# taz.de -- 14 Jahre NSU-Prozess: Die letzte Angeklagte
       
       > Sie war Beate Zschäpes engste Freundin, half ihr im Untergrund mit
       > Tarnnamen. 14 Jahre später startet am Donnerstag der Prozess gegen Susann
       > Eminger.
       
 (IMG) Bild: André Eminger und seine Frau. Susann Eminger steht ab Donnerstag vor dem Oberlandesgericht Dresden
       
       Im kleinen Kirchberg, südlich von Zwickau, selbst ernanntes Tor zum
       Erzgebirge, schmückt Herbstlaub die Bäume, plätschert der Rödelbach durch
       die Kleinstadt. In einem kleinen Einfamilienhaus direkt daneben hängen
       weiße Gardinen in den Fenstern, auch der Eingang ist herbstlich geschmückt:
       An der Haustür hängt ein Gebinde aus Blättern, neben den Treppenstufen
       stehen Blumentöpfe mit Heidekraut. Bei einem Klingeln vergangene Woche
       öffnet André Eminger, bleibt in der Tür stehen. Nein, seine Frau werde zu
       dem Prozess gegen sie nichts sagen, erklärt der kräftige, tätowierte
       Mittvierziger in ruhigem Ton, trägt braunen Fleecepullover und schwarze
       Hausschuhe. Und auch er werde dazu nichts sagen.
       
       Aber dann holt Eminger doch aus, nimmt sich etwas Zeit. Will erzählen, dass
       er abgeschlossen hat. Mit seiner rechtsextremen Vergangenheit, mit der
       Neonaziszene, mit seinem früheren Leben. „Ich bin da raus, seit Jahren. Es
       gibt keine Kontakte mehr, nichts.“ Er habe es vor allem für seine Kinder
       getan. „Damit sie normal aufwachsen können.“ Heute gebe es nur noch seine
       Familie und seinen Job, sagt Eminger. „Es ist ein besseres Leben.“
       
       Das frühere Leben des André Eminger war: schon als Teenager in der
       Neonaziszene, im sächsischen Johanngeorgenstadt. Mit seinem Zwillingsbruder
       gründet er im Jahr 2000 eine Kameradschaft, die „Weiße Bruderschaft
       Erzgebirge“. Sie sind mitverantwortlich für eine Szenezeitschrift, „Aryan
       Law and Order“, die Anschläge auf Synagogen oder politische Gegner
       gutßheißt. Seinen Körper lässt sich Eminger rechtsextrem durchtätowieren,
       mit dem Schriftzug „Blut und Ehre“, Kampfruf der Hitlerjugend, dem Bild von
       SA-Sturmführer Horst Wessel oder dem Aufruf „Die Jew Die“ („Stirb Jude
       Stirb“). Und später dann: Wird er der engste Vertraute des untergetauchten
       Kerntrio des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), von Beate
       Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt. Die Terrorgruppe, die von 1998 bis
       2011 für zehn Morde, drei Anschläge und 15 Raubüberfälle verantwortlich
       war. Die schwerste Rechtsterrorserie der Bundesrepublik.
       
       André Eminger wurde dafür verurteilt, im Juli 2018 im Münchner NSU-Prozess,
       nach fünf Jahren Verhandlung. Er erhielt zweieinhalb Jahre Haft – die
       mildeste Strafe aller Angeklagten. Eminger hatte bis zum Schluss
       geschwiegen, den Prozess gelangweilt oder grinsend verfolgt. Er hatte den
       Untergetauchten Wohnungen verschafft, eine Krankenkassenkarte, eine
       Bahncard, er hatte für sie Wohnmobile angemietet, mit denen sie zu
       Banküberfällen oder einem Anschlag fuhren. Sein eigener Verteidiger nannte
       ihn einen „Nationalsozialisten mit Haut und Haar“. Die Bundesanwaltschaft
       sah in ihm das womöglich vierte Mitglied des NSU, forderte 12 Jahre Haft.
       Aber das Gericht hielt es nur für nachweisbar, dass er bei diesen Hilfen
       erst zum Ende von den Terrortaten wusste. Als Emingers Haftbefehl noch im
       Saal aufgehoben wurde, brachen Neonazis, die ihn den Prozess lang
       unterstützt hatten, auf der Empore in Jubel aus.
       
