# taz.de -- Fünf Jahre nach Anschlag in Hanau: Kampf bis zur letzten Instanz
       
       > Bis heute gibt es Ungereimtheiten zum Anschlag von Hanau. Doch die Taten
       > verjähren nun fünf Jahre später, Angehörige kämpfen weiter um Aufklärung.
       
 (IMG) Bild: Hamza Kurtović könnte noch leben, wäre der Notausgang offen gewesen
       
       Frankfurt/Berlin taz | Die jüngste Strafanzeige von Armin Kurtović ist erst
       wenige Tage alt. Wegen fahrlässiger Tötung und Strafvereitelung reichte
       sein Anwalt die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Hanau ein. Allen voran
       wegen des verschlossenen Notausgangs in einem Hanauer Lokal, der Arena Bar,
       [1][wo Kurtovićs Sohn Hamza und ein Freund, Said Nesar Hashemi, in der
       Nacht des 19. Februar 2020 erschossen wurden]. Einer Nacht, in der der
       rassistische Attentäter auch sieben weitere Menschen mit
       Migrationsgeschichte tötete und danach seine Mutter und sich selbst. Eine
       der schwersten rassistischen Terrortaten der Bundesrepublik.
       
       Fünf Jahre nach der Tat wird wieder des Anschlags in Hanau gedacht –
       Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), Bundesinnenministerin Nancy
       Faeser (SPD) und Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) werden
       anreisen. Die Initiative 19. Februar, in der sich auch Angehörige der Opfer
       organisieren, wird sich bereits an diesem Samstag zu einem Gedenken und
       einer Demonstration versammeln.
       
       Angehörige wie Armin Kurtović kämpfen bis heute mit dem Schmerz über den
       Verlust ihrer Familienmitglieder. Und mit der quälenden Frage, ob dieser
       Anschlag nicht hätte verhindert werden können. Zumindest die juristische
       Aufarbeitung aber gerät nun an ihr Ende: Fünf Jahre nach der Tat tritt die
       Verjährung ein. Um das zu verhindern, [2][reichte zuletzt der Vater des
       ermordeten Vili-Viorel Păun noch einmal eine Strafanzeige ein] – wegen des
       kaum erreichbaren Notrufs in der Tatnacht. Dann folgte die Anzeige von
       Kurtović, der glaubt, das ein offener Notausgang in der Arena Bar seinem
       Sohn womöglich das Leben gerettet hätte. Kommt es zu neuen Ermittlungen,
       würde die Verjährungsfrist um fünf Jahre verlängert. Es sind letzte
       Versuche, doch noch Aufklärung zu erreichen.
       
       Tatsächlich wirft vor allem der Notausgang in der Arena Bar bis heute
       Fragen auf. Als der Attentäter in der Tatnacht in die Bar trat, waren dort
       fünf Personen zu Gast. Sie flüchteten in eine Ecke, konnten seinen Schüssen
       aber nicht entkommen. Hamza Kurtović und Said Nesar Hashemi überlebten
       nicht. Die Bar wurde zur tödlichen Falle – trotz des Notausgangs.
       
       ## Notausgang war angeblich meist verschlossen
       
       Schon kurz nach der Tat hatten mehrere Verletzte, Stammgäste und ein
       früherer Mitarbeiter der Arena Bar berichtet, dass der Notausgang
       regelmäßig verschlossen gewesen sei. Der Mitarbeiter vermutete gar, dass
       dies in Absprache mit der Polizei geschehen sei, weil die wiederholt
       Razzien wegen Drogenverdachts oder illegal aufgestellter Automaten im
       Lokal durchführte. Schon im Oktober 2020 hatte deshalb Armin Kurtović
       Anzeige wegen des Notausgangs bei der Staatsanwaltschaft Hanau gestellt.
       
       Ermittelt wurde wegen fahrlässiger Tötung gegen den Betreiber der Bar, Ömer
       G., und einen zweiten Mann, den G. zuletzt offenbar als Strohmann
       eingesetzt hatte. Im August 2021 aber stellte die Staatsanwaltschaft das
       Verfahren wieder ein: Es sei weder sicher, ob der Notausgang tatsächlich
       verschlossen war, noch ob die Getöteten tatsächlich zu dieser Tür gerannt
       wären. Denn dann hätten sie erst mal dem Täter entgegenlaufen müssen.
       
