# taz.de -- Mexikos ermordete Journalisten: Wer aufdeckt, lebt gefährlich
       
       > In der „Jahresbilanz der Pressefreiheit“ von Reporter ohne Grenzen hält
       > Mexiko den zweiten Platz an getöteten Journalist*innen – hinter einem
       > Kriegsgebiet.
       
 (IMG) Bild: Gedenken: 400 Paar Schuhe und 400 Kerzen für Vermisste in Mexiko nach der Entdeckung eines möglichen Todeslagers in Tenochtitlan
       
       Wieder Mexiko. Wieder steht das Land ganz oben auf der Liste der getöteten
       Medienschaffenden. Neun Journalist*innen wurden laut Reporter ohne
       Grenzen (ROG) im Jahr 2025 schon ermordet. So steht es in der neuesten
       „[1][Jahresbilanz der Pressefreiheit“] der Organisation. ROG zufolge belegt
       Mexiko damit den zweiten Platz hinter dem Gazastreifen, einem Kriegsgebiet.
       
       Wobei: Was ist eigentlich ein Kriegsgebiet? Auch in dem Latino-Land sterben
       jährlich über 30.000 Menschen einen [2][gewaltsamen Tod,] viele sind Opfer
       der Auseinandersetzungen der organisierten Kriminalität, die oft mit
       Regierungskreisen kooperiert. Mehr und mehr kämpfen die Kriminellen mit
       Kriegswaffen: Raketenwerfer, Tretminen, Maschinengewehre, mit Bomben
       bestückte Drohnen.
       
       Wenige Tage, bevor ROG vergangene Woche ihre Bilanz veröffentlichte, gingen
       erschreckende Bilder durch die mexikanischen Medien. Fernsehaufnahmen
       zeigten ausgebrannte Autos, zerbombte Läden, eine mit Trümmern übersäte
       Straße.
       
       Unbekannte, wahrscheinlich Killer des Jalisco-Kartells, haben vor dem
       Hauptquartier einer bewaffneten Selbstverteidigungsgruppe in der Stadt
       Coahuayana im Bundesstaat Michoacán einen Autobomben-Anschlag verübt. Sechs
       Menschen starben. Vier der Opfer waren „Autodefensas“, wie die autonomen
       Polizist*innen genannt werden, die anderen beiden waren laut
       Sicherheitsministerium die Attentäter.
       
       ## Mit dem organisierten Verbrechen kooperieren
       
       Hintergrund des Angriffs sei ein Streit zwischen dem Jalisco-Kartell und
       den „Carteles Unidos“, sagt die Regierung von [3][Präsidentin Claudia
       Sheinbaum]. Folgt man ihr, sind die Autodefensas und deren Anführer Hector
       Zepeda also selbst in kriminelle Aktivitäten verwickelt. Das wäre nicht
       außergewöhnlich. In Mexiko agieren viele Autodefensas, und nicht wenige
       kooperieren mit dem organisierten Verbrechen.
       
       Die Grenzen zwischen legalen und illegalen Geschäften sind fließend.
       [4][Wer seine Bürger*innen vor dem Terror einer eindringenden Macht, in
       dem Fall das Jalisco-Kartell, schützen will], muss sich Verbündete mit der
       nötigen Feuerkraft suchen. Krieg eben.
       
       Doch das ist derzeit nicht Sheinbaums vorrangiges Thema. Nach dem Anschlag
       war ihre Regierung bemüht, dem Verbrechen die adäquate juristische
       Einordnung zu geben. Obwohl der Angriff alle Eigenschaften einer
       terroristischen Aktion vorweist, änderten die Strafverfolger den Vorwurf
       der „terroristischen Aktion“ in ein „Delikt der organisierten
       Kriminalität“. Und das aus gutem Grund. US-Präsident Donald Trump hat
       einige mexikanische Mafia-Organisationen auf die Terrorliste gesetzt.
       Zugleich hat er nicht ausgeschlossen, in das Nachbarland zu intervenieren.
       
       Angesichts der US-Angriffe gegen „Drogenboote“, bei denen 90 Menschen
       starben, sowie dem [5][Kapern eines venezolanischen Öltankers] darf
       Sheinbaum dem Rechtsextremisten kein Futter geben. Auch auf diese Weise
       beeinflusst Trumps Diskurs die mexikanische Innenpolitik. Dabei würde die
       Einordnung des Anschlags als „Terrorismus“ nur die Realität vermitteln:
       Dass es [6][Regionen in Mexiko] gibt, in denen die Regierung keinerlei
       Sicherheit garantieren kann, in denen ein irregulärer Krieg geführt wird
       und in dem bewaffnete Gruppen durch Gewalt Angst schüren und regieren.
       
       ## Die Kartelle üben Terror aus
       
       De facto üben die Kartelle diesen Terror aus. Die Bilder aus Coahuayana
       wecken eigene Erinnerungen: Interviews mit Taco-Verkäuferinnen – genau
       dort, wo die Bombe explodierte; Patrouillenfahrten mit dem schwer
       bewaffneten Autodefensas-Chef Zepeda, der immer wieder bremst, um zu
       zeigen, bei welchem Schusswechsel „Compañeros“ erschossen wurden.
       
       Für uns internationale Korrespondent*innen sind das einzelne
       Recherchen, für die einheimischen Kolleg*innen ist es Alltag. Wer
       aufdeckt, welcher Unternehmer, Polizist oder welche Staatsanwältin mit
       welchem Kriminellen zusammenarbeitet, lebt gefährlich. Die Morde an den
       neun Kolleg*innen in diesem Jahr verfehlen ihre Wirkung nicht. Viele
       Journalist*innen, die wir in umkämpften Bundesstaaten wie Michoacán,
       Guerrero und Sinaloa getroffen haben, berichten nicht mehr über diesen
       Krieg. Wer will schon die Heldin oder den Helden spielen.
       
       16 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolf-Dieter Vogel
       
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