# taz.de -- Künstliche Intelligenz am Theater: Revolution? Ohne uns
> Mateja Meded hat in Stuttgart Thomas Köcks Dystopie „KI essen seele auf“
> inszeniert. Die Technikskepsis teilt die mit anderen
> Zukunftsschauspielen.
(IMG) Bild: Eine dreiköpfige Höllenmaschine: Silvia Schwinger, Therese Dörr, Celina Rongen in „KI essen seele auf (ORPHEAI)“
Eine Horrorvorstellung: Man sitzt in seinem Auto und der Boardcomputer
übernimmt wider alle Anweisungen das Kommando. Und es geht noch schlimmer.
Oder man wird von einer elektronischen Passkontrolle anhand
undurchsichtiger Datensätze zu Unrecht als Terrorist identifiziert.
Alles nur Schreckensvisionen? Auf der Bühne des [1][Schauspiels Stuttgart]
kommen einem diese Szenarien aus [2][Thomas Köcks] neuem Stück „KI essen
seele auf (ORPHEAI)“ bedrückend nah. Auch, weil der Autor schon gar nicht
mehr aus einer menschlichen Perspektive schreibt. Stattdessen begibt er
sich in die künstliche Intelligenz hinein, um ihre Allmachtsfantasien und
Verführungsmanöver offenzulegen.
Nur hier und da zeigen sich noch Fehler in der perfekt konstruierten
Software, wenn man auf Wendungen wie „variationen deiner adresse deines
geburtsdatums bekommst du die / denn wirklich alle noch sortiert“ stößt.
Ansonsten ist in diesem kulturpessimistischen Text oft unklar, wer in den
Maschine-Begegnungen spricht. Sind die an der Technik scheiternden Menschen
echt oder doch nur Erfindungen von Siri, Alexa & Co.?
## Alles in Dauerschleife
Um diese Ungewissheit zu veranschaulichen, hat sich Regisseurin Mateja
Meded für Spiegel als Seitenwände entschieden. Sie multiplizieren, was wir
sehen. Ursprung und Wahrheit ungewiss! Den Hintergrund bildet eine
Projektionsfläche. Mal sehen wir sich wild permutierende Farbmuster, mal
corallenartige Formen.
Alles ist in dieser lediglich als Dekor dienenden Filmschleife im Fluss,
genauso wie die Hintergrundmusik aus Techno- und Elektrosounds. Passend
dazu wandern auch die drei [3][eine künstliche Intelligenz] verkörpernden
Darstellerinnen Therese Dörr, Celina Rongen und Silvia Schwinger dauerhaft
auf der Stelle. Atemlos rauschen Satzkaskaden an uns vorüber.
Kein Innehalten wird gewährt. Dass dadurch wertvoller Text verloren geht
und Monotonie entsteht, tut der Inszenierung nicht gut. Es zeugt aber von
der krassen Überforderung durch KI. In seinen futuristischen Kostümen reißt
uns diese neuartige Dreifaltigkeit von einem kruden Schauplatz zum
nächsten.
Besonders heraus ragt dabei eine Szene über [4][Love-Apps wie Tinder].
„Digital Dating statt Digital Detox“, lautet die Devise. „Wie groß ist
unsere Einsamkeit“, will man auf der Bühne wissen. Derweil werden im
Hintergrund Profile von links nach rechts geswipt.
Zu sanfter Klaviermusik und einem melancholischen Song über Sehnsucht und
Trennung tanzen zwei der Figuren im Walzerschritt über die Bühne, ein
kurzer Moment trügerischer Intimität. Denn immer wieder schleichen sich wie
in der gesamten Aufführung hölzerne Bewegungen in die Dynamik ein.
Authentische Liebe dürfte man in diesem Cyberspace nicht finden.
Es ist die Frage nach der Wahrheit, die neben Köcks Werk ebenso andere
Bühnenstücke zur KI aufwerfen. So waren uns in der Uraufführung von
[5][Elfriede Jelineks theatralem Requiem „Asche“] im Frühjahr 2024 an den
Münchner Kammerspielen Avatare auf einer Leinwand begegnet: Die täuschten
zwischen Klimawandel und Menschensterben den letzten Anschein einer
vermeintlichen Lebendigkeit vor.
Die Überschreibung des gleichnamigen, von Kontrollverlust erzählenden
Gedichts von Goethe, „Der Zauberlehrling“, die vergangenen Sommer am
Badischen Staatstheater in Karlsruhe zu sehen war, hatte den Menschen
bereits ganz abgeschafft.