       Dabei wurde laut Behördenakten, die die taz einsehen konnte, bereits 2013,
       2016 und 2017 bei Kontrollen durch das Hanauer Ordnungsamt, die Bauaufsicht
       und die Polizei festgestellt, dass der Notausgang in der Arena Bar
       verschlossen war. Immer wieder hatte es Beschwerden aus der Nachbarschaft
       gegeben, über Lärm oder Drogenverkäufe in der Bar. Die Behörden ließen
       damals den Notausgang öffnen – ob er offen blieb, kontrollierten sie
       offenbar jedoch nicht mehr.
       
       2017 allerdings leitete die Stadt ein Gewerbeuntersagungsverfahren gegen
       Ömer G. ein. Der Betreiber legte Widerspruch ein, erst im November 2019
       wurde die Entscheidung rechtskräftig – wenige Wochen vor dem Anschlag. Der
       Betrieb in der Arena Bar aber ging weiter: nun unter Verantwortung eines
       Bekannten von Ömer G., den Ermittler später für einen Strohmann hielten.
       
       ## Angeblich keine Hinweise auf Absprache mit Polizei
       
       Ömer G. bestritt in Vernehmungen, dass der Notausgang je verschlossen
       gewesen war, sah sich als Sündenbock. Dabei konnte ein Polizist die Tür in
       der Tatnacht nicht öffnen, einer Kollegin gelang dies auch am Folgetag
       nicht. Und eine [3][Rekonstruktion des Recherchekollektivs Forensic
       Architecture] zeigte: Wären alle fünf Personen, die zum Tatzeitpunkt in der
       Bar waren, nicht in die hintere Ecke gelaufen, sondern zum Notausgang und
       wäre dieser offen gewesen, hätten es alle fünf rechtzeitig aus der Bar
       geschafft – und hätten überlebt.
       
       Über Monate beschäftigte sich der hessische Untersuchungsausschuss mit dem
       Notausgang. Dann stellte auch er fest: Der Ausgang war „bereits in den
       Jahren vor der Tat regelmäßig verschlossen“. In der Tatnacht habe es daher
       „keine Fluchtmöglichkeit“ gegeben. Und: Ordnungsamt und Bauaufsicht der
       Stadt Hanau seien darüber informiert gewesen. Nach anfänglichem
       Einschreiten seien „keine dauerhaften Kontrollen“ erfolgt, Hinweise auf den
       verschlossenen Notausgang seien „ignoriert“ worden, die Fürsorgepflicht der
       Stadt gegenüber ihren Bürger*innen „vernachlässigt“. Dass es eine
       Absprache mit der Polizei gab, den Notausgang zu verschließen, dafür gebe
       es indes keine Anhaltspunkte, so der Ausschuss.
       
       Die Stadt Hanau weist dagegen eine Verantwortung für den verschlossenen
       Notausgang bis heute von sich. Man habe bei der Arena Bar „angemessen,
       schnell und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes reagiert“,
       heißt es in einem Schreiben der Stadt. Am Ende sei mit der
       Gewerbeuntersagung die härteste Maßnahme veranlasst worden. Zudem habe es
       viele Kontrollen der Bar gegeben, bei denen kein verschlossener Notausgang
       festgestellt worden sei. Die Stadt ließ 2022 auch ein Gutachten erstellen,
       das ihr attestierte, alle gesetzlichen Pflichten „ordnungsgemäß
       wahrgenommen“ zu haben. Hinweisen auf Probleme sei die Stadt „unverzüglich“
       nachgegangen.
       
       ## Angehörige sehen Duldung des verschlossenen Ausgangs
       
       [4][Armin Kurtović sieht das anders – und kämpft weiter.] Zuletzt ließ er
       selbst ein neues Gutachten zum Notausgang erstellen, von dem Juraprofessor
       Okke von Kielpinski. Darin heißt es: Die Duldung eines verschlossenen
       Notausgangs durch Polizei und Behörden sei sehr wohl „rechtswidrig“. Eine
       einmalige Anordnung, die Tür zu öffnen, reiche nicht. Vielmehr wären
       Kontrollen im Nachgang „unabdingbar“ gewesen. Auch die Gewerbeuntersagung
       half nicht, da sie erst zwei Jahre später in Kraft trat, die
       „katastrophalen“ Zustände in der Bar bis dahin weitergingen und der
       Betreiber Ömer G. als unzuverlässig bekannt war.
       
