# taz.de -- Tierpfleger über seine Arbeit: „An jedem Pfau hängt mein Herzblut“
> Mirko Wunderlich kümmert sich seit 14 Jahren um die namensgebenden Tiere
> auf der Berliner Pfaueninsel. Er kennt auch alle Pfauen persönlich.
(IMG) Bild: Tierpfleger Mirko Wunderlich auf der Pfaueninsel
taz: Herr Wunderlich, Sie haben den Ruf, ein Pfauen-Versteher zu sein. Was
ist Ihr Geheimnis?
Mirko Wunderlich: Ich schätze mal, das liegt an meiner Ausstrahlung. Die
Tiere spüren das (lacht).
taz: Haben Sie die einfach so?
Wunderlich: Ich bin auf einem Bauernhof groß geworden. Landwirtschaft,
Natur und Tiere waren immer ein fester Bestandteil in meinem Leben. Ich
habe da viel gelernt. Man könnte es auch Respekt und Einfühlungsvermögen
nennen. Bei historischen Arten wie den Pfauen ist allerdings besondere
Sensibilität gefragt.
taz: Warum?
Wunderlich: Diese Tiere sagen nicht, „ich bin krank“. Sie vertuschen das so
weit wie möglich. Denn wenn sie es zeigen würden, würde es auch der Fuchs
spüren. Deswegen hat die Natur es so eingerichtet, dass sie versuchen, das
zu überspielen. Du merkst es nur an Blicken oder Gesten.
taz: Zum Beispiel?
Wunderlich: Dass sie das Gefieder besonders aufplustern oder mit dem Kopf
zu sehr zucken. Daran erkennt man, ob sie Hilfe brauchen.
taz: Die Pfaueninsel ist [1][ein 67 Hektar großes Naturparadies in der
Berliner Havel], das von der Stiftung preußische Schlösser und Gärten
verwaltet wird. In einem Team von drei Leuten, die für die Tiere
verantwortlich sind, sind Sie der Chef.
Wunderlich: Ich bin hier der leitende Tierkümmerer. Wir haben ja nicht nur
Pfaue, sondern auch Fasane, Hühner, Pferde, Schafe und vier Wasserbüffel.
[2][Letztere verbringen aber nur ein Teil des Jahres auf der Insel].
taz: Die meisten Besucher kommen wegen der Pfaue. Wie viele gibt es auf der
Insel?
Wunderlich: Aktuell haben wir über 70 frei lebende Pfaue. In der Mehrzahl
sind das Blaupfaue, aber wir haben auch neun weiße Pfaue. Das ist eine
besondere Züchtung, wohlgemerkt keine Albinos.
taz: Kennen Sie jedes Tier?
Wunderlich: Natürlich! Wir haben sie von klein auf hochgepäppelt und in die
Selbstständigkeit geführt. Jedes Tier hat seine Eigenheiten und Macken. Ob
das bei dem weißen Pfau eine schwarze Feder im Brustbereich ist, beim
Blaupfau eine krumme Kralle, oder ob er sofort vertraut ankommt. Wir sorgen
dafür, dass sie im Leben klarkommen, wie jedes Elternteil bei seinen Jungen
auch. Deswegen hängt an jedem einzelnen Pfau mein Herzblut.
taz: Sie sind seit 14 Jahren auf der Insel tätig. Die Stelle war vermutlich
heiß begehrt.
Wunderlich: Es gab viele Bewerbungen. Von dem Zeitpunkt, wo ich mich
beworben habe, bis zu dem Anruf der Stiftung – „Wir würden Sie gerne näher
kennenlernen“ – sind anderthalb Jahre vergangen. Ich saß da an meinem
Schreibtisch und dachte „Juhu!“
taz: Schreibtisch? Wir hätten Sie eher im Stall verortet.
Wunderlich: Da war ich davor zur Genüge. Ich bin in der DDR groß geworden,
meine Eltern hatten eine kleine Nebenerwerbslandwirtschaft von 22 Hektar in
Genshagen in Brandenburg. Von klein auf habe ich mitgearbeitet. Auch nach
Feierabend, als ich meine landwirtschaftliche Lehre in dem Volkseigenen
Betrieb Gut Großbeeren gemacht habe. Nach der Wende habe ich mich in
Genshagen als Meister der Landwirtschaft selbstständig gemacht.
taz: Da waren Sie 22.
Wunderlich: Mit 380 Hektar Landwirtschaft, einer Reithalle und 85
Pensionspferden. Nach dem Tod meiner Frau habe ich dann ein sehr lukratives
Kaufangebot bekommen und mich entschlossen, in eine ganz andere Richtung zu
gehen.
taz: Sie sind zum Schreibtischtäter geworden?
