# taz.de -- Tag gegen Transfeindlichkeit: Trost in der Gemeinschaft
       
       > Die Kiezkapelle Neukölln schafft zum Trans Day of Remembrance einen Ort
       > für gemeinsames Trauern. Berlinweit nehmen queerfeindliche Übergriffe zu.
       
 (IMG) Bild: Kiezkapelle Neukölln: Derzeit ein Ort zum gemeinsamen Trauern
       
       Rote Grabkerzen flackern auf den Stufen der Kapelle. An der
       Backsteinfassade spannt sich ein weißes Banner: „Queer Lives, Queer Loss,
       Queer Mourning“ steht darauf – queere Leben, queere Verluste, queeres
       Gedenken. Im Inneren der Kapelle tauchen die letzten Sonnenstrahlen den
       hohen Raum in warmes Licht. Er ist geschmückt mit Blumen und Kerzen, im
       Hintergrund läuft Musik. Auf einem Regal liegt ein Gedicht: „Ich vermisse
       manchmal das Gefühl, das ich im Sommer nach deinem Tod hatte. Du warst so
       viel präsenter in mir.“
       
       Anlässlich des [1][Trans Day of Remembrance] wird in der Kiezkapelle
       Neukölln bis zum 23. November queerer Menschen mit persönlichen
       Erinnerungsstücken, Gedichten, Fotos und interaktiven Installationen
       gedacht. Der 20. November ist jährlich allen trans*, inter und non-binären
       Personen (TIN*) gewidmet, die aufgrund von Trans*feindlichkeit durch
       Gewalt und Diskriminierung sterben. Der internationale Gedenktag geht
       zurück auf den Mord an Rita Hester, einer Schwarzen Transfrau, die 1998 im
       US-Staat Massachusetts erstochen wurde.
       
       „Wir wollen einen Ort schaffen, an dem die queere Community zusammenkommen
       kann, um über Sterben, Tod und Trauer in Austausch zu gehen“, erklärt Jan
       Möllers. Der Trauerbegleiter und Bestatter sitzt auf einem blauen Sitzsack
       und stickt gedankenverloren einen farbigen Kreis auf blauen Stoff. Das
       „Quilting“ ist eine queere Gedenkpraxis: Jedes Quadrat des Gedenkteppichs
       erinnert an eine ermordete Trans*Person.
       
       „Uns ist wichtig, dass die Ausstellung die Angst vor der realen Bedrohung
       auch mit Hoffnung und Gemeinschaft verbindet – innerhalb der queeren
       Community, aber auch darüber hinaus“, fährt Möllers fort. Er engagiert sich
       im Verein Kulturtrauer e. V., der die Ausstellung gemeinsam mit der queeren
       Trauergruppe Rebound und weiteren Community-Mitgliedern entwickelt hat.
       
       ## 281 Morde an TIN*-Personen im letzten Jahr
       
       Auf einem fliederfarbenen Podest am Eingang stehen schwarze Plateaustiefel,
       verziert mit lodernden roten Flammen. „Kai’s Boots“ heißt die Installation.
       Die Stiefel trug der Transmann und Künstler Chris Kai Bonelli. Sie stehen
       für seinen Mut, in seiner eigenen maskulinen Männlichkeit in Erscheinung zu
       treten.
       
       „Eine queere Männlichkeit sieht heute anders aus. Aber wir hatten damals
       keine queeren männlichen Vorbilder“, erzählt sein Zwillingsbruder, der die
       Installation gestaltet hat, der taz. Beide hätten schon als Kind gewusst,
       dass sie trans sind. „Wir sind die Schritte in der Identitätsfindung
       gemeinsam gegangen, haben uns darin unterstützt und bestätigt.“ Chris Kai
       Bonelli starb 2005 mit 23 Jahren. Sein Schicksal ist kein Einzelfall.
       
       „Eine Gesellschaft, die queeres Leben ausschließt, wird auch
       unglücklicher“, sagt Jan Möllers. „Man verliert nichts, wenn Privilegien,
       die man hat, verallgemeinert werden. Im Gegenteil: Man gewinnt etwas.“ Doch
       diese Erkenntnis scheint vielerorts zu verhallen. [2][Auch in Berlin
       verzeichnet die Polizei seit Jahren einen Anstieg von LSBTIQ*-feindlichen
       Straftaten.] Gleichzeitig werden in und rund um die Hauptstadt Mittel für
       Queer- und Transberatung gekürzt.
       
       „Infrastruktur für queeres Leben, vor allem für Teenager auf dem Land,
       bricht gerade komplett zusammen“, sagt Möllers. Das richte viel Schaden an:
       „Für ein Coming-out als queerer Teenager auf dem Land braucht man
       Unterstützung.“ Besonders dort, wo AfD und CDU Regierungsverantwortung
       übernehmen, beobachte er eine deutliche Rückwärtsbewegung, so der
       Trauerbegleiter.
       