       Es sind diese Punkte, die auch die neue Anzeige von Armin Kurtović
       aufgreift – die den Behörden „fahrlässige Unterlassungen“ beim Notausgang
       vorwirft. Und den Ermittlern, bis heute nicht alle Zeugen zum Notausgang
       befragt zu haben, hier gebe es „erhebliche Lücken“. So wurde selbst der
       Polizist nicht befragt, bei dem ein Barbesucher gehört haben will, dass er
       Ömer G. 2017 anwies, den Notausgang geschlossen zu halten.
       
       Kurtović forderte zuletzt auch in einem Brief an Hanaus Oberbürgermeister
       Claus Kaminsky (SPD) die Stadt auf, für den verschlossenen Notausgang
       Verantwortung zu übernehmen und sich zu entschuldigen. Bisher habe die
       Stadt keine Lehren aus diesem Fall gezogen. Kaminsky wies das in seiner
       Antwort an Kurtović zurück: „Die Verantwortung für den schrecklichen
       Anschlag tragen der Täter und ein Umfeld, in dem sein menschenverachtendes
       Weltbild gedeihen konnte. Davon sollten wir alle nicht ablenken.“ Alle
       seien aufgerufen, den Nährboden dieses Gedankenguts auszutrocknen.
       
       Die Anzeige von Kurtović wies die Staatsanwaltschaft Hanau am Freitag indes
       zurück: Es werde keine neuen Ermittlungen zum Notausgang geben. So sei
       weiter fraglich, ob die Barbesucher damals überhaupt zu der Tür gerannt
       wären. Erst zuletzt hatten die Staatsanwaltschaft und die
       Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main die neue Anzeige von Niculescu
       Păun zum Notruf zurückgewiesen. Die Familie Kurtović kündigte aber an, „bis
       zur letzten Instanz“ zu ziehen, notfalls bis vor den Europäischen
       Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.
       
       ## Entschuldigung für Polizeifehler auf Landesebene
       
       Die Bundesanwaltschaft hatte ihre Ermittlungen zum Hanau-Anschlag bereits
       Ende 2021 eingestellt: Der Attentäter sei tot, weitere Verantwortliche gebe
       es nicht. Auch dem Vater des Täters, der dessen Weltbild teilte, sei keine
       Tatbeteiligung oder Mitwisserschaft nachzuweisen. Der Vater wurde
       allerdings im Oktober 2024 zu einer Geldstrafe von 21.600 Euro verurteilt,
       weil er Opferangehörige rassistisch beleidigt und bedrängt hatte. Nach
       taz-Informationen wird auch aktuell noch gegen den Vater wegen Nötigung
       ermittelt. Seit 2020 gab es gegen ihn ganze 66 Ermittlungsverfahren.
       
       Zumindest auf Landesebene gab es vor einigen Monaten erstmals ein
       [5][Schuldeingeständnis für Polizeifehler], die beim Anschlag passierten:
       vom neuen Innenminister Roman Poseck (CDU). „Ich entschuldige mich
       ausdrücklich für die Fehler, die passiert sind“, erklärte er.
       
       Der Familie Kurtović reicht das nicht. Es sei wie nach dem NSU-Terror,
       „nach dem große Versprechen gemacht wurden und kaum was sich verändert
       hat“, sagt Dijana Kurtović, die Mutter von Hamza. Auch deshalb will die
       Familie diesmal an der offiziellen Gedenkfeier nicht teilnehmen. „Jedes
       Jahr kommen sie nach Hanau, versprechen uns viel, sagen, es täte ihnen
       leid, aber es passiert nichts“, sagt Dijana Kurtović. Sie könne das nicht
       mehr hören. „Wie viele Menschen müssen noch sterben, bis sie endlich
       aufwachen? Die sollen jetzt einfach Verantwortung übernehmen und zeigen,
       dass Gesetze für alle gültig sind.“
       
       19 Feb 2025
       
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