# taz.de -- Essay über staatlichen Autoritarismus: Entbürokratisierung, Baby!
> Autoritäre Führer arbeiten an der Gleichschaltung staatlicher
> Institutionen. Welche Strategien wurden dabei von Hitler bis Trump
> verwendet?
(IMG) Bild: Soziologe Kühl: „Diese Dynamik führt zu politischen Radikalisierungseffekten“. US-Marines in Los Angeles im Sommer 2025
Dank Präsident Trump kann man in den USA derzeit eine rabiate Form der
Entmachtung, Diskreditierung und des Missbrauchs staatlicher Institutionen
beobachten. Der massive Personalabbau, die Abwicklung ganzer
Verwaltungsorganisationen, die Neubesetzung von Leitungsfunktionen mit
fachfremden Trump-Loyalisten und die Einschüchterung der Belegschaft in
Behörden, Justiz, Ministerien und Forschungseinrichtungen wird begleitet
von der Behauptung eines angeblichen „Deep State“ ideologisch getriebener,
„linksradikaler“ Beamter. Die libertäre Rhetorik der Staatskritik verbindet
sich mit dem autoritären Umbau des Staates.
Dass eine Regierung die öffentliche Verwaltung benutzt, um ihre politischen
Ziele durchzusetzen, ist zunächst nicht überraschend. Das gehört zum
Grundkonzept des modernen Staates. Beim autoritären Umbau der staatlichen
Verwaltung geht es dagegen um die Außerkraftsetzung zentraler Regeln des
demokratischen Rechtsstaats. In ihm sehen sich Behörden und ihr Personal an
Gesetze gebunden.
Das schränkt die Handlungsoptionen der politischen Entscheider gegenüber
der staatlichen Verwaltung ein. Eine Regierung, die sich den
Verwaltungsapparat uneingeschränkt gefügig machen will, wird versuchen,
dessen Bindung an geltendes Recht außer Kraft zu setzen. Der Prototyp einer
solchen Gleichschaltung der öffentlichen Verwaltung ist der NS-Staat. An
seinem Beispiel lässt sich die von der Regierung betriebene Aushöhlung
rechtsstaatlicher, aber auch bürokratischer Prinzipien wie in einem
Versuchslabor studieren.
## Unterwerfung der Bürokratie
Der typische Beamte im Maschinenraum einer Verwaltung arbeitet
Wenn-dann-Programme ab: Wenn ein Bauantrag gestellt wird, wird geprüft, ob
dieser mit dem Flächennutzungsplan und der städtischen Bauordnung
kompatibel ist, nur dann wird dem Antrag stattgegeben. Der
Entscheidungsprozess wird in Akten dokumentiert, so dass die Rechtmäßigkeit
der Entscheidung jederzeit nachgeprüft werden kann. Die Bürokratiekritik
der Nationalsozialisten setzte bei dieser Orientierung der Verwaltung an
Wenn-dann-Programmen an.
Adolf Hitler war das Entscheidungsverfahren der Verwaltungsbeamten zuwider.
Er hielt den „Behördenapparat“ für einen „rein maschinellen Mechanismus“,
der ungeeignet sei, den politischen Aufgaben des Staates gerecht zu werden.
Wenn „sich die normale Bürokratie des Staates“, so Hitler, nicht schnell
genug an die politischen Anforderungen anpasse und sich „als ungeeignet
erweisen sollte“, dann müsste sie durch die „lebendigere Organisation der
Partei“ ersetzt werden: „Was staatlich gelöst werden kann, wird staatlich
gelöst“, was „der Staat seinem ganzen Wesen eben nicht zu lösen in der Lage
ist, wird durch die Bewegung gelöst.“ Das ist die Forderung der
vollständigen Unterwerfung der staatlichen Bürokratie unter die Ziele der
politischen Machthaber.
Bei aller Kritik an der Bürokratie kam es im Nationalsozialismus nicht zu
ihrer Abschaffung, im Gegenteil. In der klassischen staatlichen Verwaltung
kam es trotz der Schließung einzelner Behörden nicht zu einer Reduzierung,
sondern eher zu einem Aufwuchs des Personalbestands. Der
Politikwissenschaftler Franz Neumann, einer der schärfsten zeitgenössischen
Analytiker des NS-Staates, beobachtete während des Zweiten Weltkrieges ein
„enormes zahlen- und funktionsmäßiges Wachstum der staatlichen Bürokratien“
im nationalsozialistischen Deutschland.
Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass auch unter der
Trump-Administration der staatliche Verwaltungsapparat der USA nicht
schrumpfen, sondern sich eher vergrößern wird.
## Ohne Rücksicht auf geltendes Recht
Damit politische Machthaber ihre Ziele ohne Rücksicht auf geltendes Recht
durchsetzen können, müssen sie die Verwaltung so einschüchtern, dass sie
sich diesen Zielen unterwirft. Die Nationalsozialisten führten deshalb
schon kurz nach Hitlers Regierungsübernahme Säuberungen im Staatsapparat
durch. Verwaltungsmitarbeiter wurden willkürlich aus ihren Positionen
gedrängt, widerständige Spitzenbeamte diskreditiert, nicht genehme Behörden
geschlossen.
Ein hinterhergeschobenes Gesetz diente dazu, Beamte „nicht arischer
Abstimmung“ aus dem Staatsdienst zu drängen und Staatsbediensteten, die
„nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den
nationalsozialistischen Staat eintreten“, zu kündigen. Auch wenn Letzteres
vorrangig gegenüber Spitzenbeamten angewendet wurde, war der Effekt die
gewünschte Verunsicherung der Angestellten und Beamten im öffentlichen
Dienst.
