# taz.de -- Veto gegen Nationalpark im Odertal: Die Natur mag keine politischen Spiele
       
       > Mit großem Rückhalt der Bevölkerung sollte ein gemeinsamer Nationalpark
       > von Polen und Deutschland entstehen. Doch eine zentrale Figur war
       > dagegen.
       
 (IMG) Bild: Zu schön, um wahr zu sein: das Untere Odertal
       
       Gleich nach dem Fall der Berliner Mauer brachten Wissenschaftler aus Polen
       und Deutschland die Idee eines gemeinsamen Nationalparks an der Unteren
       Oder ins Spiel. Es war der Moment, in dem Europa glaubte, dass Grenzen
       keine Rolle mehr spielen würden.
       
       „Daraus entstand die Vision eines grenzüberschreitenden Nationalparks“,
       sagt Dirk Treichel, der Direktor des [1][Nationalparks Unteres Odertal] auf
       der deutschen Seite. Allerdings erwies sich die Idee als nicht umsetzbar.
       Stattdessen sind seitdem zwei Schutzgebiete an der Oder entstanden. 1993
       wurde [2][der polnische Landschaftsschutzpark Unteres Odertal] gegründet
       und 1995 auf der deutschen Seite Treichels Nationalpark.
       
       Im Jahr 2022 wurde die Oder zum Schauplatz einer Tragödie. Ein heißer
       Sommer, ausbleibende Niederschläge und der Eintrag von Salzen aus einem
       Bergwerk in Oberschlesien beförderten das Wachstum der giftigen Goldalge.
       [3][Es kam zu einem beispiellosen Fischsterben].
       
       „Als es zur Katastrophe kam, haben wir gesehen, wie wichtig das
       [4][Zwischenoderland] ist“, sagt Ryszard Matecki. „Dieses Netz aus Mooren,
       Kanälen und Gräben erwies sich als natürlicher Filter und Schutz für die
       Lebewesen. Die Verluste waren schrecklich, aber sie hätten noch größer sein
       können.“
       
       ## Sie beschlossen zu kämpfen
       
       Matecki ist Grafiker und Lokalforscher und einer der [5][Initiatoren, die
       die Idee eines Nationalparks auf polnischer Seite wiederbelebten]. „Wir
       wollten handeln, weil wir uns der Oder gegenüber schuldig gefühlt haben“,
       erklärt er. Im Februar 2023 traf sich Matecki in Chojna mit einer Gruppe
       von Umweltschützern, Aktivisten und Künstlern. Sie beschlossen, für den
       Schutz des Zwischenoderlandes zu kämpfen.
       
       Schnell nahm die Idee Fahrt auf. Im Frühjahr 2024 schlossen sich die
       Kommunen, der Vizeminister für Klima und Umwelt und die [6][Woiwodschaft
       Westpommern] an. „Dass die Kommunen nahezu einstimmig für den Nationalpark
       eintraten, galt in Polen als Sensation“, sagt Krzysztof Smolnicki,
       Präsident der [7][Stiftung EkoRozwoju]. Dirk Treichel fügt hinzu: „Als wir
       von den Plänen eines polnischen Nationalparks gehört haben, spürten wir,
       dass die Ideen von damals doch noch Wirklichkeit werden könnten.“
       
       Doch dann geriet der geplante Nationalpark mitten in den Wahlkampf zu den
       polnischen Regionalwahlen. Die nationalkonservative PiS wollte ihn um jeden
       Preis verhindern. Im Netz war vom „deutschen Einfluss“ die Rede und von
       einer Bedrohung für die Schifffahrt.
       
       „Der Nationalpark wurde auf zynische Weise dazu benutzt, den Leuten Angst
       zu machen“, sagt Ryszard Matecki. Das schwerwiegendste Argument lautete, er
       würde den wirtschaftlichen Interessen Polens schaden. Allerdings liegen die
       beiden wichtigsten Wasserstraßen, die Ostoder und die Westoder, außerhalb
       der geplanten Nationalparkkulisse. Die Oder wäre weiter befahrbar gewesen.
       
       ## Sorge um die Schifffahrt
       
       Zu den Gegnern gesellte sich auch der polnische Präsident. Bei einem Termin
       in Gdynia sagte Karol Nawrocki: „Wieder einmal haben wir es mit den
       Aktivitäten pseudoökologischer deutscher Organisationen zu tun. Der
       Versuch, einen Nationalpark zu gründen, beunruhigt mich.“
       
       Zur selben Zeit wurde Ryszard Matecki zur Zielscheibe von Angriffen in den
       sozialen Medien. Seine deutschen Bekannten warnte er: Besser, ihr sprecht
       nicht öffentlich über den polnischen Nationalpark, eure Worte könnten gegen
       uns verwendet werden.
       
