# taz.de -- Theater an der Parkaue in Berlin wird 75: Als die Junge Welle brach
       
       > Zum Geburtstag der Blick zurück: Mit Marion Braschs Stück „On Air On
       > Fire“ übers DDR-Jugendradio DT64 feiert das Theater an der Parkaue
       > Jubiläum.
       
 (IMG) Bild: Die Dynamik im Studio ist groß, aber die Verunsicherung noch größer: Ilona Raytmann und Jan Tsien Beller
       
       Im Theater an der Parkaue gibt es Radios aus Pappkarton, auf denen DT64
       läuft: Die Zeit ist hier zurückgedreht. Junge Menschen erleben hier die
       ost- und westdeutsche Gesellschaft Anfang der 1990er. So kommentiert eine
       junge Frauenstimme im Radio: „Ich hätte große Lust, diesen Widerspruch zu
       verlassen zwischen Ost/West. Der ist mir überhaupt nicht zukunftsträchtig.“
       
       DT64, [1][1964 gegründet als Junge Welle von Radio DDR,] ist in dieser
       Transformationszeit in derselben Lebenslage wie seine HörerInnen und macht
       auch genau so Radio. Marion Brasch, 1987 bis 1992 Musikredakteurin und
       Moderatorin bei DT64, erinnert sich an das so nicht wiederholbare Senden
       auf Augenhöhe. Entstanden in einer Symbiose aus dem Wegfall jeglicher
       Kontrolle und der großen, mit der politischen Freiheit gepaarten
       [2][Unsicherheit in der ostdeutschen Gesellschaft.]
       
       In der dokufiktionalen Zeitreise „On Air On Fire“ holt Brasch die
       spannendste Zeit von DT64 an die Oberfläche. Auf der kleinsten der drei
       Bühnen des Kinder- und Jugendtheaters ist mittig ein Studio aufgebaut:
       Mischpult, zwei Schreibtische und eine Moderationskabine (Bühne:
       Maria-Alice Bahra).
       
       ## In spielunfreudiger Gesellschaft
       
       Es ist ein Studio aus Karton, in das sich immer wieder Originalgegenstände
       der 1980er Jahre mischen wie das mausgraue DDR-Telefon. Das Büro des
       Chefredakteurs mit einem leise-witzigen Erich-Honecker-Porträt thront über
       den Publikumsreihen, die von beiden Seiten das Radiostudio einrahmen.
       
       „Ich finde, dass unsere Gesellschaft sehr spielunfreudig ist. Die mangelnde
       Fähigkeit zu spielen verschafft uns immer mehr Feinde“, sagt kurz nach der
       Wende eine junge Frau in das Mikrofon eines DT64-Reporters. Man hat diesen
       nachdenkenswerten Satz im Foyer des Theaters gehört. Er kommt aus einem
       Pappradio.
       
       Dann kommt man zur Bühne 3 und wird mit Rio Reisers Lied „Der Traum ist
       aus“ empfangen. Im Oktober 1988 singt der Ton-Steine-Scherben-Sänger genau
       dieses Lied im Ostberliner Werner-Seelenbinder-Stadion vor Tausenden von
       Fans.
       
       Denen spricht eine Liedstrophe so dermaßen aus der Seele, dass sie sie wie
       aus einer Kehle intonieren: „Unser Land ist es nicht.“ DT64 schneidet das
       Konzert mit, sendet das Konzert auch, aber ohne dieses Lied.
       
       [3][Marion Braschs Stück] setzt genau da an. Fünf Figuren – ein
       Chefredakteur, ein Nachrichtensprecher, eine Moderatorin, eine Redakteurin
       und eine Tontechnikerin – diskutieren, positionieren sich und treffen
       Entscheidungen. Im Bezug auf das Konzert und danach immer wieder neu.
       
       Braschs Stück ist durchzogen [4][von realen Begebenheiten in der Redaktion,
       die sie miterlebt hat]. So die Weigerung des Nachrichtensprechers, die
       offizielle Meldung zur Niederschlagung der Proteste am Pekinger
       Tiananmen-Platz am 4. Juni 1989 zu verlesen.
       
       Im September 1989 unterzeichnete Marion Brasch eine Resolution, die „ein
       Ende der unaushaltbaren Zustände“ forderte. Im Stück unterschreibt
       Moderatorin Toni. Hier und am Ende der Inszenierung, als Toni (Ilona
       Raytman) Braschs letzte Moderation vor der DT64-Abschaltung einspricht,
       schreibt sich Brasch direkt in ihr Stück rein.
       
