# taz.de -- An der Nato-Ostflanke: Grenzerfahrungen
       
       > Am Suwałki-Korridor kommen Belarus und das russische Kaliningrad
       > bedrohlich nah. Eine Reise zu Europas verteidigungspolitischer
       > Achillesferse.
       
 (IMG) Bild: Lost space: im Stacheldraht-Dreieck zwischen Polen, Litauen und der russischen Exklave Kaliningrad
       
       Małgorzata Walukiewicz streift ihre Stiefel an der Fußmatte ab und
       schüttelt den Regen von ihrem olivgrünen Mantel. Graue Regenwolken hängen
       über Suwałki an diesem herbstlichen Donnerstagmorgen. Auf den Straßen
       schützen sich Kinder auf dem Weg zur Schule mit bunten Regenschirmen, eine
       Gruppe von ihnen springt lachend in eine Pfütze. Außer ihnen traut sich
       kaum jemand in den Regen.
       
       In ihrem kleinen Reisebüro angekommen, das Walukiewicz in dem Ort im
       Nordosten Polens betreibt, vibriert das Handy der 45-Jährigen, noch bevor
       sie sich setzen kann. Ein Kunde erklärt ihr am Telefon, dass er Probleme
       mit einer Zahlung für seinen Urlaub habe. Ein Zahlendreher in der
       Bankverbindung, klärt Walukiewicz auf. Die Reise des Kunden ins Sanatorium
       ist gerettet: Walukiewich verkauft Wellness-Urlaube und Tagestrips ins
       Umland und nach Litauen.
       
       Doch wer traut sich überhaupt noch ins polnisch-litauische Grenzgebiet? Die
       Kleinstadt Suwałki ist Namensgeberin für die sogenannte Suwałki-Lücke. Das
       Gebiet grenzt im Westen an die russische Exklave Kaliningrad und im Osten
       an Belarus. Nur 65 Kilometer trennen das russische und das belarussische
       Gebiet hier. Seit der Invasion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 gilt
       das Gebiet als einer der für die Nato sensibelsten Orte.
       
       Der polnische Premierminister Donald Tusk warnte im September dieses Jahres
       vor einer gemeinsamen belarussisch-russischen Militärübung, in der auch die
       Einnahme des Korridors trainiert werden sollte. Damit würde Russland im
       Ernstfall die Landverbindung Polens ins Baltikum, nach Estland, Lettland
       und Litauen, kappen.
       
       Was beschäftigt die Menschen an der polnisch-litauischen Grenze, welche
       Folgen haben die politischen Spannungen zwischen Russland, Belarus und der
       Nato für die Menschen vor Ort? Ein [1][Besuch in der Suwałki-Lücke] ist
       eine Reise zum sicherheitspolitisch derzeit wohl heikelsten Nadelöhr
       Europas. Es ist der Ort, wo das westliche Verteidigungsbündnis potenziell
       am schwächsten ist.
       
       In Suwałki leben knapp 68.000 Einwohner*innen. Małgorzata Walukiewicz ist
       eine von ihnen. Sie ist in der Kleinstadt aufgewachsen und hat sie auch nie
       verlassen. Fragt man sie und viele andere Bewohner*innen, warum sie in
       Suwałki leben, hört man oft dieselben Argumente: Suwałki sei eine ruhige,
       kleine Stadt. Man ist hier schnell in der Natur, an einem der vielen Seen
       im Umland oder im Nationalpark Wigry.
       
       „Die Leute hier kennen nichts anderes, sie sind gemütlich und bleiben, auch
       wenn sie sich bewusst sind, wo sie leben“, sagt die Tourismuskauffrau. Zu
       Beginn der Vollinvasion Russlands in die Ukraine im Februar 2022 haben sich
       viele Leute Sorgen gemacht, ob sich der Krieg ausweiten werde. Doch bisher,
       sagt Walukiewicz, fühle sie sich hier sicher.
       
       Der Bürgermeister von Suwałki, Czesław Renkiewicz, sagte damals, im Sommer
       2022, man solle sich nicht fürchten, das Gebiet stehe unter dem Schutz der
       Armee und der Nato-Truppen. „Darüber zu reden, das wirkt sich negativ auf
       Investitionen aus“, hatte er im Sender Euronews gesagt. Er sorge sich um
       den Tourismus in der Region. Tatsächlich sind die Besucherzahlen seit
       Sommer 2022 laut Medienberichten rückläufig.
       