       Nun geht es um seine Frau, um Susann Eminger, die ab Donnerstag vor dem
       Oberlandesgericht Dresden stehen wird, in einem Hochsicherheitssaal am
       Stadtrand. Um ihre Unterstützung für die NSU-Terroristen. Und darum, ob es
       14 Jahre nach Auffliegen der Gruppe noch möglich ist, deren Helfer zu
       verurteilen. Die Frage wird wieder wie in München lauten: Wusste Susann
       Eminger bei ihren Hilfen von den Terrortaten – oder nicht? Im letzteren
       Fall wären fast alle Taten verjährt. Im ersteren Fall drohen ihr bis zu
       zehn Jahre Haft.
       
       ## Eminger, die engste Freundin von Zschäpe
       
       Die NSU-Terroristin Zschäpe selbst war es, die im NSU-Prozess – nach langem
       Schweigen – Susann Eminger als engste Freundin in der Untergrundzeit
       benannte. Laut Anklage der Bundesanwaltschaft überließ sie Zschäpe mehrfach
       ihre Krankenkassenkarte für Arzttermine, ließ sie ihre Personalien
       benutzen, etwa für Bahncards. Und Susann Eminger war es, die Zschäpe und
       Uwe Böhnhardt vor dem letzten NSU-Banküberfall in Eisenach zur Abholung des
       Wohnmobils fuhr. Bei dem Überfall am 4. November 2011 wurden Böhnhardt und
       Mundlos von der Polizei umstellt, erschossen sich in einem Wohnmobil. Dann
       zündete Zschäpe in Zwickau den letzten Unterschlupf des Trios an,
       verschickte Briefe mit den NSU-Bekennerschreiben und floh. Offenbart wurden
       nun, wer für die jahrelang unaufgeklärte Mordserie verantwortlich war – bei
       der stets nur die Angehörigen verdächtigt wurden.
       
       Susann und André Eminger führen heute in Kirchberg einen Alltag, der nach
       außen nichts mehr von diesen Ereignissen vermuten lässt. Er arbeitet als
       Kranfahrer, hatte zuvor Solaranlagen montiert. Sie ist gelernte
       Hauswirtschafterin, bekam aber direkt nach der Ausbildung das erste Kind
       und blieb dann zu Hause. Vier Kinder hat das Paar – der große Sohn, Anfang
       zwanzig, ist schon ausgezogen, die Tochter noch ein kleines Kind. Im Garten
       steht ein Baumhaus, vor Halloween wurden in der Familie Kürbisse
       geschnitzt.
       
       Aber auch Susann Eminger führte mindestens früher ein anderes Leben.
       Rumgelaufen sei sie damals im „Reenie Style“ – kurze Haare, nur lang an den
       Schläfen –, tätowiert und in Springerstiefeln, erzählte in den
       NSU-Ermittlungen ein Bekannter. 2001 soll sie mit anderen Rechtsextremen in
       einer Kneipe in Zwickau eine Schlägerei angezettelt haben, sie musste dafür
       20 gemeinnützige Arbeitsstunden ableisten. Später soll sie mit André
       Eminger an zwei Treffen der völkischen „Artgemeinschaft“ teilgenommen
       haben, die 2023 wegen ihres offenen Rassismus verboten wurde. Und dann
       wurde Susann Eminger die engste Freundin von Beate Zschäpe.
       