Wunderlich: Könnte man so sagen. Beim Kundendienst von Audi in Potsdam habe
ich mein technisches Wissen eingebracht. Als telefonischer Berater, bevor
der Pannenwagen losgeschickt wird. Das sind Kunden, die den Tankdeckel
nicht mehr öffnen konnten, oder den Kofferraum. Oder der Schlüssel liegt im
Innenbereich. Wie man dort rankommt? Ob es eine Notöffnung gibt?
taz: Auch da war Ihr Einfühlungsvermögen gefragt.
Wunderlich: Stimmt. Nicht immer rufen Kunden an, die ruhig und gefasst
sind. Danach bin ich intern versetzt worden zur Kundenbetreuung für
Problemfälle. Der Job hat Spaß gemacht, aber die Aussicht, immer in der
Natur zu sein und vor allen Dingen bei den Tieren, hat mich dann doch mehr
gereizt.
taz: Gewähren Sie uns doch bitte mal einen kleinen Einblick in Ihre Welt
der Pfaue.
Wunderlich: Der größte Teil unserer Pfaue läuft auf der Insel frei herum.
Auch nachts und im Winter. Die Hähne haben in der Balz feste Reviere, die
sie in dieser Zeit gegen andere Männer verteidigen. Sie haben ein
grünblaues Federkleid und eine Schleppe, die sie zu einem Rad aufrichten
können. Das ist prachtvoll anzusehen, wenn die Sonne die Farben zum
Schimmern bringt und die einzelnen „Pfauenaugen“ vibrieren.
taz: Was ist der Sinn des Rades?
Wunderlich: Die Hähne posieren, weil sie sich fortpflanzen wollen. Das ist
nicht anders als bei den Menschen. Nach der Paarungszeit wird die
Federschleppe abgeworfen.
taz: Und was machen die Hennen derweil?
Wunderlich: Die marschieren im Trupp über die Insel und suchen sich den
besten Hahn aus. Wenn sie merken, jetzt wird es Zeit, Eier zu legen, bauen
sie sich irgendwo im Dickicht ein Nest.
taz: Pfaue sind Bodenbrüter.
Wunderlich: Deshalb ist die Aufzucht von Küken auf der Pfaueninsel in
freier Natur auch so schwierig. Die Henne sitzt 28 Tage auf dem Gelege, sie
brütet die Eier alleine aus. Sie hat ein braunes Federkleid, um nicht im
Unterholz erkannt zu werden, aber der Waschbär schafft es regelmäßig, die
Eier zu fressen. Schlimmstenfalls reißt er dazu auch die Henne. Aber selbst
wenn alles gut gegangen ist: Spätestens, wenn die Henne mit den Küken
läuft, kriegt es der Fuchs mit und holt sich die Kleinen.
taz: Heißt das, von Ihren freilebenden Pfauen kommt kein einziger
Nachkömmling durch?
Wunderlich: Aktuell ist das leider so. Deshalb müssen wir die Lücke durch
künstliche Aufzucht schließen.
taz: Wie machen Sie das?
Wunderlich: In unserer Aufzuchtstation haben wir dafür Zuchttiere. Die Eier
dieser Hennen brüten wir in einem Inkubator künstlich aus. Nach einem Tag
in der Wärmestube kommen die Küken in einen beheizten Käfig, wo sie laufen
und scharren können, man sie aber noch unter Beobachtung hat. Danach geht
es in den kleinen Kindergarten und dann in den großen Kindergarten in der
historischen Voliere.
taz: Die historische Voliere wurde 1824 auf Anordnung des damaligen
preußischen [3][König Friedrich Wilhelm III]. angelegt.
Wunderlich: Sie war Teil einer Menagerie. Schon unter König Friedrich
Wilhelm II wurden die Pfaue 1795 auf die Insel geholt und haben ihr den
heutigen Namen gegeben. Sie stammen ursprünglich aus Südasien, insbesondere
aus Indien. Aber wir waren gerade beim Kindergarten …
taz: … genau. Was passiert danach?
Wunderlich: Spätestens Ende November werden die Junghähne auf der Insel
freigelassen. Die Hennen überwintern noch in der Voliere.
taz: Wenn Sie den Käfig öffnen – ist das ein emotionaler Moment?
Wunderlich: Das ist ein freudiger Tag. Wir machen die Freilassung in einer
Schönwetterperiode. An der historischen Voliere halten sich dann viele
erfahrene Althähne auf, die Jungtiere können sich ihnen anschließen. Nachts
müssen sie ja zum ersten Mal in ihrem Leben aufbaumen.
Was bedeutet das?
Wunderlich: Pfaue schlafen in Gruppen hoch oben in den Bäumen. Abends
fliegen sie nacheinander hinauf. Wenn ich in dieser Zeit morgens zur
Voliere komme, habe ich immer ein bisschen Angst. Ob man Rissstellen sieht
vom Fuchs. Vielleicht war unter den Jungtieren ein Träumer dabei, einer,
der den Anschluss nicht geschafft hat. Und das sehen wir dann an
herumliegenden Federn und Knochenresten. Das ist sehr schmerzhaft.
taz: Sie lieben Ihre Tiere sehr, oder?
