# taz.de -- CO2-Reduzierung in Europa: Ein guter Tag für Dreckschleudern
       
       > Das EU-Parlament stimmt gegen eine Reform des Emmissionshandelssystems
       > ETS. Alle Appelle der Klimaschützer blieben wirkungslos.
       
 (IMG) Bild: Niederlage in Brüssel: die heterogene Klimakoalition hat die entscheidende Abstimmung verloren.
       
       BRÜSSEL/BERLIN taz | [1][Connie Heedegard] sah aus, als wohne sie ihrer
       eigenen Beerdigung bei. Mit Leichenbittermiene beklagte die
       EU-Klimaschutzkommissarin die wohl härteste Abstimmungsniederlage ihrer
       politischen Karriere. „Wir bedauern das“, stammelte die Dänin, „wir werden
       über die nächsten Schritte nachdenken“. Es sei keine Zeit zu verlieren:
       „Die Märkte und unsere Partner warten schon.“
       
       Gerade hatte das Europaparlament mit einer knappen schwarz-gelben Mehrheit
       gegen die Reform des [2][Emissionshandelssystems ETS] gestimmt. Alle
       Appelle der Klimaschützer waren nutzlos geblieben. Greenpeace, die
       katholische Kirche, kleine kommunale Verbände und große Konzerne wie etwa
       Shell hatten für die Reform geworben – vergebens.
       
       Mit einer groß angelegten Kampagne wollten die ETS-Freunde verhindern, dass
       der umstrittene Handel mit Verschmutzungsrechten endgültig pervertiert
       wird. Eigentlich soll er dazu beitragen, den Klimaschutz zu fördern. Europa
       will sogar weltweit zum Vorreiter werden. Doch derzeit profitieren vor
       allem Dreckschleudern – Kohlekraftwerke, Stahlwerke und andere
       Altindustrien.
       
       Der Preis für ein Verschmutzungszertifikat war zuletzt unter 5 Euro
       gefallen, weil in der Wirtschaftskrise weniger Energie verbraucht wird und
       daher weniger Zertifikate nötig sind. Nach Ansicht von Umweltverbänden
       bräuchte es jedoch mindestens 25 Euro pro Tonne CO2, damit Unternehmen in
       klimafreundliche Technik investieren. Die EU-Kommission wollte den Preis
       nun durch Verknappung der Rechte in die Höhe treiben: 900 Millionen Titel
       sollten aus dem Markt genommen werden.
       
       ## Abstimmungsniederlag in Straßburg
       
       Daraus wird nun nichts, Heedegard und ihre heterogene Klima-Koalition haben
       verloren. „Die Klimapolitik befindet sich in freiem Fall“, schimpfte die
       Grünen-Fraktionsvorsitzende [3][Rebecca Harms] nach der
       Abstimmungsniederlage in Straßburg. Besonders unwürdig sei die Rolle der
       Bundesregierung in Berlin. „Wirtschaftsminister Rösler blockiert die
       europäische Klimapolitik, und die ehemalige Klimakanzlerin Merkel schweigt
       dazu.“
       
       Tatsächlich hat die Bundesregierung keine einheitliche Linie in dem Streit.
       Während Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) die EU-Parlamentarier in
       einem Brief mit Amtskollegen aus Frankreich, Italien, Großbritannien,
       Dänemark und Schweden dazu aufforderte, der Reform zuzustimmen, wettert
       sein Kollege Rösler seit Monaten dagegen. Damit übernimmt er die Position
       des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.
       
       Der fürchtet um die Wettbewerbsfähigkeit seiner Mitgliedsunternehmen. Für
       Industrien mit hohem Energieverbrauch gibt es allerdings großzügige
       Ausnahmeregelungen: Sie müssen ihren CO2-Ausstoß weniger senken und
       bekommen mehr kostenlose Zertifikate als andere. Entsprechend gespalten ist
       die Wirtschaft: Der Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft war
       dafür, einmalig CO2-Zertifikate vom Markt zu nehmen – und hofft nun auf
       eine grundlegende Systemreform.
       
       Auch der Chef des Umweltausschusses im Europaparlament, [4][Matthias
       Groote], sieht schwarz. „Nun droht eine Renationalisierung“, fürchtet der
       SPD-Politiker. An die Stelle des gemeinsamen Handels könnten 27 Systeme
       treten – für jeden Mitgliedstaat eins. Hintergrund ist, dass die
       Mitgliedstaaten der EU weiterhin verpflichtet sind, ihren CO2-Ausstoß zu
       senken, der Emissionshandel als Instrument dafür aber nun ausfällt. „Das
       ist kontraproduktiv und schadet dem Klima“, warnt Groote.
       
       ## Irland kündigt neue Initiativen an
       
       Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Denn das Europaparlament
       hat den Streit zurück an den Umweltausschuss verwiesen. Außerdem hat
       Irland, das derzeit den EU-Ministerrat leitet, neue Initiativen
       angekündigt. Die Iren halten offenbar an der Idee fest, den Markt trotz
       seines offensichtlichen Versagens in die „richtige“ Richtung zu lenken –
       wie genau, blieb offen.
       
       Dabei werden Alternativen schon lange diskutiert. Die einfachste Lösung
       wäre ein ehrgeizigeres Klimaziel. „Wir sollten eine Reduzierung der
       Emissionen bis 2030 um 50 Prozent anstreben“, sagte Harms.
       
       Derzeit sind nur 20 Prozent bis 2020 geplant. Denkbar wäre auch die
       endgültige Streichung von Zertifikaten aus dem Markt, eine stärkere
       jährliche Absenkung der CO2-Emissionen, die Aufnahme anderer Sektoren in
       den Emissionshandel oder eine Preisuntergrenze für CO2-Zertifikate. Einigen
       Experten schwebt sogar eine Art Zentralbank für den Emissionshandel vor, um
       die Verschmutzungsrechte ähnlich zu regulieren wie die Geldmenge.
       
       16 Apr 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/hedegaard/index_en.htm
 (DIR) [2] http://ec.europa.eu/clima/policies/ets/index_en.htm
 (DIR) [3] http://www.rebecca-harms.de/
 (DIR) [4] http://www.matthias-groote.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arzt
 (DIR) Eric Bonse
       
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