# taz.de -- Sollte Alkohol höher besteuert werden?: Prost und Contrabier
> Alkohol steht zu oft im Mittelpunkt, sagt Drogenbeauftragter Hendrik
> Streeck. Wären hohe Preise wie in Skandinavien die Lösung? Ein Pro &
> Contra.
(IMG) Bild: Auch in Schweden wird noch getrunken, hier 2018 in Fröslunda
## Pro
Deutsche trinken im Durchschnitt [1][pro Jahr etwa 88 Liter Bier, 19 Liter
Wein, mehr als drei Liter Sekt und rund 5,1 Liter Spirituosen.] Obwohl der
[2][Konsum rückläufig] ist, wird hier mehr gesoffen als in vielen anderen
EU-Ländern.
Klar, für die vielen Unternehmen, die vom Bier und vom Wein leben, wäre es
doof, wenn Steuererhöhungen ihre Absätze und Umsätze schmälern würden. Doch
reicht das als Grund, es nicht doch zu erwägen? Auch bei all den
Gastwirten, die bei der Idee aufschreien, weil sie fürchten, ihren Laden
dichtmachen zu müssen, kann man sich fragen: Wieso setzen sie nicht auf
alkoholfreie Alternativen oder innovative Barkonzepte?
Denn auf der anderen Seite stehen Verkehrstote, Suchtkranke und diejenigen,
die durch die Folgen des Konsums des Nervengifts Alkohol krank werden, das
Gesundheitssystem belasten.
Immer wieder kritisieren Experten den Alkoholkonsum in Deutschland,
[3][zuletzt Drogenbeauftragter Hendrik Streeck (CDU)]. Als „stärksten
Hebel“ zur Reduzierung des Konsums bezeichnete er den Preis. „Eine
Steuererhöhung von 10 Cent pro Bier könnte laut der Deutschen Hauptstelle
Sucht jährlich 850 Leben retten und 1,4 Milliarden Euro einbringen“, wurde
im April berichtet. Wie viel wohl in Bildung und Infrastruktur modernisiert
werden könnte, mit diesen 1,4 Milliarden Euro?
Oder man schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klatsche und steckt das
Geld, das durch eine Steuererhöhung eingenommen würde, in die Förderung von
Freizeitangeboten, welche die Gesundheit fördern, statt sie zu
korrumpieren. Immerhin will die Lücke, die eine Verteuerung des Saufens in
die Wochenendplanung vieler Menschen reißen würde, gefüllt werden.
Immer wieder schlagen Kritiker der Steuererhöhung „mehr Aufklärung“ als
Alternative vor. Doch im Land der Dichten und Denker, in dem das Anstoßen
bei allem, was es irgendwie zu feiern gibt, so tief verwurzelt ist, kommt
Aufklärung allein nicht an diese Wurzeln heran.
Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen kostet Alkohol das
Gesundheitssystem 57 Milliarden Euro, für Arztrechnungen,
Krankenhausaufenthalte und Medikamente. Wäre es nicht besser für alle, wenn
durch weniger Saufen mehr Geld – und Zeit – für nicht eigenverschuldete
Gesundheitsprobleme übrig wäre?
Die Deutschen müssten sich das Leben weniger schön trinken, wenn es schöner
wäre. Wenn Gesundheit weniger kosten würde. Wenn der Vater nach dem
Dorffest nicht besoffen gegen den Baum gefahren oder auf dem Fahrrad von
einem betrunkenen Fahrer erfasst worden wäre. Eine Steuererhöhung allein
löst die Probleme natürlich nicht. Und doch wäre sie ein Schritt in
Richtung bessere Gesellschaft.
Während es hier eine Branntweinsteuer von knapp über 13 Euro pro Liter
Reinalkohol gibt, besteuert Schweden Spirituosen mit 60 Euro pro Liter
Reinalkohol. In Großbritannien fallen dafür umgerechnet 33 Euro Steuer an.
Es ist also möglich, mehr für Alkohol zu berechnen.
Und wer in einer Erhöhung der Alkoholsteuer eine Einschränkung der Freiheit
sieht, übersieht, wie tief verwurzelt die Saufkultur in Deutschland ist, wo
das Trinken so selbstverständlich ist, dass man immer noch oft komisch
beäugt wird, wenn man auf dem Geburtstag, Betriebsfest oder Weihnachtsmarkt
nicht trinkt; dass das vorherrschende „Normal“ Druck macht und die Freiheit
beschränkt. Klaudia Lagozinski
## Contra
Es gibt ein massives Alkoholproblem in Deutschland, darüber müssen wir
nicht streiten. Viel zu viele Menschen trinken viel zu viel. Viel zu viele
werden davon krank oder saufen sich zu Tode. Da liegt es nahe, den
gefährlichen Stoff einfach teurer zu machen, wie es der Drogenbeauftragte
Hendrik Streeck (CDU) jetzt angeregt hat, der den Preis als „stärksten
Hebel“ empfiehlt, „um den Konsum zu reduzieren“. Klingt schlüssig. Aber wie
so viele scheinbar einfache Lösungen hat auch diese einen Haken: Es wäre
hochgradig unsozial.