Wunderlich: Schon ganz schön, ja. Auch wenn man das nicht vergleichen kann:
Es ist wie ein Kind, das man verloren hat. Allein in diesem Jahr sind 23
erwachsene Pfaue gerissen worden. So viel wie noch nie.
Kriegen Sie da nicht einen Hals auf die Füchse?
Wunderlich: Ja, aber sobald ich in den Spiegel gucke, fällt mir ein, auch
der Fuchs hat Welpen und die müssen auch versorgt werden. Das hilft einem,
es positiver zu sehen.
taz: Wie kommen die Beutegreifer auf die Insel?
Wunderlich: Die Füchse laufen im Winter vom Festland über das Eis. An der
Südseite, wo keine Berufsschifffahrt die Insel flankiert und die Havel nur
wenige 100 Meter breit ist, gefriert das Wasser relativ schnell. Die
Waschbären schwimmen sogar zur Insel.
taz: Fallen aufzustellen ist keine Option?
Wunderlich: Nein. Wir können weder den Fuchs- noch den Waschbärbestand
reduzieren, denn wir sind Stadt Berlin. Nur die Stadtjäger dürften das in
Ausnahmefällen. Aber das Wichtigste ist, wir sind Naturschutzgebiet. Von
der Stiftung her haben wir es uns auf die Fahnen geschrieben: Solange das
Raubwild nicht in die Volieren eindringt, lassen wir der Natur ihren freien
Lauf.
taz: Wohnen Sie selbst auf der Insel?
Wunderlich: Nein. Als ich hier angefangen habe, wurde mir das angeboten. Es
gibt hier ja neun Wohneinheiten für Angestellte und ehemalige Mitarbeiter
der Stiftung.
taz: Warum haben Sie das ausgeschlagen?
Wunderlich: Egal welchen Besuch ich bekomme und wie lange der bleibt – der
Fährmann weiß alles (lacht).
taz: Man hat keine Privatsphäre?
Wunderlich: Genau. Außerdem bin ich ein Mensch, der dann immer bei den
Tieren wäre. Auch nachts, wenn ein Tier erkrankt ist. Ich wohne nur 15
Minuten weg in Potsdam. Aber sobald ich von der Fähre runter bin, habe ich
Feierabend. Es sei denn, irgendwelche Anrufe von besorgten Besuchern
kommen: Da liegt ein Tier irgendwo, das quält sich. Und dann kommst du hin
und es ist ein Pfau, der sich nur in der Sonne räkelt, oder ein Schaf, das
einfach schläft.
taz: Wenn Sie merken, ein Pfau ist wirklich krank – was tun Sie da?
Wunderlich: Vieles versuche ich auf natürlicher Ebene auszukurieren. In den
letzten vier Jahren haben wir kein Antibiotikum mehr benötigt. Gerade bei
Wehwehchen, an denen viele Züchter scheitern und die zum Tod der Pfaue
führen, lässt sich mit Kräuterbehandlungen viel machen. Auch durch eine
Futterumstellung ist der Gesundheitszustand unserer Pfaue viel besser
geworden. Wenn man Pfaue nur Torte im übertragenen Sinn gibt, ist die
Gefahr von Organverfettung und damit die Anfälligkeit für Krankheiten sehr
hoch. Jetzt schaffen wir, dass sie wirklich auch alt werden.
taz: Was heißt das?
Wunderlich: Laut Google beträgt die Lebenserwartung von Pfauen 10 bis 20
Jahre in der Volierenhaltung, die meisten sterben deutlich früher an
Luxusproblemen. Unser ältestes Tier ist 19 Jahre. Der Hahn läuft frei auf
der Insel herum und ist putzmunter.
taz: Woher haben Sie das ganze Wissen?
Wunderlich: Durch Studien und auch Berichte von anderen Züchtern.
Mittlerweile bin ich derjenige, der nach Tipps gefragt wird. Selbst aus
Dubai habe ich schon Anrufe von Züchtern bekommen. Ich teile meine
Erfahrung gerne.
taz: Was auf der Pfaueninsel gehört für Sie zu den schönsten Momenten?
Wunderlich: Am Fährhaus steht eine hohe uralte Eiche. Auf der schlafen im
Winter über 20 Pfaue. Morgens schweben sie dann hinab in Richtung des
Rosengartens. Zeit zum Aufstehen, heißt das. Einer beginnt, die anderen
gleiten hinterher. Das ist ein wunderbarer Anblick.
23 Nov 2025
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(DIR) [2] /Pfaueninsel-in-Berlin-/!6086134
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