       André Emingers Resthaftstrafe wurde inzwischen gegen Auflagen zur Bewährung
       ausgesetzt. Auch Susann Eminger ist auf freiem Fuß. Aber die
       Sicherheitsbehörden sind sich nicht so sicher, ob nicht auch die alten
       Leben der beiden Bestand haben: Nach taz-Informationen stufen sie beide
       weiterhin als Rechtsextremisten ein. André Eminger galt lange Zeit auch als
       Gefährder, dem schwere Gewalttaten zugetraut werden, stand unter besonderer
       Beobachtung.
       
       ## Emingers, die zentralen Helfer der NSU-Gruppe
       
       Und die Angehörigen der NSU-Terroropfer halten die Emingers bis heute für
       die zentralen Helfer des Terrortrios. „Ich bin froh, dass es endlich zu
       einem Prozess gegen Susann Eminger gekommen ist“, sagt Gamze Kubaşık der
       taz. [1][Ihr Vater Mehmet, ein Kioskbetreiber, wurde im April 2006 vom NSU
       in Dortmund erschossen], gut 400 Kilometer vom Versteck in Zwickau
       entfernt. Schon im NSU-Prozess in München habe es zahlreiche Beweise auch
       gegen Susann Eminger gegeben, erinnert Kubaşık. „Warum wurden diese Beweise
       für ihre Mitverantwortung so lange ignoriert oder zurückgehalten?“
       
       Laut Zschäpe selbst lernte sie André Eminger schon 1998, kurz nach dem
       Abtauchen, in Chemnitz kennen. 2006 dann auch seine Frau Susann, als sich
       das Trio nun in Zwickau versteckte. „Sie war meine Freundin“, ließ Zschäpe
       ihren Anwalt im NSU-Prozess erklären. Mehrmals im Monat hätten sie sich
       besucht, gingen in Restaurants, zu Stadtfesten, Konzerten. Meistens aber
       ging es auf den Spielplatz, mit Emingers Kindern, erklärte Zschäpe. Wegen
       der Kleinen habe sie im Versteck immer darauf geachtet, die Waffen
       wegzuräumen. Sie seien für sie „eine Art Ersatzkinder“ gewesen. „Weil ich
       selbst keine eigenen Kinder bekommen kann.“
       
       Und Zschäpe räumte auch ein, dass sie von Susann Eminger eine
       Krankenkassenkarte und Bahncards bekam. Und auch, dass die Emingers auf
       ihrer Flucht am 4. November 2011 ihr erster Kontakt waren. Nach einem Anruf
       bei André Eminger schickte dieser eine SMS an seine Frau, die beide darauf
       wieder löschten. Dann sammelte André Eminger Zschäpe mit seinem VW Golf
       ein, fuhr sie zu sich nach Hause, gab ihr Kleidung und setzte sie am
       Bahnhof Chemnitz ab. In der Folgenacht versuchte Zschäpe erneut, das
       Ehepaar zu erreichen, diesmal erfolglos. Drei Tage irrte sie noch durch die
       Republik, dann stellte sie sich entkräftet der Polizei.
       
       Was Zschäpe aber auch behauptete: Sie habe Susann Eminger nie über die
       NSU-Terrortaten eingeweiht. Und André Eminger erst am Tag ihrer Flucht. Es
       ist diese Frage, die nun erneut im Oberlandesgericht Dresden entscheidend
       wird: Kann das wirklich sein, dass die engsten Vertrauten der
       Untergetauchten nichts vom NSU-Terror mitbekamen?
       
       Die Bundesanwaltschaft, welche die Anklage führt, glaubt das nicht. Schon
       seit dem NSU-Auffliegen hatte sie gegen Susann Eminger ermittelt, wartete
       aber zunächst den Münchner Prozess ab. Erst jetzt beginnt ihr Prozess –
       auch weil sich inzwischen Beate Zschäpe und André Eminger im bayrischen
       NSU-Untersuchungsausschuss äußerten, Zschäpe im August und Oktober 2023
       auch in BKA-Befragungen.
       