       Walukiewicz kann das nur bestätigen: Es stimme, dass weniger Menschen
       Reisen in die Region und nach Litauen buchen würden, sagt sie. Wer
       weiterhin käme: die Menschen, die zum Einkaufen aus Litauen über die Grenze
       kommen, denn für sie ist es billiger, in polnischen Złoty zu zahlen als in
       Euro.
       
       „Die Leute haben seit Beginn des Kriegs mehr Angst, hier in die Gegend zu
       reisen; das Dreieck Belarus, Litauen und Russland macht uns nicht gerade zu
       einem beliebten Ziel“, sagt Walukiewicz und rückt ihre Brille zurecht. In
       diesem Jahr sei die Nachfrage allerdings auch schon wieder leicht
       angestiegen: Sie verkaufe wieder mehr Reisen in ein Sanatorium,
       beispielsweise nach Druskininkai in der Nähe von Vilnius. Ihre Kunden, sagt
       sie, berichteten nur selten von Problemen an der Grenze, wenn sie zurück
       nach Polen reisen.
       
       Als Antwort auf verstärkte Kontrollen der Bundespolizei an der
       deutsch-polnischen Grenze beschloss Premierminister Donald Tusk, auf
       polnischer Seite, aber auch nach Litauen hin ebenfalls Grenzbeamte zu
       installieren. Eine Maßnahme, die eigentlich nur 60 Tage andauern sollte,
       doch ein Ende der Kontrollen ist nicht in Sicht. „Auch wenn es nicht zu
       Staus kommt, bin ich kein Fan der Kontrollen. Ich habe während des
       Kommunismus in Polen gelernt, wie es ist, ständig kontrolliert zu werden.
       Das brauche ich jetzt nicht mehr“, sagt Walukiewicz.
       
       Journalistische Anfragen beantwortet die Stadt mittlerweile nicht mehr. Auf
       Raten der polnischen Regierung hin bleibe alles, was im engeren oder
       weiteren Sinn mit der Stadt und ihrer sicherheitspolitischen Lage zu tun
       hat, unbeantwortet, schreibt die Stadtverwaltung per E-Mail. Doch Jacek
       Niedźwiedzki, Abgeordneter im Sejm, dem polnischen Parlament, erklärt sich
       zu einem Gespräch bereit. Der 50-Jährige stammt aus Suwałki und ist Teil
       der Bürgerplattform, der Partei von Premierminister Tusk. Er lädt in sein
       großes Büro ein, wenige Meter von Walukiewicz’ Reisebüro entfernt.
       
       Niedźwiedzki ist Teil des Verteidigungsausschusses im Sejm. Senat und Sejm
       bilden die beiden Kammern des polnischen Parlaments. Er setzt sich in einen
       seiner Schwingstühle und erzählt von Begegnungen außerhalb Suwałkis: „Viele
       sagen, wir leben am Ende Polens, sie glauben, dass hier Panzer durch die
       Gegend fahren, doch so ist es nicht.“
       
       Er schätze an seiner Heimat, dass die Leute sehr offen und gastfreundlich
       seien. „Wir wissen, wie wichtig an Orten wie diesem Zusammenhalt ist. Wir
       geben aufeinander acht.“ Niedźwiedzki war früher professioneller
       Badmintonspieler und reiste viel durch Polen und andere Länder Europas.
       Seit mehr als 20 Jahren ist er Parteimitglied und seit zwei Jahren
       Parlamentsabgeordneter. „Ältere Bürger fragen mich oft, ob wir uns auf
       einen Krieg vorbereiten müssen. Ich sage ihnen: Nein, müssen wir nicht. Der
       Staat investiert viel Geld in unser Militär, und wir sind Teil der Nato.
       Wir sind stark“, sagt er, zeigt auf seinen Bizeps und lacht.
       
       Kein anderes [2][Nato-Mitglied gibt proportional zu seiner
       Wirtschaftsleistung gesehen so viel Geld aus wie Polen]. Das Land stellt
       2025 rund 4,48 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Investitionen im
       Verteidigungssektor zur Verfügung. Deshalb, sagt Niedźwiedzki, sei Polen
       auch einer der größten Unterstützer der Ukraine. Das schafft Polen auch,
       weil es der Wirtschaft im Land gut geht. Das Land gehört zu den
       EU-Mitgliedern mit dem höchsten Wirtschaftswachstum.
       