       ## Unglaubliche Unterstützung
       
       Maueröffnung und die Absetzung des Chefredakteurs werden in pointierten
       Szenen beleuchtet. Breiten Raum nimmt der Kampf um den Erhalt des Senders
       ein: Denn schier unglaublich war die Unterstützung durch die HörerInnen.
       
       Sie protestierten monatelang, besetzten unter anderem die Senatskanzlei und
       stemmten sich so gegen den Beschluss, mit dem gesamten DDR-Hörfunk auch
       DT64 abzuwickeln – am Ende allerdings erfolglos. Dokumentarisches
       Bildmaterial wird auf Vorhänge projiziert, die schnell aufgezogen werden.
       Das Material findet seinen Weg auf die Bühne, so das Plakat „Uns könnt ihr
       hier nicht abschalten.“
       
       Braschs Chefredakteur Martini ist kein Komplett-Apparatschik, die
       Redakteurin Johanna dagegen ohne Rückgrat, während die anderen drei der
       Studio-Mannschaft in der Wendezeit eins entwickeln. Es sind lebendige
       Figuren, die [5][in der Regie von Alexander Riemenscheider] auch stark ins
       Körperlich-Tanzende gehen.
       
       Und es sind fünf DarstellerInnen, die sich in ihre Figuren schmeißen. Und
       so kommen sie einem sehr nah. Über diese Lebendigkeit hofft das Theater die
       heutigen Jugendlichen zu erreichen, für die sowohl die Zeitebene als auch
       das Medium Radio so weit weg sind.
       
       ## Raum, um gehört zu werden
       
       „On Air On Fire“ ist das Jubiläums-Stück zum 75. Theater-Geburtstag. Das
       Theater wurde als Theater der Freundschaft am 16. November 1950 im
       damaligen Ostberlin gegründet. Intendant Riemenscheider hat sich für ein
       Stück über DT64 entschieden, weil mit diesem Sender die ostdeutsche Jugend
       in den Wendejahren eine Stimme hatte. Jugendlichen Freiraum und eine Stimme
       zu geben, [6][ist auch ein Hauptanliegen des Theaters]. Das ist eine
       Klammer.
       
       Die zweite ist: DT64 wurde abgewickelt, und heute kürzt die öffentliche
       Hand massiv die Zuwendungen für Jugendprojekte. Wieder verlieren
       Jugendliche Freiräume. Das Lichtenberger Theater veranstaltet Workshops, um
       diese Räume gezielt zu schaffen.
       
       Wer teilnimmt, kann beobachten, wie sich die Jugendlichen in der
       Stuhlkreismitte in einen Frage- oder Antwortstuhl setzen und einander alle
       Fragen der Welt stellen. Es geht dabei darum, wirklich etwas sagen zu
       wollen.
       
       Und darum, einander dabei zuzuhören – und gehört zu werden. Es ist ein
       Raum, den die Jugendlichen sehr schnell ganz als ihren begreifen – ganz
       ähnlich, wie DT64 für jene, die vor 35 Jahren jung waren.
       
       19 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /60-Jahre-DDR-Jugendsender-DT64/!6053940
 (DIR) [2] /Rias-DT64-DDR-Funk-als-Beute/!1752737&s=DT64&SuchRahmen=Print/
 (DIR) [3] /Coming-of-Age-Roman-fuer-Erwachsene/!5035861
 (DIR) [4] /Jugendradio-50-Jahre-DT64/!5042860
 (DIR) [5] /Urauffuehrung-am-Bremer-Theater/!5071220
 (DIR) [6] /Iranische-Gegenwart-im-Theater/!6047511
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katja Kollmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) 30 Jahre friedliche Revolution
 (DIR) Deutsche Einheit
 (DIR) Radio
 (DIR) DDR
 (DIR) Wiedervereinigung
 (DIR) Kinder- und Jugendtheater
 (DIR) Berlin
 (DIR) Radio
 (DIR) Cottbus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) 60 Jahre DDR-Jugendsender DT64: Wellen des Widerstands
       
       Anfang der 90er protestierten Tausende für den Erhalt des DDR-Jugendsenders
       DT64. Rückblick auf den Sender, der für viele ein Symbol der Freiheit war.
       
 (DIR) Born in the GDR: Talk mit Sandow-Sänger: „Ich rate immer zur Stadtflucht“
       
       Kai-Uwe Kohlschmidt ist Sänger der Band Sandow und Mitglied der
       Künstlergruppe Mangan25. Ein Gespräch über Berlin, Cottbus, die DDR – und
       die weite Welt.
       
 (DIR) RBB-Jugendsender "Fritz" wird 15: Nur für Jugendliche
       
       Erwachsen werden sollen andere: Fritz, das Jugendradio des Rundfunks
       Berlin-Brandenburg, wird am Samstag 15 Jahre alt.