rechten Volkspartei benutzt. Parallelgesellschaften gibt
       es überall und sie sind nicht unbedingt ethnisch definiert. Rein weiße
       Viertel etwa konstituieren sich durch den sozialen Ausschluss anderer.
       
       Was ist gegen diesen Ausschluss und die Radikalisierung zu tun? 
       
       Wir müssen die Entstehung der hybriden Kulturen fördern. Wir müssen
       akzeptieren, dass es komplexe Identitäten gibt, dass es schwarze Europäer,
       türkische Dänen oder arabische Deutsche gibt.
       
       Aber was ist unmittelbar zu tun, um solche Gewaltausbrüche wie in
       Kopenhagen zu verhindern? 
       
       Zunächst muss der Westen damit umgehen lernen, dass seine Politik und die
       Kriegsbeteiligungen in Afghanistan oder Syrien unmittelbar auf Menschen in
       seinen Gesellschaften zurückwirkt. Da wäre zum Beispiel die als solche
       wahrgenommene Bevorzugung Israels.
       
       Aber ein Anschlag auf eine Synagoge in Kopenhagen fällt doch nicht mehr
       unter Israelkritik, sondern ist Ausdruck von Antisemitismus. 
       
       Ja, und er ist unfassbar dumm.
       
       Wie überraschend sind diese Gewaltausbrüche und ihr antisemitischer
       Charakter ? 
       
       Eigentlich dürfte niemand überrascht von ihnen sein. Und nebenbei, der
       Antisemitismus ist ein Problem der ganzen Gesellschaft – von der radikalen
       Rechten über die Linken bis zu Migranten.Wenn Helle Thorning-Schmidt sagt,
       dass die Juden zu Dänemark gehören, beschreibt das die Realität eben nicht
       ganz. Denn auch wenn Juden als Minderheit recht gut in die dänische
       Gesellschaft „integriert“ sind, gab und gibt es doch immer wieder
       Diskriminierung, auch aus der Mehrheitsgesellschaft. Um so wichtiger ist
       es, dass wir hybride Kulturen schaffen, die sich in jede Richtung öffnen.
       Und hier gibt es ja auch schon einige sehr gute Ansätze. Trotz des
       Schreckens bin ich optimistisch, dass es hier positiv weitergehen wird.
       
       19 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniél Kretschmar
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Antisemitismus
 (DIR) Migration
 (DIR) Terrorismus
 (DIR) Dänemark
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Muslime
 (DIR) Solidarität
 (DIR) Rechtspopulismus
 (DIR) Antisemitismus
 (DIR) Terrorismus
 (DIR) Extremismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Debatte Geschlechterverhältnis im Islam: Die Ehre der Frauen
       
       Wie wichtig ist ein verweigerter Handschlag? Im Islam gibt es keine
       einheitliche Konvention. Die Debatte schürt islamfeindliche Ressentiments.
       
 (DIR) Kommentar Friedensring in Oslo: Ein Vorbild für alle Etablierten
       
       Die Initiative vor der Synagoge in Oslo setzt ein deutliches Zeichen für
       Solidarität. Die jungen Muslime zeigen, was Politik und Medien nicht
       hinkriegen.
       
 (DIR) Muslimisch-jüdische Solidarität: Ein bewegender Friedensring
       
       In Oslo haben rund 1.300 Menschen die Synagoge schützend umstellt. Die
       Initiative muslimischer Jugendlicher ist ein Zeichen gegen den Terror.
       
 (DIR) Nach den Anschlägen von Kopenhagen: Mehr Geld für Sicherheitsbehörden
       
       130 Millionen Euro will Dänemark zusätzlich in den Antiterrorkampf
       investieren. Ein Grund für die Maßnahme dürfte der beginnende Wahlkampf
       sein.
       
 (DIR) Nach den Anschlägen in Dänemark: Tatwaffe kam von den Streitkräften
       
       Der Täter hatte seine Waffe einem Mitarbeiter der dänischen Streitkräfte
       gestohlen. Hunderte Menschen nahmen an der Trauerfeier für die Opfer teil.
       
 (DIR) Terroranschlag in Dänemark: Der Täter ist bekannt
       
       Die Identität des Attentäters von Kopenhagen ist bestätigt. Die dänische
       Polizei teilte mit, es handle sich um Omar El-Hussein, einen Dänen mit
       palästinensicher Herkunft.
       
 (DIR) Nach den Anschlägen in Dänemark: Trotziger Frieden
       
       Die Anschläge haben die Selbstzufriedenheit der Dänen erschüttert.
       Zehntausende Menschen kommen mit Fackeln zum Gedenken an die Ermordeten.