       Im November 2022 kamen zwei Menschen im polnischen Dorf Przewodów beim
       Absturz einer ukrainischen Luftabwehrrakete ums Leben. Zu diesem Zeitpunkt
       griffen russische Streitkräfte die Energieinfrastruktur im Westen der
       Ukraine an. In Gesprächen mit Bürger*innen in Suwałki wird der Unfall oft
       als Beispiel dafür genannt, dass die polnischen Gebiete an der ukrainischen
       Grenze unsicherer seien als ihre eigene Region. Das liege auch daran, dass
       man sich in Suwałki nicht allein gelassen fühle: Gemeinsame Militärübungen
       mit Litauen zeigten der Bevölkerung, dass man sich vorbereite, glaubt
       Niedźwiedzki.
       
       In der Region Podlachien, zu der Suwałki gehört, lebt der Großteil der
       litauischen Minderheit in Polen. Laut litauischem Konsulat sind es mehr als
       8.000 Personen. In den Supermärkten rund um Suwałki gibt es litauische
       Produkte, mehrere litauische Firmen haben ihren Sitz in der Region,
       außerdem gibt es fünf litauische Schulen. „Wir wissen, dass wir für unsere
       Sicherheit zusammenarbeiten müssen, aber auch für unsere Wirtschaft. Wir
       wissen, dass wir zusammenhalten müssen, weil wir einen gemeinsamen Feind
       haben“, sagt Niedźwiedzki.
       
       Die Region Podlachien ist eine von 14 Sonderwirtschaftszonen in Polen. Bis
       zu 70 Prozent des investierten Kapitals sind dort von der Einkommensteuer
       befreit. „Für uns in der Region war es daher ein wichtiges Zeichen, dass es
       nun eine Autobahnverbindung zwischen Polen und Litauen gibt.“
       
       Das Stück Autobahn, das der Abgeordnete meint, ist Teil der Via Baltica,
       einer Fernstraße, die Warschau mit dem 970 Kilometer entfernten estnischen
       Tallinn verbinden soll. Zwar kann man bereits jetzt mit dem Auto bis nach
       Estland reisen, doch soll die komplette Strecke zu einer Autobahn ausgebaut
       werden. Der neueste, 310 Kilometer lange Abschnitt wurde vor zwei Wochen
       von dem polnischen und dem litauischen Präsidenten eröffnet.
       
       Beide betonten nicht nur, wie wichtig der Ausbau für Tourismus und
       Wirtschaft in der Region sei, sondern auch, welche militärische Bedeutung
       die Strecke habe. Im Kriegsfall würden Truppen und Material über die Via
       Baltica ins Baltikum transportiert.
       
       Der neue Abschnitt verläuft unter anderem von Suwałki ins litauische
       Marijampolė. Die Fahrt dauert eine knappe Stunde; die Leitplanken blitzen
       silbern, keine Delle ist zu sehen. Erdhaufen an den Rändern der Straße
       zeigen, dass die Bauarbeiten nur wenige Monate zurückliegen. Erste Bäume
       und Büsche rahmen die Fernstraße ein. Etwa 187 Millionen Euro kostete es,
       die Straße von der polnischen Grenze bis nach Marijampolė zu modernisieren,
       inklusive neuer Brücken, Lärmschutzwände, Kreisverkehre und Raststätten.
       
       Marijampolė ist eine kleine Stadt im Südwesten Litauens mit rund 48.000
       Einwohner*innen. Die Stadt ist bekannt für ihre bunten Häuserfassaden.
       Blickt man in die Hinterhöfe der kleinen Einkaufsstraße, findet man Bilder
       von Katzenaugen, Kindern und Friedenstauben an den Wänden.
       
       Damit es auch weiterhin friedlich in der Region bleibt, ist die litauische
       Regierung auf den Rückhalt durch die Nato-Partner angewiesen. Bis Ende 2027
       soll 100 Kilometer von Marijampolė entfernt in Rukla eine Panzerbrigade der
       Bundeswehr stationiert sein. Litauen will trotzdem zeigen, dass es ein
       starker Partner in der Nato ist, und investiert mittlerweile 4 Prozent des
       Bruttoinlandsprodukts in seine Verteidigung. Das kleine Land besitzt selbst
       keine Kampfpanzer und Kampfflugzeuge. Die Nato-Ostflanke wird daher seit
       dem Beitritt der drei baltischen Länder 2004 von der
       Nato-Air-Policing-Mission überwacht.
       