       Im September dieses Jahres fand in Gryfino eine Konferenz der PiS statt,
       die Nawrocki als Präsidentschaftskandidaten nominiert hatte. Dabei war
       davon die Rede, dass der Nationalpark ein „politisches Instrument“ sein
       könnte. Unter den Rednern war auch der ehemalige Chef der [8][polnischen
       Wasserbehörde], Przemysław Daca, der nach der Verharmlosung der
       Umweltkatastrophe in der Oder 2022 zurücktreten musste.
       
       Trotz des Gegenwinds passierte das Gesetz zum Nationalpark im September den
       Senat und den Sejm in Warschau. Nun stand nur noch die Unterschrift des
       polnischen Präsidenten aus. Schon damals fürchteten manche, dass Nawrocki
       seine Unterschrift verweigert.
       
       ## Mit Argumenten der Gegenkampagne
       
       Am 7. November legte der Präsident sein Veto ein. In seiner Begründung
       wiederholte er die Argumente der Gegenkampagne: das schnelle Tempo bei der
       Entscheidung, fehlende Untersuchungen, mangelnde Bürgerbeteiligung. Laut
       Nawrocki bedeutete der Park nicht nur eine Schwächung der Wirtschaft
       Polens. Er würde sich auch negativ auf das Alltagsleben im Grenzgebiet
       auswirken.
       
       Allerdings zeigt das deutsche Beispiel, dass ein Nationalpark durchaus
       positiven Einfluss auf die Region haben kann, auch wenn nicht alles gleich
       rund läuft. Ein Großteil der Schutzflächen befand sich damals in
       Privatbesitz. Ihr Erwerb durch einen eigens gegründeten Verein führte zu
       Konflikten in der Region. Über zehn Jahre lang gab es Proteste, Petitionen
       und Demonstrationen.
       
       „Wir haben das Nationalparkgesetz dann zusammen mit den Anwohnern 2006
       novelliert“, sagt Leiter Dirk Treichel. „Alles, was in der Region
       angesprochen wurde und im Hinblick auf die Ziele eines Nationalparks an
       Kompromissen machbar war, wurde Teil des Gesetzes. Das war der Punkt, an
       dem der Nationalpark Teil der Region wurde, und nicht mehr ihr Feind war.“
       
       Heute besuchen den Nationalpark Unteres Odertal jährlich 200.000 Menschen.
       Wegen der Nähe zu Berlin und Stettin ist sein Potenzial jedoch ungleich
       größer. Seine Schutzfunktion erfüllt er aber schon jetzt. Seit der Gründung
       sind zahlreiche natürliche Prozesse zu beobachten: Zum Beispiel die
       Regeneration ehemals bewirtschafteter Wiesen und Weiden sowie die
       Wiederbesiedlung durch Wildtiere, die in der Aue nicht mehr bejagt werden.
       
       ## Wie weiter nach dem Veto in Polen?
       
       Das Ministerium für Klima und Umwelt in Warschau hat inzwischen erklärt,
       weiter um den Nationalpark kämpfen zu wollen, und einen Plan B angekündigt.
       So könnte etwa der [9][Nationalpark Wolin] um das Zwischenoderland
       erweitert werden.
       
       Zahlreiche Städte, darunter Stettin, haben bereits ihre Zustimmung
       signalisiert. Andere Städte wiederum fordern weiterhin ein Gesetz über
       einen eigenständigen Nationalpark. Gleichzeitig soll das Gesetz
       hinsichtlich der räumlichen Kulisse eines künftigen Schutzgebiets
       präzisiert werden.
       
       Ryszard Matecki betont, dass die Realisierung des Plans B durchaus möglich
       sei. Allerdings erfordere das eine effektive Koordination durch das
       Ministerium sowie eine transparente Kommunikation unter Einbeziehung der
       Zivilgesellschaft vor Ort.
       
       Jedoch sagt Matecki auch: „Solange wir die bisherigen Schritte nicht
       evaluiert haben und nicht analysieren, wo wir Fehler begangen haben, werden
       wir eine Erweiterung eines anderen Nationalparks um das Untere Odertal
       nicht unterstützen.“
       
       ## Der Rückhalt ist nach wie vor groß
       
       Der Rückhalt für die Nationalparkidee ist nach wie vor groß. Eine Umfrage
       vom Oktober 2025 ergab, dass 70 Prozent aller Polinnen und Polen das
       Vorhaben unterstützen. In den Landkreisen, auf deren Gebiet der Park
       entstehen soll, beträgt die Unterstützung sogar 84 bis 94 Prozent.
       
