# taz.de -- Macht der Immobilienkonzerne: Bei der Wohnungsfrage geht es um Demokratie
> Nur eine Demokratie, die liefert, darf sich so nennen. Gibt es zu wenige
> Wohnungen, erfüllt sie eine ihrer Grundvoraussetzungen nicht.
(IMG) Bild: Systemisch denken: Aus einer könnte man zwei Wohneinheiten machen
Es gibt wohl keine Frage, siehe Krippe, die weihnachtlicher ist als die
Frage nach Wohnung und Unterkunft. Und es gibt kaum eine Frage, die
relevanter ist für den gegenwärtigen politischen Diskurs und die
Legitimation des demokratischen Systems. Nur eine Demokratie, die liefert,
behält in Zeiten des autoritären Systemwettbewerbs ihre eigenen
Überlebensbedingungen. Wenn es [1][zu wenig Wohnungen gibt], erfüllt die
Demokratie eine ihrer Grundvoraussetzungen nicht.
Zu lange wurde Demokratie vor allem als ein System von Prozessen und
Entscheidungen diskutiert – und nicht genug nach der Lebenswirklichkeit der
Menschen gefragt. Tatsache ist: Aktuell fehlen allein in Westdeutschland
1,2 Millionen Wohnungen, das ergab eine Studie des Pestel Instituts.
Gleichzeitig gibt es einen [2][massiven Leerstand in Bürogebäuden].
Speziell die Innenstädte sind Schauplätze von tiefgreifenden strukturellen
Verschiebungen – was fehlt, sind Lösungen und Antworten, die jenseits des
gegenwärtigen Denkens liegen.
Dieses Denken ist linear, es ist mechanisch in der Logik und rigide in der
Ausführung. Allzu oft und auch in der gegenwärtigen Regierung ist es ja so:
Wenn die Politik Wohnungsmangel hört, dann ist die Antwort Bauen. Wenn die
Politik merkt, dass die Wirtschaft absackt, dann ist die Antwort
Steuersenkungen. Wenn die Politik jahrelang zu wenig in die Integration von
Geflüchteten investiert hat, dann macht man halt die Grenzen zu. Es ist
Hauruckpolitik oder Ritschratschaktionismus: Ein Problem, eine Lösung.
Die Diskussion über Wohnungsmangel leidet deshalb auch daran, wie viele der
gegenwärtigen Debatten, dass sie zu wenig politisiert ist und zu wenig
systemisch geführt wird. Eine Politisierung der Wohnungsdebatte würde
bedeuten, dass man sich um Dinge wie Eigentum und Verantwortung kümmert,
dass man die politische Ökonomie der Immobilienstruktur in diesem Land
angeht, dass man Initiativen wie [3][die Berliner Abstimmung zur
Demokratisierung des Wohnraums] und gegen [4][die Macht der
Immobilienkonzerne] ernst nimmt – und sie nicht in postdemokratischer
Vergammeltheit einfach ins Übermorgen verschiebt, wie es der Berliner Senat
gerade getan hat.
## Den Ernst der Lage verstehen
Es scheint in solchen Momenten, als würden viele Handelnde nicht begreifen,
wie ernst die Lage ist – sowohl auf der Straße, wo man fast täglich den
Zuwachs an Wohnungslosen sieht, als auch in den Umfragen: Der
Systemwiderstand wird einerseits von nationalistischen und rassistischen
Kräften angetrieben, der Systemwiderstand wird aber auch von einem System
selbst erzeugt, das nicht in der Lage ist, auf ökonomische
Herausforderungen ökonomisch zu reagieren. Wenn sich Mietpreise in kurzer
Zeit verdoppeln, liegt ein Marktversagen vor, das nicht einfach mit einem
„Wir bauen doch“-Achselzucken hingenommen werden kann.
Und das ist das zweite Problem der aktuellen Diskussion über
Wohnraummangel: Sie wird nicht systemisch geführt. Wo es ein Zuwenig gibt,
ist die Antwort fast immer: Mehr. Was aber, wenn die bessere Antwort wäre:
Anders? Oder: Unterschiedlich? Was, wenn es viel mehr Experimente gäbe, wie
sich vorhandener Wohnraum neu verteilen und nutzen ließe? Die Ein- und
Zweifamilienhäuser an den Rändern der Städte etwa, die oft von Eltern oder
Großeltern genutzt werden, deren Kinder längst ausgezogen sind, und die auf
viel zu viel Wohnfläche leben – wie kann man Modelle finden, um hier
zusätzlichen Wohnraum etwa durch Umbauten zu schaffen?
Rund 16 Millionen solcher Stadtrandhäuser gibt es in Deutschland, wenn man
allein bei 10 Prozent aus einer Wohneinheit zwei machen würde, so hat es
Andreas Hild von der TU München vorgerechnet, hätte man rasch 1,6 Millionen
Wohnungen, viermal so viele, wie die Politik Jahr um Jahr verkündet zu
bauen, mit jeweils gebrochenen Versprechen. Und was ist mit Baurecht,
Föderalismusreform, anderen Eigentums- und Finanzierungsmodellen? Anders
gesagt: Die Wohnungsfrage lässt sich, wie jede politische Frage heute, nur
lösen, wenn man systemisch denkt und kommuniziert.
Wenn man das nicht tut, droht die viel beschworene „Mitte“, die präziser
als Mittelschicht bezeichnet werden könnte, ihr Vertrauen in die
Leistungsfähigkeit oder besser: Gerechtigkeit des Systems zu verlieren.
Interessant dabei ist, dass es immer noch eher vermieden wird, von „dem
System“ zu reden, als ob das heute primär oder originär eine rechte oder
verschwörerische Konnotation hat – dabei lässt sich ein System nicht
verändern, ohne es zu benennen.
## Der Lerneffekt wäre groß
In New York hat der progressive Kandidat Zohran Mamdani seine Wahl zum
Bürgermeister unter anderem [5][wegen der „Wohnungsfrage“ gewonnen], wie
eine Schrift von Friedrich Engels von 1872 heißt. In der ersten
Industrialisierung wurde die Not durch Klassenkonflikte ausgetragen, in der
zweiten Industrialisierung, die wir erleben, fehlen diese harten, klaren
Kategorien – dabei gibt es jenseits des rückwärtsgewandten „fossilen
Denkens“, wie ich es nenne, genug Wege und Möglichkeiten, im Bestehenden
das Neue zu finden und zu definieren.
Die Wohnungsfrage, die auch zentral war in zwei der wohl einflussreichsten
Büchern von 2025, „Abundance“ von Ezra Klein und Derek Thompson und
„Breakneck“ von Dan Wang, ist damit nicht nur die soziale Frage unserer
Zeit und besitzt explosive Energie – die Wohnungsfrage hat enormes
Innovationspotenzial, weil sie alle Aspekte von Leben, Alltag, Wirtschaft,
Auf- und Abstieg, politischer Architektur und Prozesse betrifft.
So gut wie alle Fragen unserer Zeit lassen sich entlang dieser
Querschnittsherausforderung diskutieren, von Klima bis Kapitalismus (manche
würden sagen, dass auch das zusammengehört). Nicht alles lässt sich an
dieser Frage lösen. Aber der Lerneffekt für andere Probleme wäre enorm.
25 Dec 2025
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## AUTOREN
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