       In den vergangenen Wochen hat man in Litauen besonders genau in den Himmel
       geschaut. Belarussische Schmugglerballons flogen vermehrt über die Grenze.
       Die Schmuggler nutzen Wetterballons, um mehr als 1.000 Packungen illegaler
       Zigaretten pro Ballon über die Grenze zu schaffen. In der letzten
       Oktoberwoche musste der Flugverkehr am Flughafen in Vilnius viermal
       unterbrochen werden. Sorgen sich die Menschen in Marijampolė angesichts
       dieser latenten Bedrohungssituation?
       
       Milda Valavičkaitė will gerade ihren schwarzen Schal umlegen und in die
       Mittagspause gehen. Die 26-Jähirge arbeitet im Tourismuszentrum der Stadt,
       ein bunter Ort, an dem man Karten, T-Shirts oder Tassen aus Marijampolė
       kaufen kann.
       
       Valavičkaitė wundert sich über die Aufregung in den litauischen Medien.
       „Wir haben seit zwei Jahren ein Problem mit diesen Ballons. Dass es
       passiert, ist nicht neu. Beunruhigender ist vielmehr, dass wir es nicht
       verhindern“, sagt sie und streicht sich die dunklen Locken aus dem Gesicht.
       
       Die ersten Wetterballons sichteten sowohl Litauen als auch Polen bereits
       2023. Im vergangenen Jahr flogen mehr als 250 Ballons aus Belarus nach
       Litauen. Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass die Zahl in diesem Jahr
       fast doppelt so hoch sein könnte. Von Litauen aus werden die Zigaretten
       direkt verkauft oder weiter nach Westeuropa transportiert.
       Premierministerin Inga Reginienė schloss die letzten beiden Grenzübergänge
       Litauens nach Belarus Ende Oktober als Reaktion auf die Ballons und drohte
       damit, weitere Ballons abzuschießen.
       
       Da der Zugverkehr seit Beginn der Covid-Pandemie 2020 geschlossen ist und
       seit März 2024 nur zwei Grenzübergänge geöffnet waren, gab es kaum eine
       Möglichkeit, über den Landweg Waren aus Belarus in die EU zu schmuggeln.
       Die EU sanktionierte bereits die größte Zigarettenfabrik in Belarus, doch
       der illegale Handel mit den Wetterballons geht weiter.
       
       „Für uns in Litauen sind Aggressionen aus Russland oder Belarus fast schon
       Alltag. Das Mindset ist hier einfach ein anderes. Es ist schlimm, dass wir
       uns daran gewöhnt haben, aber was sollen wir sonst machen?“ Valavičkaitė
       ist in Marijampolė geboren und hat hier studiert. Nicht alle seien
       entspannt geblieben nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine: „Meine
       älteren Verwandten haben sich, als der Angriffskrieg begann, vorbereitet,
       Wasser und Lebensmittel gekauft, saßen auf gepackten Koffern und haben
       gewartet. Vielleicht bin ich naiv, aber ich glaube, dass es wenig bringt,
       sich vorzubereiten. Litauen ist klein. Es kann sein, dass ich morgens noch
       zur Arbeit gehe und am Nachmittag Truppen vor meinem Fenster stehen.“
       
       Ganz so dramatisch sei die Lage aber noch nicht, sagt Sicherheitsexperte
       Linas Kojala am Telefon. Er ist Direktor des Zentrums für Geopolitik und
       Sicherheit in Vilnius und beschäftigt sich mit Litauen und seiner Rolle in
       der EU und der Nato.
       
