# taz.de -- Amazonas-Regenwald kippt: Wenn die Wolkenmaschine stockt
> Der Amazonas-Regenwald ist der größte Kohlenstoffspeicher der Welt.
> Allerdings mehren sich Anzeichen dafür, dass der Wald kippt.
(IMG) Bild: Nasa-Satelliten beobachten im nördlichen Amazonasgebiet weit verbreitete und intensive Brandaktivitäten, Brasilien, 2024
Die Größenordnung ist gigantisch: Der Regenwald im Amazonasbecken speichert
etwa 80 bis 123 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. [1][Das Ökosystem im Herzen
Südamerikas] ist ein sich selbst versorgendes Phänomen. Angetrieben von der
Energie der Sonne, verdunsten die Bäume über ihre Blätter durch die
Photosynthese riesige Mengen Wasser – so viel, dass daraus Regenwolken
entstehen. „Die regnen dann im Flachland und an den Hängen der Anden ab und
versorgen so den Regenwald mit neuem Wasser“, sagt Christopher Reyer,
Waldexperte am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
Dabei bildet die bis zu 6.000 Meter hohe Gebirgskette eine Wasserbarriere:
Spätestens hier müssen die Wolken aufsteigen, was sie abregnen lässt. Das
Verdunstungswasser aus der Ebene speist Flüsse wie den Rio Negro, den Rio
Madeira, den Rio Huallaga oder den Purus, die sich im Zentrum des
Kontinents zum Amazonasfluss vereinen und das ganze Becken mit Wasser
versorgen. An manchen Stellen ist der Zusammenfluss – der Amazonas – bis zu
20 Kilometer breit; der Bodensee bringt es an seiner breitesten Stelle auf
14 Kilometer.
Bislang half der Regenwald im Amazonas dem Menschen: Dank Photosynthese
wird auf 5,5 Millionen Quadratkilometern Kohlendioxid zu Holz umgebaut. Auf
einem Quadratkilometer sind bis zu 1.000 verschiedene Bäume produktiv, pro
Jahr binden die Pflanzen und der Boden etwa 380 Millionen Tonnen
Kohlenstoff, mehr als die 85 Millionen Einwohner Kolumbiens und Venezuelas
zusammen.
In seinen besten Zeiten machte das Ökosystem 5 Prozent der weltweiten
Treibhausgas-Emissionen wett. Allerdings ist das System in Gefahr: Wenn zu
wenig Wasser verdunstet, bilden sich weniger Wolken. Die haben weniger
Regen zur Folge, weshalb es weniger Wasser in den Flüssen gibt. [2][Teile
des Amazonasbeckens fallen trocken], weshalb Bäume absterben und als
Verdunster ausfallen und so noch weniger Regen entsteht – ein Teufelskreis.
## „Historische Dürre“
Vor zehn Jahren waren 13 Prozent des Amazonas von Dürre betroffen. 2023
erlebte das Gebiet zwischen Juni und November eine „historische Dürre“, im
vergangenen Jahr fiel der Pegel des Rio Negro auf den niedrigsten Stand
seit Beginn der Messungen vor 120 Jahren. Der Wasserstand des Rio Madeira
fiel im Oktober in Porto Velho, Hauptstadt des Bundesstaates Rondônia an
der Grenze zu Bolivien, auf 25 Zentimeter. Zu dieser Jahreszeit sind dort 5
Meter normal.
Mit der Dürre kommen die Brände: 2024 registrierte das brasilianische
Institut für Weltraumforschung (INPE) [3][fast 280.000 Brände] allein im
brasilianischen Amazonasbecken, ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. 30
Millionen Hektar Wald wurden zerstört. Und damit jede Menge Verdunster, die
nun nicht mehr zur Bildung von Regenwolken beitragen können.
## Klimawandel angeheizt
[4][Wenn der Amazonas-Regenwald „umkippt“], hilft er den Menschen nicht
mehr beim Klimaschutz, im Gegenteil, er setzt dann selbst Treibhausgase
frei: Abgestorbenes Holz wird nach und nach zu Methan und Kohlendioxid. Das
heizt den Klimawandel an: „Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass
allein das Absterben des Amazonaswaldes mindestens 0,3 Grad Celsius zur
globalen Erwärmung beitragen könnte“, so PIK-Experte Reyer. Allerdings sei
diese Zahl noch mit großen Unsicherheiten behaftet.
Deshalb wird im Amazonasbecken viel geforscht, etwa mit Messtürmen, an
deren Spitzen Instrumente installiert wurden, um den Stoff- und
Energieaustausch zwischen Wald und darüber liegender Luftschicht zu messen.