       Auch die [10][Initiative Osoba Odra], die die Oder als Rechtssubjekt
       anerkennen möchte, hat sich inzwischen zu Wort gemeldet. „Die Natur hat
       keine Zeit für politische Spielchen. Jede Verzögerung würde weitere
       Umweltzerstörungen nach sich ziehen.“
       
       Drei Jahre nach der Katastrophe ist die Lage an der Oder weiterhin
       angespannt. Das Wasser, das aus den Kohlegebieten in Oberschlesien kommt,
       ist manchmal noch salzhaltiger als das der Ostsee. Das Risiko einer
       erneuten Algenblüte bleibt bestehen. Die Verunreinigungen haben auch
       Einfluss auf das Zwischenoderland. Die Erholung des Ökosystems könnte sich
       verlangsamen.
       
       „Den Schaden haben die Umwelt und die an der Oder lebenden Menschen“, sagt
       Krzysztof Smolnicki. „Schon jetzt sagen viele, dass es sich nicht mehr
       lohne, an die Oder zu gehen. Es ist also höchste Zeit, sich der Oder wieder
       zuzuwenden.“
       
       ## Schaden für die deutsch-polnischen Beziehungen
       
       Gleichzeitig hat sich die Haltung der Zivilgesellschaft verändert. Die Zahl
       derer, die sich um den Fluss kümmern, steigt rasant. „Damit steigt auch der
       Druck für greifbare Veränderungen“, sagt Smolnicki.
       
       Die Kampagne gegen den Nationalpark hat nicht nur der Natur Schaden
       zugefügt, sondern auch den deutsch-polnischen Beziehungen. Die
       antideutschen Parolen blieben nicht ohne Wirkung. [11][Das aktuelle
       deutsch-polnische Barometer] zeigt, dass die Sympathien der Polen gegenüber
       Deutschen auf den niedrigsten Wert seit 20 Jahren gefallen sind.
       
       Trotz der Spannungen aber ist die Zusammenarbeit auf beiden Seiten der Oder
       weiter gelebte Praxis. Die Mitarbeiter der Landschaftsschutzparks stehen in
       ständigem Kontakt mit dem deutschen Nationalpark.
       
       „Ich bin überzeugt davon, dass der polnische Nationalpark Wirklichkeit wird
       und dass es in Zukunft sogar einen grenzüberschreitenden Nationalpark
       gibt“, sagt Dirk Treichel. „Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht
       morgen. Aber die Natur ist geduldig.“
       
       Aus dem Polnischen von Uwe Rada
       
       26 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.nationalpark-unteres-odertal.eu/de/
 (DIR) [2] https://pl.wikipedia.org/wiki/Park_Krajobrazowy_Dolina_Dolnej_Odry
 (DIR) [3] /Fischsterben-in-der-Oder/!5872038
 (DIR) [4] https://pl.wikipedia.org/wiki/Mi%C4%99dzyodrze
 (DIR) [5] https://pnddo.pl/nasz-zespol/
 (DIR) [6] https://de.wikipedia.org/wiki/Woiwodschaft_Westpommern
 (DIR) [7] https://fer.org.pl/en/
 (DIR) [8] https://www.gov.pl/web/wody-polskie
 (DIR) [9] https://wopn.gov.pl/english-version
 (DIR) [10] https://osobaodra.pl/de/startseite/
 (DIR) [11] https://www.deutsches-polen-institut.de/themen-projekte/politik/deutsch-polnisches-barometer
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Maria Dybcio
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Karol Nawrocki
 (DIR) Oder (Fluss)
 (DIR) Nationalparks
 (DIR) GNS
 (DIR) Kanzler Merz
 (DIR) Frankfurt Oder
 (DIR) Oder (Fluss)
 (DIR) Nationalparks
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Deutschland und Polen: Freundschaft mit Fallstricken
       
       Russland und Ukraine – das werden wichtige Themen der deutsch-polnischen
       Regierungskonsultationen sein. Es dürfte aber auch um
       Vergangenheitsbewältigung gehen.
       
 (DIR) Oder-Konferenz in Frankfurt: Ein Fluss, zwei Welten
       
       Polen plant einen großflächigen Ausbau der Oder. Umweltschützer sind
       entsetzt: Das Gewässer gehört zu den letzten naturnahen Flüssen in Europa.
       
 (DIR) Fischsterben in der Oder: Auch Flüsse brauchen Liebe
       
       In der Oder sterben Fische, im Rhein fehlt Wasser: Höchste Zeit unser
       Verhältnis zu Flüssen zu überdenken, sonst werden sie sich weiter rächen.
       
 (DIR) Nationalpark Unteres Odertal: Gefährdete Wildnis
       
       25 Jahre nach seiner Gründung hat sich der Nationalpark als
       Erfolgsgeschichte erwiesen. Doch nun ist die Idylle durch den Ausbau der
       Oder bedroht.