       Aber dass es zum Prozess kommt, brauchte einen juristischen Kampf. Denn das
       Oberlandesgericht Dresden hatte die Anklage zunächst nicht zugelassen, weil
       „nicht ausreichend wahrscheinlich“ sei, dass man nachweisen könne, dass
       Susann Eminger bei ihren Hilfen tatsächlich von den Terrortaten des NSU
       wusste. Bekannt gewesen seien ihr wohl nur die Banküberfälle – ihre
       Unterstützung hierfür aber sei verjährt, bis auf den letzten Überfall in
       Eisenach. Das Oberlandesgericht verwies den Fall daher an das Landgericht
       Zwickau und ließ nur Anklage wegen Beihilfe zu besonders schwerer
       räuberischen Erpressung zu. Die Bundesanwaltschaft aber legte Beschwerde
       ein – und bekam vor dem Bundesgerichtshof recht. Der entschied, dass eine
       Verurteilung von Eminger für Terrorhilfe sehr wohl „hinreichend
       wahrscheinlich“ und das Verfahren doch vor dem Oberlandesgericht zu führen
       sei.
       
       Der Fall ist ein Symptom: Dafür, wie schwer sich die Justiz mit den Helfern
       des NSU-Terrors tut. Und wie inzwischen fast alle straffrei davonkommen.
       Obwohl Sicherheitsbehörden gut 100 Personen zum Umfeld des NSU zählen.
       Obwohl NSU-Untersuchungsausschüsse von einem „breiteren
       Unterstützernetzwerk“ überzeugt waren. Obwohl auch der NSU selbst sich als
       „Netzwerk von Kameraden“ bezeichnete.
       
       Im Münchner NSU-Prozess waren es neben Beate Zschäpe, die eine lebenslange
       Haftstrafe erhielt, vier NSU-Helfer, die verurteilt wurden: der frühere
       NPD-Funktionär Ralf Wohlleben sowie die Szenefreunde Carsten S., Holger G.
       – und eben André Eminger. Sie hatten dem Trio Waffen oder Papiere
       verschafft, erhielten Strafen bis zu zehn Jahren. André Eminger reagierte
       auf seine milde Strafe nur damit, dass er fest die Hand seiner Frau Susann
       drückte, die neben ihm Platz nehmen durfte. Er schien sein Glück selbst
       kaum fassen zu können.
       
       ## Letzte Versuch, doch eine Helferin zu verurteilen
       
       Seitdem wurde niemand mehr für die NSU-Taten verurteilt. Dabei hatte die
       Bundesanwaltschaft neben Susann Eminger noch gegen acht weitere mutmaßliche
       NSU-Helfer ermittelt. Gegen Matthias D., der den Untergetauchten Wohnungen
       anmietete und Mietzahlungen über sein Konto laufen ließ. Gegen Mandy S.,
       die noch kurz vorm NSU-Abtauchen mit Zschäpe einen Aufmarsch besuchte, ihr
       danach eine Krankenkassenkarte lieh, ebenfalls einen Unterschlupf
       organisierte. Gegen Max-Florian B., der auch eine Wohnung dem Trio
       überließ, zeitweise mit diesem zusammenlebte, und seinen Namen für einen
       Reisepass von Mundlos hergab.
       
       Gegen Thomas S., der das Trio vor dem Abtauchen mit Sprengstoff versorgte,
       einen Unterschlupf vermittelte und später in der Szene erzählte, dass die
       Untergetauchten keine Spenden mehr bräuchten, weil sie „jobben“ würden.
       Gegen Jan W., zu dem Zschäpe gestand, dass er dem Trio eine Waffe lieferte.
       Gegen André K., der für das Trio Spenden organisierte. Und gegen Pierre J.
       und Hermann S., die dem Trio eine Pumpgun besorgt haben sollen – was
       Zschäpe ebenfalls einräumte.
       