       ## Queere Gedenkpraxis
       
       Doch er sehe auch Entwicklungen, die die gesellschaftliche Vielfalt stärken
       – gerade im Bereich der Trauerarbeit. In Hospizen und Trauergruppen werde
       intensiv darüber diskutiert, wie Angebote inklusiver gestaltet werden
       können. Auch die Ausstellung greift das auf: Täglich finden Workshops,
       Lesungen, Filmscreenings und Diskussionen statt. In der Raummitte bereiten
       die Organisator*innen bereits einen Tisch mit Mal- und Bastelsachen
       vor. In dem Workshop am Nachmittag können Besucher*innen einen Ort
       gestalten, an dem sich ein verstorbener Mensch geborgen fühlen kann. Die
       Veranstalter haben auch einen Audiowalk über den Friedhof an der Kapelle
       zusammengestellt.
       
       [3][Die Ausstellung soll auch sichtbar machen, wie Queere füreinander Sorge
       tragen]. Was macht queeres Trauern aus? „Es ist ein Raum, in dem neue Dinge
       entwickelt werden“, erklärt Möllers. Dass man heute etwa Särge selbst
       gestalten oder die Musik für die Beerdigung aussuchen kann, sei der queeren
       Community zu verdanken. „Die haben während der Aids-Pandemie in den 1980er
       Jahren etwas erkämpft, wovon heute alle profitieren.“
       
       Mehr über die Aids-Pandemie und die daraus entstandene queere Gedenkpraxis
       erfahren Besucher*innen auf der anderen Seite des Raumes. In einer
       gemütlichen Sitzecke liegen laminierte Info-Zettel, die an weißen
       Luftballons befestigt sind: „Raus aus den Toiletten“, „Rein in die
       Straßen“, „Aids und Stigma“ oder „Aids Solidarität“, lauten die
       Überschriften.
       
       Zur queeren Gedenkpraxis gehörten damals auch bunte Särge. Ein solcher bunt
       angemalter Holzsarg steht auch in der Mitte des Raumes. Darin liegt Erde,
       aus der Blumen wachsen. Zwischen den Pflanzen sind Rahmen mit Fotos
       verstorbener Trans*menschen platziert.
       
       Die meisten getöteten Personen waren im vergangenen Jahr, wie bereits in
       den Vorjahren auch, Trans*frauen – insbesondere Schwarze und
       migrantisierte. Umso größer ist die Kritik aus der Community, dass ihre
       Perspektiven nur wenige Tage später, am Internationalen Tag gegen Gewalt an
       Frauen, kaum Beachtung finden. Beide Kämpfe müssten viel stärker
       zusammengedacht werden, heißt es.
       
       ## Gedenken an Trans-Ahn*innen
       
       Hinter dem Sarg befindet sich ein Altar, an dem Trans-Ahn*innen gedacht
       wird – historischen Personen, bei denen es Hinweise auf geschlechtliche
       Nonkonformität gibt, etwa Jeanne D'Arc oder Christina von Schweden.
       Besucher*innen können dort Gaben hinterlassen. Kerzen, Blumen, Kürbisse
       und eine liebevoll gestaltete Collage der Ahn*innen stehen bereits auf
       dem Altar.
       
       „Wir konnten uns nie als ein queeres Kontinuum betrachten. Die
       Geschichtsschreibung hat queere Menschen unsichtbar gemacht oder
       pathologisiert“, sagt Möllers. Anlässlich des Trans Day of Remembrance sei
       es ihnen wichtig, nicht nur Gewalt und Bedrohung zu spüren, sondern auch
       die universelle Menschlichkeit queerer Erfahrungen sichtbar zu machen.
       
       Schließlich soll die Ausstellung auch queeres Leben Menschen nahebringen,
       die nicht queer sind. Mit Erfolg: „Für mich als Seniorin ein erstes
       Eintauchen in die queere Community. Danke für diese Erfahrung“, schreibt
       eine Besucherin auf einen Zettel, der an einem Gitter in der Raummitte
       hängt. Darauf sollen Besucher*innen festhalten, was sie aus der
       Ausstellung mitnehmen und wie sich ihr Blick auf Trauer verändert hat. Eine
       andere Besucherin schreibt: „Wissen über Queerness“.
       
       Am Donnerstag findet anlässlich des Trans Day of Remembrance eine
       Kundgebung und Demo am S- und U-Bhf Neukölln statt. Kundgebung: 17:30 Uhr,
       Demostart: 18:30 Uhr. Die geplante Demoroute wurde von der Polizei nicht
       genehmigt. Als Grund dafür nannte sie laut Veranstalter*innen, dass die
       Anmelderin in der Vergangenheit pro-palästinensische Versammlungen
       angemeldet hätte und „davon auszugehen sei, dass auf der Route Straftaten
       begangen werden“.
       
       20 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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