Aus einer Verteuerung von Bier, Wein und Schnaps könnten sich neue Gefahren
ergeben – für die Gesellschaft und für die Gesundheit. Ein paar Cent mehr
Steuern auf Alkohol, die jeder zahlen könnte, würden ja nicht reichen. Um
das Konsumverhalten wirklich deutlich zu verändern, müsste der Preis
deutlich angehoben werden. Das würde die Reichen kaum stören, aber die
Mittelschicht durchaus und [4][die Armen] umso mehr. Nun könnte man sagen:
Ist doch gut, dann saufen die eben weniger, umso besser! Das wäre jedoch
extrem hochnäsig und paternalistisch.
Außerdem würde es den Umstand unterschlagen, dass längst nicht alle
AlkoholkonsumentInnen sofort krank und süchtig werden, also am besten jeder
Schluck verhindert werden muss und dafür jedes Mittel recht ist. Alkohol
ist sicher nicht gesund, aber kein Heroin oder Crack. Selbst der frühere,
eindeutig gesundheitsbewusste und salzfrei lebende Gesundheitsminister Karl
Lauterbach (SPD) [5][hielt ein Glas Wein am Tag für unbedenklich]. Darüber
konnte dann gestritten werden.
Auf jeden Fall schaffen es viele Millionen Menschen in Deutschland,
gemäßigt Alkohol zu trinken, ohne davon krank zu werden. Und das kann, ja
das muss man auch armen Menschen zutrauen. Eine Preisverteuerung würde sie
krass benachteiligen und im wahrsten Sinn des Wortes bevormunden, während
der Schampus im Golfklub weiter fließt.
Wer genug Geld hat, könnte sein Feierabendbier auch dann genießen, wenn es
10 Euro kostet. Wer von der Grundsicherung oder kargen Löhnen leben muss,
aber nicht. Wollen wir wirklich, dass Arbeitslose nie mehr in eine Kneipe
nebenan gehen können? Diese Ungerechtigkeit mag CDU-Politiker nicht stören,
würde aber zu berechtigtem Unmut führen und wäre der sicherste Hebel, um
neue gesellschaftliche Spannungen zu erzeugen. Wie bei einer rigorosen
Verteuerung von Fleisch und Fliegen [6][und Heizen] ohne sozialen Ausgleich
für die Ärmeren. Welche Partei am meisten von drastisch erhöhten
Bierpreisen profitieren könnte, kann man sich denken.
Wer selbst das in Kauf zu nehmen bereit ist, sollte bedenken: Auch noch so
hohe [7][Alkoholpreise] würden das seit Menschengedenken vorhandene
Rauschbedürfnis nicht ausrotten. Zu befürchten wäre, dass viele
suchtgefährdete Menschen auf irgendeinen heimlich importierten Billigfusel
oder illegal gebrannten Schnaps ausweichen würden, die noch gefährlicher
wären.
Sinnvoller als eine höhere Alkoholsteuer wären deshalb Maßnahmen, die
niemanden finanziell benachteiligen: Vielleicht ein höheres Einstiegsalter
und ein Verbot des „begleiteten Trinkens“ in Gaststätten, wie es Streeck
vorschlägt: dass Jugendliche dort also auch in Begleitung ihrer Eltern
keinen Alkohol trinken dürfen. Oder ein Verbot von Alkoholwerbung. Auf
jeden Fall mehr Zuwendung, medizinische und psychologische Hilfe für
Alkoholkranke. Aber bitte keine unsoziale Preissteigerung. Lukas Wallraff
7 Nov 2025
## LINKS
(DIR) [1] https://de.statista.com/themen/22/alkohol/
(DIR) [2] /Deutsche-trinken-weniger-Alkohol/!6117283
(DIR) [3] https://www.deutschlandfunk.de/drogenbeauftragter-streeck-warnt-vor-sorglosem-umgang-mit-alkohol-100.html
(DIR) [4] /Sachbuch-uebers-deutsche-Justizsystem/!5839438
(DIR) [5] https://www.stern.de/gesellschaft/gesundheitsminister-karl-lauterbach-verharmlost-alkoholkonsum--meinung-33046964.html
(DIR) [6] /Millionen-leiden-unter-Energiearmut/!6115952
(DIR) [7] /Alkoholpreise-in-Deutschland/!6044620
## AUTOREN
(DIR) Klaudia Lagozinski
(DIR) Lukas Wallraff
## TAGS
(DIR) Alkohol
(DIR) Steuern
(DIR) Skandinavien
(DIR) Reden wir darüber
(DIR) Social-Auswahl
(DIR) Kolumne Stadtgespräch
(DIR) Ernährung
(DIR) Alkohol
(DIR) Drogenkonsum
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Alkoholverkauf in Warschau: Polnische Prohibition
In vielen Orten Polens darf nachts kein Alkohol mehr verkauft werden. Jetzt
zieht auch Warschau nach - vorerst nur in zwei Stadtvierteln.
(DIR) Alkoholpreise in Deutschland: Das Geschäft mit dem Tod
Vollsuff zum Schnäppchenpreis, Zigaretten an jeder Tankstelle: Ungesund zu
leben ist in Deutschland einfach. Eine Reform ist dringend notwendig.
(DIR) Saufen ist teuer: Kein Wein ist auch keine Lösung
Alkoholmissbrauch verursacht hohe finanzielle Kosten. Eine Gesellschaft,
die das ändern will, muss mit der Aufklärung bei den Jüngsten beginnen.
(DIR) Veröffentlichung des UN-Drogenberichts: Kiffen wird beliebter
Seit 2013 ist der Cannabiskonsum in Deutschland um 50 Prozent gestiegen.
Auch durchs Kiffen verursachte Krankenhausaufnahmen haben zugenommen.