       ## Die Verteidigung an der Ostflanke
       
       „Eine direkte Invasion aus Belarus ist nicht das wahrscheinlichste Szenario
       in der Nato. Die Verteidigung an der Ostflanke funktioniert, und das wissen
       Russland und sein Marionettenstaat Belarus. Solange die Ukraine sich noch
       verteidigen kann, wird es wohl keine Invasion im Baltikum oder in Polen
       geben. Doch das Bild könnte sich ändern, wenn ein Friedensabkommen mit
       Russland die Ukraine schwächen sollte. Es ist daher wichtig, dass
       Nato-Mitglieder die Ukraine weiterhin unterstützen und gemeinsam
       kooperieren.“
       
       Ein Appell, der besonders auch an die europäischen Verbündeten geht, seit
       ein erratischer US-Präsident Donald Trump die Unterstützung für die Ukraine
       des Öfteren in Zweifel gezogen hat. Kojala sagt, er hofft, dass es künftig
       noch stärkere wirtschaftliche und sicherheitspolitische Verbindungen zu
       Polen geben wird. Litauen und Polen seien seit Langem enge Partner in
       Strategie und Wirtschaft, verbunden durch eine gemeinsame Geschichte und
       ganz konkret durch Pipelines, Stromnetze und Handel. „Polen ist das
       führende Land in der Region“, sagt Kojala. Polens Haltung präge die
       Prioritäten des Baltikums.
       
       Die Zusammenarbeit habe sich seit früheren Streitigkeiten über Sprache und
       Minderheiten deutlich verbessert. In der Vergangenheit, von 1569 bis 1795,
       waren beide Länder einmal eins: Polen-Litauen hieß diese Union. Bis heute
       leben in beiden Ländern Minderheiten der anderen Nation. Noch vor knapp
       zehn Jahren gab es große Diskussionen über die Rechte der polnischen
       Minderheit in Litauen: etwa über eine Schulreform, die die litauische
       Sprache an polnischen Schulen stärken sollte. Bis heute wird besonders die
       polnische Annexion der Haupstadt Vilnius 1920 von litauischen Nationalisten
       instrumentalisiert.
       
       Kojala glaubt, dass es gut wäre, die real existierenden Bande in der
       Gegenwart zu stärken. Er begrüßt Gespräche in Polen über mögliche
       Truppenverlegungen nach Litauen. Schritte in diese Richtung wären ein
       wichtiges Signal an Russland, betont er.
       
       Im Kulturzentrum der Stadt, einem beigegrauen Würfel in der Innenstadt von
       Marijampolė, findet ein Filmfestival für junge Regisseurinnen aus Osteuropa
       statt. Mehr als 200 Schülerinnen rutschen auf ihren roten Sitzen im
       Kinosaal hin und her, flüstern miteinander oder zeigen sich Tiktoks auf
       ihren Handys. Zehn Kurzfilme von polnischen und litauischen Künstler*innen
       stehen zur Auswahl für den Publikumspreis. Auf kleinen Zetteln dürfen die
       Besucher*innen für ihren Favoriten abstimmen. Die Themen der Filme sind
       vielfältig, es geht um Drachen, die in einem Animationsfilm durch eine
       Fantasiewelt reisen, genauso wie um Bedeutung von neuen Technologien, die
       eine junge Frau arbeitslos zurücklässt.
       
       Die litauische Theaterwissenschaftlerin Rasa Rimickaitė, die mittlerweile
       in Warschau lebt, ist Teil der dreiköpfigen Jury, die den Hauptpreis
       vergibt. „Orte wie dieser geben uns die Möglichkeit, in den so wichtigen
       polnisch-litauischen Austausch zu kommen“, sagt sie zu Beginn der
       Veranstaltung. Rimickaitė spricht fließend Englisch, Polnisch und
       Litauisch. Doch sie betont, dass es aus Litauen heraus Bemühungen geben
       müsse, Bücher und Filme aus dem Litauischen zu übersetzen. „Um uns, unsere
       Identität und Kultur zu verstehen, um unsere Sicht auf historische
       Ereignisse in der Geschichte mit Polen zu teilen, braucht es das.“
       
       Sie versteht aber auch, wenn besonders jüngere Leute an der Grenze sich
       nicht damit auseinandersetzen wollten: „Solange man sich nicht einschränken
       muss, es noch genug Milch und Brot in den Läden gibt, werden die Leute ihr
       Leben genauso weiterleben.“
       
       An diesem Tag gehen alle Preise an Filmemacherinnen aus Polen. Doch
       Rimickaitė sagt, daran sehe man doch sehr schön: Die gemeinsame Kunst
       verbinde.
       
       12 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
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