Das staatliche Verwaltungshandeln wurde ab 1933 konsequent politisiert.
Entscheidungsabstimmungen fanden im NS-Staat immer weniger über die
formalen Kommunikationswege der Behörden, sondern über informelle
Kontaktnetze statt. Entscheidungsträger im Staatsapparat wie Betroffene
staatlicher Entscheidungen konnten sich nur begrenzt auf formal zugewiesene
Kompetenzen verlassen. Sie mussten versuchen, ihre Anliegen über
einflussreiche Personen im nationalsozialistischen Gefüge durchzusetzen. Je
besser dabei der Zugang zu politischen Machthabern im NS-Apparat, desto
größer war die Chance, Anliegen durchzusetzen.
Das Ergebnis war eine Verwaltung, die immer stärker versuchte, den Willen
der politischen Führung zu antizipieren. Dafür mussten, darauf hat früh der
Rechtshistoriker Bernd Rüthers hingewiesen, existierende Gesetze nicht
unbedingt aufgehoben oder neue Gesetze in Kraft gesetzt werden. Vielmehr
wurden existierende gesetzliche Regeln ignoriert oder großzügig im Sinne
der nationalsozialistischen Staatsdoktrin ausgelegt: Formalität wird nicht
unbedingt durch neue Formalität ersetzt, sondern informell unterlaufen.
## Auflösung klarer Zuständigkeiten
Improvisation und informelle Absprachen ersetzen zunehmend die
Zuverlässigkeit der für alle verbindlichen Wenn-dann-Programme. Angesichts
von Unklarheit über die Geltung gesetzlicher Rahmenbedingungen ist die
Hierarchie immer öfter gezwungen, situativ zu entscheiden.
Die Auflösung klarer Zuständigkeiten führt zu permanenten
Abgrenzungskämpfen. Aus einer Bürokratie mit klaren Kompetenzzuteilungen
wird eine Polykratie, eine Herrschaft der Vielen, in der zentrale
Verwaltungseinheiten, mächtige Wirtschaftsunternehmen, neu geschaffene
Sonderbeauftragte und Parteigliederungen miteinander um Einflussbereiche
und Entscheidungsbefugnisse konkurrieren.
Diese Dynamik führt zu politischen Radikalisierungseffekten, weil alle
versuchen, sich gegenüber der politischen Führung oder einem starken Führer
mit besonders extremen Maßnahmen zu profilieren. Im Wettstreit der
verschiedenen staatlichen und halbstaatlichen Stellen versuchte man, seine
Leistungsfähigkeit durch eine besonders skrupellose Umsetzung der
politischen Vorgaben unter Beweis zu stellen. „Dem Führer entgegenarbeiten“
war die Kurzformel, die schon im Nationalsozialismus verwendet wurde, um
diese auffällige Initiativkraft von staatlichen und halbstaatlichen Stellen
zu erklären.
Die Umstellung einer von Gesetzesbindung und Regelkonformität geprägten
Verwaltungsarbeit auf eine an politischen Zielen orientierten, erfolgte im
NS-Staat schrittweise und war nicht in allen Bereichen vollständig.
Der Verbindlichkeitsgrad von Gesetzen produziert ein Maß an
Berechenbarkeit, auf das kein Staat, auch kein Unrechtsstaat, verzichten
kann. Es hing stark [1][von der jeweiligen Stellung innerhalb des
NS-Staates] ab, wer der Willkür des Regimes ausgeliefert war.
„Volksgenossen“, die den rassistischen und politischen Ansprüchen der
Nationalsozialisten genügten, konnten mit Verweis auf Gesetze Ansprüche zum
Beispiel gegenüber der Verwaltung durchsetzen.
## Vom Normen- zum Maßnahmenstaat
Angehörige diskriminierter Minderheiten, Menschen jüdischer Herkunft,
Sozialdemokraten und Kommunisten oder Menschen mit psychischen Erkrankungen
waren gegenüber der Polizei, der Verwaltung oder dem Gesundheitswesen nicht
durch das Recht geschützt. Der in die USA emigrierte Politikwissenschaftler
Ernst Fraenkel prägte für diese gleichzeitige Existenz des auf gesetzlichen
Prinzipien basierenden „Normenstaates“ und des durch keinerlei rechtliche
Regelungen eingeschränkten „Maßnahmenstaates“ schon während des Zweiten
Weltkrieges den Begriff des „Doppelstaats“.
Auch wenn bis zum Ende des NS-Regimes Elemente des Normenstaats erhalten
blieben, mutierte der NS-Staat spätestens mit Beginn des Krieges immer mehr
zu einem Maßnahmenstaat, in dem der staatliche Gewaltapparat kaum noch
Rücksicht auf Gesetze nehmen musste. Verwaltungsbehörden, Polizeikräfte und
Sicherheitsorgane konnten in vielen Feldern weitgehend befreit von der
Gesetzesbindung ihre Entscheidungen durchsetzen. Zumindest im Umgang mit
Migranten, politisch Andersdenkenden und kritischen Wissenschaftlern
entwickeln [2][die USA unter Trump] derzeit Züge dessen, was Fraenkel als
„Maßnahmenstaat“ charakterisiert hat.
30 Nov 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Historiker-Malinowski-ueber-Hohenzollern/!5818046
(DIR) [2] /US-Historikerin-ueber-Trump-und-Mamdani/!6130625
## AUTOREN
(DIR) Stefan Kühl
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