       All diese Verfahren seien inzwischen eingestellt, bestätigte eine
       Sprecherin der Bundesanwaltschaft der taz. Bei einigen Beschuldigten
       erfolgte dies bereits vor Jahren. Als Letztes waren noch die Verfahren
       gegen Pierre J. und Hermann S. offen. Auch diese seien inzwischen
       eingestellt, so die Sprecherin. Weil die Hilfen nicht sicher nachgewiesen
       werden konnten oder dass die Beschuldigten wussten, dass sie damit Terror
       unterstützten. Offen ist nun nur noch ein „Strukturverfahren“, in dem die
       Bundesanwaltschaft allgemein Hinweisen auf das Trio nachgehen kann.
       
       Unter den einstigen Beschuldigten sind frühere Szenefreunde, auch Kader der
       Kameradschaft Thüringer Heimatschutz oder vom militanten Netzwerk
       Blood&Honour. Einige wollen heute die Szene verlassen haben. Pierre J. will
       bei einem taz-Anruf auf seiner Arbeit vor wenigen Tagen nicht ans Telefon
       gehen, lässt einen Arbeitskollegen sprechen. Der sagt, die Vorwürfe seien
       „nur Blabla“ gewesen, da sei nie was dran gewesen. Ein anderer
       Beschuldigter sagte dem MDR vor ein paar Jahren, [2][gefragt nach den
       Mordopfern] und offenen Fragen im NSU-Komplex: „Das ist mir egal.“
       
       Susann Eminger ist nun der letzte Versuch, doch noch eine NSU-Helferin zu
       verurteilen. Und die Bundesanwaltschaft beruft sich dabei auch auf die
       jüngsten Aussagen Zschäpes. Dabei hatte diese sich stets bemüht, ihre
       Freundin Susann zu entlasten. Als sie am Ende des NSU-Prozesses Helfer im
       Untergrund benannte, zählte sie zwar André Eminger dazu, nicht aber Susann.
       In ihren Vernehmungen mit dem BKA aber ließ Zschäpe nach taz-Informationen
       Sätze fallen, die die Ermittler aufhorchen ließen. Susann Eminger „wusste,
       weswegen wir weg sind“, soll Zschäpe dort gesagt haben. Sie habe auch
       gewusst, dass das Trio „kein normales Leben“ führte. Darüber habe es
       Gespräche gegeben. Und Eminger habe im letzten NSU-Versteck auch die
       Überwachungskameras samt Monitor gesehen. Also wusste Susann Eminger doch
       mehr? Auch von den Morden? Die Bundesanwaltschaft ist davon überzeugt. Und
       ihre Anklage betont, dass dafür bereits die intensive Freundschaft zwischen
       beiden Frauen spreche. Dazu komme ein konspiratives Kontaktverhalten.
       Susann Eminger hatte Zschäpe und die Uwes mit ihren Tarnnamen angesprochen
       – Lisel, Gerri und Max. Beide Frauen hatten über öffentliche Telefonzellen
       miteinander kommuniziert, nicht über Handys. Warum all das, wenn Eminger
       nicht von illegalen Aktivitäten wusste?
       
       Dass Eminger dabei nur von den Raubtaten wusste, sei „wenig plausibel“,
       erklärte auch der Bundesgerichtshof. Denn dann wäre nur klar gewesen, wie
       das Trio ihr Leben im Untergrund finanzierte – aber nicht, warum es dort
       jahrelang verharrte. Und auch, dass Zschäpe erst am Tag ihrer Flucht André
       Eminger von den Morden erzählt haben will, hält der BGH für abwegig: In
       einer Situation mit so großem „situativen Handlungsdruck“ sei das
       unwahrscheinlich. Das schnelle Zusammenspiel von Zschäpe und den Emingers
       bei der Flucht spreche vielmehr für Vorabsprachen. Zudem sage mindestens
       einer von beiden nicht die Wahrheit: Denn Eminger hatte behauptet, erst
       „aus dem Fernsehen“ von den NSU-Morden erfahren zu haben und darüber
       „erschrocken“ gewesen zu sein. Beides hält der BGH für gelogen.
       
