# taz.de -- Grünen-Abgeordneter über den Gaza-Krieg: „Netanjahu schließt die Tür für eine politische Lösung“
       
       > Der Menschenrechtspolitiker Max Lucks kritisiert die israelische
       > Kriegsführung und die Reaktion der neuen deutschen Regierung: Es brauche
       > mehr Druck.
       
 (IMG) Bild: Gebäude in Khan Younis, zerstört durch israelische Luftangriffe am 15. Mai 2025
       
       taz: Herr Lucks, [1][Israel blockiert Hilfslieferungen nach Gaza] und
       Benjamin Netanjahu hat eine weitere Offensive angekündigt. Wie viel
       schlimmer kann die Lage für die Menschen dort noch werden? 
       
       Max Lucks: Die Lage verschlimmert sich mit jedem Tag der humanitären
       Blockade. Die neue Offensive bedeutet sehr wahrscheinlich
       Menschenrechtsverbrechen, erneute zivile Opfer, Vertreibung und auch den
       Tod vieler Geiseln. Netanjahu schließt mit der Offensive die Tür für eine
       politische Lösung. Er zeigt, dass er seinen Krieg nur noch führt, um sein
       politisches Überleben zu sichern – auf dem Rücken der Menschen in Gaza und
       der Sicherheit Israels.
       
       taz: Der Nothilfekoordinator der UN warnte in dieser Woche vor einem
       drohenden Völkermord. Schließen Sie sich dieser Bewertung mittlerweile an? 
       
       Lucks: Buzzwords stoppen die humanitäre Katastrophe nicht. Aber zweifellos
       ist Gaza einer humanitären Katastrophe ausgesetzt, die durch die Blockade
       ausgelöst wurde, die Herr Netanjahu zu verantworten hat. Auch aus
       Deutschland muss der politische Druck steigen, damit humanitäre Lieferungen
       endlich wieder ermöglicht werden und von dieser Offensive Abstand genommen
       wird.
       
       taz: Als Bruch des humanitären Völkerrechts würden Sie die Blockade aber
       bezeichnen? 
       
       Lucks: Diese Blockade ist eine kollektive Bestrafung und damit ein Bruch
       des Völkerrechts.
       
       taz: Außenminister Johann Wadephul (CDU) [2][hat bei seinem Antrittsbesuch
       in Jerusalem gesagt], man könne der israelischen Regierung kein
       völkerrechtswidriges Verhalten vorwerfen. Sie sei schließlich offen dafür,
       künftig eine private Stiftung für Hilfslieferungen nach Gaza zu lassen. 
       
       Lucks: Es ist völlig inakzeptabel, dass sich Außenminister Wadephul mit
       diesen Plänen hat abspeisen lassen. Gerade da hätte ich von ihm eine klare
       Haltung erwartet. Wir können nicht auf Netanjahu vertrauen und hoffen, dass
       das schon irgendwie gut geht. Es ergibt natürlich Sinn, humanitäre
       Lieferungen an der Terrororganisation Hamas vorbeizuführen. Aber angesichts
       der humanitären Katastrophe müssen die bestehenden Strukturen der UN
       genutzt werden. Es muss Schluss sein mit der Instrumentalisierung
       humanitärer Hilfe als Druckmittel.
       
       taz: Als Regierungspartei hatten sich die Grünen mit Kritik an der
       israelischen Regierung auch lange zurückgehalten. 
       
       Lucks: Wir haben die Kriegsführung Netanjahus schon sehr früh kritisiert
       und immer wieder auf die humanitären Zugänge verwiesen. Und wir haben immer
       wieder betont, wie unteilbar die zwei zentralen außenpolitischen Lehren aus
       der deutschen Geschichte für uns sind: die Sicherung der Existenz der
       jüdischen Heimstätte in Israel und die Verteidigung universeller
       Menschenrechte für ausnahmslos alle. Wir werden uns nicht auf einen
       vergifteten Diskurs einlassen, der diese Dinge gegeneinander ausspielt.
       
       taz: In der Regierung haben die Grünen und Annalena Baerbock mit Blick auf
       den Gaza-Krieg also nichts falsch gemacht? 
       