Der höchste ragt mehr als 300 Meter in den Himmel: Wie viel Kohlendioxid
nimmt der Wald auf? Da weite Teile des Amazonas unzugänglich sind, arbeitet
die Wissenschaft auch mit Satellitendaten und Computersimulationen.
## Unmittelbar vor Kipppunkt
2021 kam eine große internationale Studie [5][zu dem Schluss], dass der
Amazonaswald unmittelbar vor dem Kippen steht. Als einen Grund dafür
identifizierte das Team das fortgesetzte Abholzen des Regenwaldes, was
Niederschlagsmuster verändert und so den Wald weiter austrocknet. Einen
anderen Grund fanden die Forscher:nnen in den kleinen Rußpartikeln, die
durch die zunehmenden Brände freigesetzt werden: Diese absorbieren
Sonnenlicht, was die lokale Erwärmung erhöht, wodurch der Wald weiter
austrocknet und abstirbt. „Wir haben den Punkt des Systems überschritten,
an dem er uns einen zuverlässigen Dienst leistet“, erklärte
Studien-Coautorin Fiona Soper von der kanadischen McGill-Universität.
2022 publizierte ein Team um Chris Boulton von der University of Exeter
[6][Ergebnisse zur Resilienz-Untersuchung] des Regenwaldes, also zur Frage,
wie widerstandsfähig er ist. Dafür nutzten die Forscher:nnen per
Satelliten erhobene Daten zur Biomasse, Blattdichte und
Vegetationsbedeckung aus den letzten 30 Jahren. Ergebnis: Obwohl der
Regenwald im Amazonasbecken vielerorts noch intakt aussieht, hat er auf
drei Viertel seiner Fläche schon messbar an Widerstandskraft verloren.
Damit, so Boulton, sei der entscheidende empirische Beweis erbracht, „dass
sich der Amazonas-Regenwald seinem Kipppunkt nähert“.
## Mensch macht weiter
Und der Mensch macht kräftig weiter. Seit 1985 hat sich die Umwandlung von
Wald zu Viehweide oder Sojaplantage auf eine halbe Million Quadratkilometer
summiert, etwa eine Fläche so groß wie Frankreich. Diese Verluste –
überwiegend durch Brandrodung – haben das regionale Klima und Wetter
bereits verändert, [7][wie eine Studie neuerlich bestätigt]: So ging die
durchschnittliche Regenmenge im brasilianischen Regenwald von 1985 bis 2020
um 21 Millimeter zurück. Dem Wald geht das Wasser aus, was er zum
Verdunsten braucht.
2024 kam ein Team um Bernardo Flores von der Federal University of Santa
Catarina [8][zu dem Ergebnis], dass eine globale Erwärmung von mehr als 1,5
Grad durchschnittlich zu viel für den Amazonas ist. In ihrem [9][„Global
Tipping Points Report“ kam Mitte Oktober 2025] ein Forscherteam schließlich
zu dem Schluss, dass die Schwelle, die zum unweigerlichen „Kippen“ des
Ökosystems führen wird, niedriger ist als bislang angenommen: Auch sie
erwarten einen Zusammenbruch ab einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad.
Tatsächlich war das vergangene Jahr [10][bereits 1,55 Grad wärmer als vor
der industriellen Revolution.] Und weil die weltweiten Emissionen auch 2025
weiter anstiegen, statt zu sinken, ist ein neuer Temperaturrekord 2025
nicht unwahrscheinlich.
17 Nov 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Beschuetzer-des-Regenwaldes/!6128053
(DIR) [2] /Weltraumbehoerde-ueber-Amazonas/!6111066
(DIR) [3] https://terrabrasilis.dpi.inpe.br/queimadas/situacao-atual/estatisticas/estatisticas_paises/
(DIR) [4] /Regenwald-in-Gefahr/!5927819
(DIR) [5] https://doi.org/10.3389/ffgc.2021.618401
(DIR) [6] https://www.nature.com/articles/s41558-022-01287-8
(DIR) [7] https://www.nature.com/articles/s41467-025-63156-0
(DIR) [8] https://www.nature.com/articles/s41586-023-06970-0
(DIR) [9] /Forschende-sehen-drohendes-Sterben/!6119503
(DIR) [10] https://wmo.int/news/media-centre/carbon-dioxide-levels-increase-record-amount-new-highs-2024
## AUTOREN
(DIR) Nick Reimer
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