       Und schon Ende 2006 hatten die Emingers das Trio vor dem Auffliegen
       bewahrt. Ein Polizist stand damals vor der Tür ihres Verstecks in Zwickau,
       es ging um einen Diebstahl im Haus. Zschäpe öffnete und gab sich als Susann
       Eminger aus. Und das auch, als sie später zu einer Anhörung auf ein
       Polizeirevier musste, in Begleitung von André Eminger. Beide spielten ein
       Ehepaar und behaupteten, im Haus nur zu Besuch gewesen zu sein. Der Beamte
       schöpfte keinen Verdacht – und das Trio konnte fünf weitere Jahre im
       Untergrund leben.
       
       Spätestens danach sei Susann Eminger über die Morde informiert worden,
       entweder durch Zschäpe oder ihren Mann, hält die Anklage fest. Dennoch habe
       Eminger das Trio weiter unterstützt. Das habe sich zum Dank auch mit einer
       Musikanlage für 285 Euro oder einer Reise ins Disneyland Paris für 916 Euro
       revanchiert. Und nach dem NSU-Auffliegen entdeckten Ermittler bei den
       Emingers eine Bilddatei mit Totenköpfen und dem Spruch: „Es ist nicht alle
       Tage, wir kommen wieder, keine Frage.“ Dieser Satz ertönt fast genauso am
       Ende des NSU-Bekennervideos.
       
       Und selbst zwei Jahre später wurde bei einer weiteren Durchsuchung im
       Wohnzimmer der Emingers eine Zeichnung entdeckt, über dem Fernseher und
       unter Bildern der eigenen Kinder: mit den Bildern von Mundlos und
       Böhnhardt, dazu eine Rune und in altdeutscher Schrift: „Unvergessen“. Als
       die Polizisten das Bild mitnehmen wollten, soll sich André Eminger „heftig“
       dagegen gewehrt haben. Für den Bundesgerichtshof wirkt das Bild, zwei Jahre
       nach Offenbarung des Terrors, „wie eine Verherrlichung“ der NSU-Mitglieder.
       
       Susann Eminger schweigt bisher zu all dem. Schon bei einer
       Polizeivernehmung kurz nach Auffliegen des NSU verweigerte sie eine Aussage
       und beklagte nur, dass bei der Hausdurchsuchung die Spezialeinheit GSG9
       angerückt war und die Presse sie belagern werde, sie habe nun
       Angstzustände. Auch im [3][NSU-Prozess] verweigerte sie die Aussage. Ihr
       Verteidiger ließ Anfragen der taz unbeantwortet.
       
       Ihr Mann André Eminger behauptet beim Besuch in Kirchberg, dass seine Frau
       mit der rechtsextremen Szene nichts zu tun habe. „Das ging alles von mir
       aus.“ Da haben allerdings nicht nur die Sicherheitsbehörden ihre Zweifel.
       In einem BKA-Papier wird Susann Eminger zumindest Anfang der 2000er Jahre
       als Teil der rechten Szene benannt. Auch ein früherer Szenebekannter
       attestierte ihr, dass sie politisch „die gleiche Richtung“ wie André
       Eminger hatte. Und auch der BGH hält es für „naheliegend“, dass sie „die
       ideologische Haltung ihres Ehemanns und der NSU-Mitglieder teilte“.
       
       André Eminger aber beteuert an der Haustür, dass er selbst sich seit Anfang
       2019 aus dem Rechtsextremismus verabschiedet habe. Erst habe er den Kontakt
       zu früheren Szenebekannten abgebrochen, auch zu Zschäpe und den anderen
       NSU-Mitbeschuldigten. Dann habe er sich auch „von den Gedanken abgewendet“,
       seine strafbaren Tattoos „überhackt“. Und auch das Bild der Uwes, er
       schmunzelt, hänge natürlich schon lange nicht mehr im Wohnzimmer.
       