## Zwei Seelenlose imitieren Liebe
Während die Smart-Home-KI Schränke und Schubladen in einem Wohnzimmer
öffnet, beginnt der von einem Darsteller anonym gemimte Putzroboter über
seine Autonomie und Wünsche nachzudenken. Die Revolution der Maschinen ist
Programm.
Ähnlich krude mutet eine Prophetie in [6][Jan-Christoph Gockels]
phänomenaler Doppel-Faust-Premiere am Schauspiel Frankfurt an. Nachdem
darin der titelgebende Wissenschaftler anfangs lediglich als Puppe am Arm
von Mephisto gesteuert wird, erscheint die im Paket gelieferte, begehrte
Helena als Android.
Zwei Seelenlose imitieren Liebe und Sex innerhalb eines patriarchalen
Gefüges. Es läuft einem eiskalt den Rücken runter. Obwohl man innovative,
ästhetische Zugriffe des Schauspiels auf die Sphäre der KI noch vermisst,
setzt es sich also thematisch intensiv mit dem Technologieumbruch
auseinander.
Einig sind sich die Theatermacher in der Dystopie: Der Mensch, der mit dem
Netz und klügsten Apparaten das Paradies auferstehen lassen wollte, hat
sich damit die eigene Hölle geschaffen.
## Die Furcht ist bodenlos
Der Philosoph Byung-Chul Han [7][behauptet in seinem aktuellen Essay]
„Sprechen über Gott“, dass KI nur zu zählen, aber nicht zu erzählen vermag.
Illustriert hat dies mithin der Autor Hannes Bajohr. Mit seinem auf Basis
von Sprachbots verfassten Prosa-Entwurf „(Berlin, Miami)“ legt er nahe,
dass ChatGPT und andere Programme noch keine kohärenten Plots produzieren
können.
Und morgen und übermorgen? Was passiert, wenn wir dann die Wirklichkeit
nicht mehr von der Scheinwirklichkeit unterscheiden können? Sind wir nur
mit der bodenlosen Furcht konfrontiert, die im von Köck anzitierten
Filmtitel „Angst essen Seele auf“ von Rainer Werner Fassbinder mitschwingt?
Mateja Mededs luzide, jedoch streckenweise dahinplätschernde Inszenierung
klingt mit [8][Herbert Grönemeyers] „Mensch“ aus. Den lakonischen Satz „Du
fehlst“ haben wir alle noch im Ohr. Man kann ihn im schauerlichen Setting
des Abends als Abgesang werten. Aber vielleicht deutet sich darin ebenfalls
die vage Hoffnung an, dass das Humane sich doch bewährt, und zwar in der
Kunst. Noch!
2 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Peter-Weiss-Auffuehrung-in-Stuttgart/!6113000
(DIR) [2] /Foerderung-der-Inklusion-im-Theater/!6125996
(DIR) [3] /ChatGPT-Gemini-DeepSeek-6-Chat-Bots-in-der-Charakteranalyse/!6126586
(DIR) [4] /Film-ueber-Bumble-Gruenderin/!6112513
(DIR) [5] /Inszenierungen-des-Theaterstuecks-Asche/!6067375
(DIR) [6] /Wallenstein-und-die-Kriege-heute/!6115335
(DIR) [7] https://www.philomag.de/artikel/byung-chul-han-sprechen-ueber-gott
(DIR) [8] /Entscheidung-des-Landgerichts-Muenchen-I/!6128872
## AUTOREN
(DIR) Björn Hayer
## TAGS
(DIR) Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
(DIR) Theater
(DIR) Stuttgart
(DIR) Schauspiel
(DIR) Dystopie
(DIR) Inklusion
(DIR) Schwerpunkt Stadtland
(DIR) wochentaz
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Förderung der Inklusion im Theater: „Willkommen ist, was kommen will“
Inklusion im Theater bereichert die Formen der Kunst und führt manchmal zu
neuen Geschichten. Das war auf dem inkl.Festival in Berlin zu erleben.
(DIR) Wenn das Wasser steigt: Blankenese war einmal
In Aiki Miras Roman „Neongrau“ kann man Hamburg herrlich beim Untergehen
zuschauen – und dank einer feinen Hörspielfassung des WDR jetzt auch
zuhören.
(DIR) Autor*in Aiki Mira zu Science-Fiction: „Das wichtigste Genre unserer Zeit“
Sci-Fi ist ein Orakel für technologische Entwicklungen, aber es fixiert uns
auch auf das Ende der Welt. Autor*in Aiki Mira möchte das ändern.