       Lucks: Annalena Baerbock hat sich immer für die Verteidigungsfähigkeit
       Israels verantwortlich gefühlt. Gleichzeitig hat sie sich als
       Außenministerin immer dafür eingesetzt, dass der Gazastreifen keiner
       Vertreibung, Verkleinerung und Besatzung ausgesetzt ist. Deswegen haben wir
       auf einen restriktiven Kurs für Rüstungsgüter gedrängt und für jede
       einzelne Hilfslieferung gekämpft.
       
       Vielleicht hätten wir viel früher deutlich machen müssen, dass Netanjahus
       Kriegsführung eng mit dem globalen Rechtsruck, der hinter ihm und seiner
       Regierung steht, verknüpft ist, und uns dem noch viel offensiver
       entgegenstellen müssen. Netanjahu hat ja nur darauf gewartet, dass Donald
       Trump an die Macht kommt und ihn gewähren lässt. Jetzt geht es aber darum,
       mit welchen Mitteln die neue Bundesregierung Netanjahu dazu bringen kann,
       die Freilassung der Geiseln ernsthaft zur Priorität zu machen, von seiner
       Offensive abzulassen und die humanitäre Blockade zu beenden.
       
       taz: Welche Möglichkeiten sehen Sie jenseits von Appellen? 
       
       Lucks: Im Koalitionsvertrag hat Schwarz-Rot der israelischen Regierung
       einen Blankoscheck für Rüstungslieferungen ausgestellt. Das ist falsch.
       Schon ein bloßes Zurück zum restriktiven Kurs der Ampel-Zeit würde jetzt
       nicht mehr ausreichen. Es bräuchte einen Exportstopp, von dem nur solche
       Güter ausgenommen sind, die für die Sicherheit Israels existenziell sind,
       beispielsweise für die Luftabwehr gegen Raketen aus dem Iran.
       
       taz: Ein Exportstopp ohne Ausnahmen würde noch mehr Druck entfalten. 
       
       Lucks: Eine konsequente Menschenrechtspolitik sollte Netanjahu unter Druck
       setzen, aber nicht muslimische, christliche und jüdische Staatsbürger
       Israels den Raketen aus dem Iran aussetzen.
       
       taz: In der EU wird auch diskutiert, Palästina als Staat anzuerkennen oder
       das EU-Assoziierungsabkommen mit Israel auszusetzen. Was halten Sie davon? 
       
       Lucks: Ich kann mir gut vorstellen, Palästina als eigenen Staat
       anzuerkennen. Dafür sollten natürlich die politischen Voraussetzungen
       geschaffen werden: Die Palästinenserinnen und Palästinenser müssen endlich
       einen verlässlichen Weg bekommen, wie sie in Würde, Freiheit, Frieden und
       ohne den Terror der Hamas leben können. Das EU-Assoziierungsabkommen
       auszusetzen, wäre dagegen ein Schritt, der auch die lebendigen Teile der
       israelisch-europäischen Zusammenarbeit, fernab der Regierung, trifft. Wir
       sollten das Selbstbewusstsein der israelischen Gesellschaft stärken, um
       gegen Netanyahu auf die Straße zu gehen, statt sie zu schwächen.
       
       taz: In Basel findet in dieser Woche der Eurovision Song Contest statt. Es
       gibt [3][Forderungen, den israelischen Beitrag auszuschließen]. Wäre das
       ein richtiger Schritt? 
       
       Lucks: Die Sängerin Yuval Raphael ist ein Gesicht des demokratischen
       Israels mit seiner Kunstfreiheit, vor dem Netanjahu und seine in Teilen
       rechtsextreme Regierung so viel Angst haben. Und sie ist eine der
       Überlebenden des genozidalen Hamas-Terrors vom 7. Oktober, der diese
       Katastrophe ausgelöst hat. Deswegen finde ich Forderungen, sie als
       Vertreterin Israels beim ESC zu boykottieren, absurd. Auch im Interesse
       Israels sollten wir die israelische Regierung kritisieren, aber wir sollten
       nicht einen ganzen Staat dämonisieren.
       
       16 May 2025
       
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