# taz.de -- Staatlicher Eingriff in den Wettbewerb: Die beruhigende Lüge vom eigenen Kuchenstück
       
       > In den USA haben viele Menschen Angst vor sozialistischer Politik. Dabei
       > betreiben Staat und Konzerne selbst sowas wie Planwirtschaft.
       
 (IMG) Bild: Zohran Mamdani: Fokus auf bezahlbaren Wohnraum, Lebensmittel und Nahverkehr
       
       Kurz bevor [1][Zohran Mamdani] vor zwei Wochen die Bürgermeisterwahl in New
       York City gewann, sah ich mir online ein Video mit Straßeninterviews an.
       Während viele New Yorker:innen begeistert einen Politikwechsel in der
       teuersten Stadt der USA herbeisehnten, bekamen es andere mit der Angst vor
       [2][dem demokratischen Sozialisten] zu tun. Was mich dabei immer verblüfft:
       Die lautesten darunter sind nicht immer Manager und CEOs.
       
       „Mamdani ist für staatliche Kontrolle“, sagte eine ältere Dame mit
       zitternder Stimme gegenüber dem Youtube-Kanal Channel 5. Sie selbst sei
       früher Buchhalterin gewesen, vertraue nicht darauf, dass der 34-Jährige
       wisse, was er tue, und halte seine Versprechen wie Mietendeckel oder
       stadteigene Supermärkte für unmögliche Ideen. Sie sagt: „Wir müssen
       kämpfen, um den Kapitalismus in unserem Land zu halten. Kapitalismus
       erlaubt Freiheit. Freies Unternehmertum!“
       
       Was für einige quatschig klingen mag, ist für andere wohl völlig logisch.
       Der Gedanke: [3][Staatliche Planung] kann niemals funktionieren und führt
       zu Misswirtschaft, Korruption und Totalitarismus à la Sowjetunion oder DDR.
       Im Neoliberalismus hingegen herrschen zwar harte Wettbewerbsbedingungen,
       jedoch kann sich jeder als „kleiner Kapitalist“ ein Stück vom Kuchen
       sichern – sofern man sich nur genug anstrengt.
       
       Das wusste schon die CDU in den 1970er Jahren, als sie mit ihrem Slogan
       „Freiheit statt Sozialismus“ punktete. Der neoliberale Vordenker Friedrich
       August von Hayek meinte, dass Gesellschaften zu komplex seien, um von einer
       Stelle gelenkt zu werden, daher sei Planwirtschaft zwangsläufig ein „Weg in
       die Knechtschaft“.
       
       Da hatte er nicht ganz unrecht, das Problem ist jedoch: Auch in den
       kapitalistischen Gesellschaften von heute wird zentral geplant, nur anders
       als im Realsozialismus – und von anderen. Die sozialistische britische
       Ökonomin Grace Blakeley argumentiert, dass Industriestaaten durch
       Subventionen, Steuererleichterungen und Rettungspakete für Unternehmen
       stark in den Wettbewerb eingreifen und somit auch bei uns von rein freien
       Märkten keine Rede sein kann.
       
       ## Lieber abgehängte Kapitalistin als Unterdrückte
       
       In vielen Fällen seien die Planer sogar die Konzerne selbst. Durch hoch
       finanzierten Lobbyismus und eine Mischung aus Bedrohung und Unterstützung
       politischer Parteien gestalteten sie die Politik in ihrem Sinne – ohne
       selbst demokratisch legitimiert zu sein. Man denke etwa an den inzwischen
       abgesägten Elon Musk im Weißen Haus.
       
       Laut Blakeley schränkt gerade diese „gefährliche Verschmelzung von Staats-
       und Unternehmensmacht“ unsere individuelle Freiheit stark ein, da sie es
       den meisten von uns unmöglich mache, „die Bedingungen unserer Existenz zu
       gestalten oder zu ändern“. Echte Freiheit erreichten wir nur, wenn wir
       Entscheidungsprozesse in Politik und Wirtschaft demokratisierten.
       
       Ein bisschen verstehe ich die besorgte Dame im Big Apple trotzdem: Die
       Vorstellung, selbst Kapitalistin zu sein – also auf der Gewinnerseite zu
       stehen – und es nur noch nicht geschafft zu haben, ist beruhigender, als
       mir einzugestehen, dass ich Teil einer unterdrückten Klasse bin.
       
       Zohran Mamdani hat es mit seinem Fokus auf bezahlbaren Wohnraum,
       Lebensmittel und Nahverkehr dennoch geschafft, die meisten New
       Yorker:innen hinter gemeinsamen Interessen zu vereinen. Wenn wir da auch
       in Deutschland, einem Land mit einem ehemaligen
       Black-Rock-Aufsichtsratschef als Kanzler, hinkommen würden, wäre schon mal
       viel gewonnen.
       
       19 Nov 2025
       
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