# taz.de -- Brasilien: Juristischer Erfolg für Indigene
       
       > Brasiliens Oberstes Bundesgericht erklärt die Stichtagsregelung zur
       > Vermessung von Gebieten erneut für verfassungswidrig. Vielleicht ist das
       > nicht das letzte Urteil.
       
 (IMG) Bild: Indigene Brasilianer*innen in Belem bei der COP30
       
       Schlappe für die brasilianische Agrarlobby: In der Nacht zu Freitag hat das
       Oberste Bundesgericht (STF) sich ein zweites Mal für die indigene
       Bevölkerung und gegen die Stichtagsregelung bei der Vermessung ihrer
       Gebiete (Marco temporal) entschieden. Mit neun Stimmen und nur einer
       Gegenstimme erklärten die Richter das Marco temporal für verfassungswidrig.
       
       Das Armdrücken zwischen dem von der Agrarlobby dominierten Kongress und dem
       Obersten Bundesgericht dauert bereits seit Jahren an. Das STF hatte die
       Stichtagsregelung erstmals im Jahr 2023 als verfassungswidrig abgelehnt.
       
       Damals hatte Präsident Luiz Inácio Lula da Silva gegen weite Teile der
       entsprechenden Gesetzesvorlage ein Veto eingelegt. Doch der Kongress kippte
       das Veto, wodurch das Gesetz trotzdem in Kraft trat. Als nun in der
       vergangenen Woche der Senat eine Verfassungsänderung abnickte, in der die
       Stichtagsregelung enthalten ist, landete die Frage erneut vor dem
       Bundesgericht.
       
       Nach der Marco-temporal-Regelung dürfen indigene Gemeinschaften nur Land
       beanspruchen, wenn sie beweisen können, dass sie bereits vor Inkrafttreten
       der brasilianischen Verfassung im Oktober 1988 dort gelebt haben. Der
       Grundsatz wurde erstmals 2009 angewendet. Seitdem wollen die
       Großgrundbesitzer überall davon profitieren.
       
       ## Keine Beweisdokumente
       
       Mehr als ein Drittel aller Indigenen-Gebiete wären davon betroffen. Der
       ultrarechte damalige Präsident Jair Bolsonaro wollte so vor allem die
       wirtschaftliche Ausbeutung [1][im Amazonas-Regenwald] vorantreiben.
       Vertreter der indigenen Gemeinschaften argumentieren hingegen, dass viele
       ihrer Vorfahren während der Militärdiktatur (1964–1985) von ihrem Land
       vertrieben wurden. Auch gibt es Fälle, dass Betroffene keine
       Beweisdokumente vorweisen können.
       
       Die aktuelle Entscheidung kippt die Zeitmarke nun zum zweiten Mal. Außerdem
       entschied der berichterstattende Richter Gilmar Mendes, dass 158 laufende
       Verfahren zur Festschreibung von Schutzgebieten binnen zehn Jahren
       abgeschlossen werden müssen.
       
       Wirtschaftliche Aktivitäten in indigenen Gebieten, wie Tourismus, bleiben
       auch dann verfassungskonform, wenn nichtindigene Personen daran beteiligt
       sind. Kritiker sehen hier eine Schwächung indigener Rechte durch das
       Eindringen nichtindigener Unternehmen. Auch die Entscheidung, dass illegale
       Besetzer die Schutzgebiete erst nach Entschädigung räumen müssen, sorgt für
       Kritik.
       
       ## Fortschritte bei der CPO30
       
       Ansonsten geht es für indigene Gruppen zurzeit voran: Seit [2][der
       Klimakonferenz COP30 im November] gab es Fortschritte bei der Vermessung
       von 38 Gebieten mit einer Gesamtgröße von nahezu 7 Millionen Hektar. Das
       sorgt für Unmut bei der Agrarlobby, die sich durch das aktuelle Urteil
       nicht geschlagen sieht.
       
       Die im Senat angenommene Verfassungsänderung geht als Nächstes in die
       Abgeordnetenkammer. Falls sie dort bestätigt wird, tritt sie in Kraft, ohne
       dass Präsident Lula zustimmen müsste. In diesem Fall muss der Oberste
       Gerichtshof womöglich bald ein drittes Mal über die Stichtagsregelung
       beraten.
       
       19 Dec 2025
       
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 (DIR) Christine Wollowski
       
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