       Tatsächlich befindet sich André Eminger seit dem Sommer 2022 in einem
       Aussteigerprogramm, dem des Landes Sachsen. Es war eine Auflage des
       Oberlandesgericht München für die Aussetzung seiner Resthaftstrafe auf
       Bewährung. In dem Programm befindet sich Eminger nach taz-Informationen
       auch weiterhin. Er selbst bestätigt das auch in Kirchberg. Aber André
       Eminger behauptet nicht zum ersten Mal, die Szene verlassen zu haben. Schon
       als ihn 2003 der sächsische Verfassungsschutz als V-Mann anwerben wollte,
       gab er einen Ausstieg an und dass ihm die Familie nun das Wichtigste sei.
       In Wahrheit war er noch jahrelang aktiver Teil der Szene – und hielt
       Kontakt zum NSU-Trio. Und zumindest der Zeitpunkt des jetzigen Ausstiegs
       kann nicht stimmen. Denn noch bis zum Frühjahr 2022 hielt er Kontakt zum
       Mitverurteilten Ralf Wohlleben, traf ihn auch zum Grillen. Bis Oktober 2022
       hatte er auch Briefkontakt mit der bayerischen Rechtsextremistin Susanne
       G., die wegen Anschlagsplänen zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
       In Briefen an sie ätzte er über „Antifanten“ und „Linksversiffte“, hoffte
       bei einem rechten Aufmarsch, dass „alle vereint marschieren“.
       
       ## Freiwillig ins Aussteigerprogramm?
       
       Und die Aufnahme in das Aussteigerprogramm und der Kontaktabbruch zu den
       NSU-Beschuldigten waren eben auch Gerichtsauflagen. An der Haustür weist
       Eminger zurück, nur taktisch zu handeln. „Ich hätte das mit dem Programm
       nicht machen müssen. Die restlichen Haftmonate hätte ich auf einer Backe
       absitzen können. Aber ich wollte das alles nicht mehr. Im Nachhinein war
       das alles falsch.“
       
       Hört man sich in der Region um, heißt es, dass die Emingers zuletzt
       tatsächlich nicht mehr in der rechtsextremen Szene auftauchten – die es
       auch in Kirchberg gibt. Sticker zeugen davon, sie kleben auch am
       Treppenaufgang des Neubaublocks, in dem der älteste Sohn der Emingers
       wohnt. „NS Zone“, lautet einer. Und es heißt vor Ort, unter Neonazis habe
       die Familie durchaus noch eine Art Heldenstatus. André Eminger zuckt die
       Schultern, erklärt, dazu könne er nichts sagen. „Ich hab da ja keinen
       Kontakt mehr.“
       
       Im Prozess rechnet das Gericht nun mit einer aufwändigen Beweisaufnahme,
       angesetzt sind Termine bis Ende Juni 2026. Ob es noch Aufklärung gibt,
       hängt nun vor allem an einer Person: Beate Zschäpe. Am 3. und 4. Dezember
       soll sie im Prozess als Zeugin aussagen, herangefahren aus der JVA
       Chemnitz, wo sie ihre Haftstrafe absitzt. Ihr Anwalt Matthias Grasel sagte
       der taz, er gehe davon, dass seine Mandantin so aussagen wird wie bisher.
       Heißt: Belasten wird Zschäpe ihre einst beste Freundin wohl nicht.
       
       Dabei könnte es Zschäpe helfen auszupacken. Denn nächstes Jahr entscheidet
       sich für sie, wie viele Restjahre sie noch in Haft verbüßen muss. Und
       tatsächlich beteuert inzwischen auch Zschäpe, sich vom Rechtsextremismus
       abgewandt zu haben. Sie befindet sich nun ebenfalls in einem
       Aussteigerprogramm, bei Exit. André Eminger will nicht sagen, für wie
       glaubhaft er das hält. „Das muss sie für sich wissen.“
       
       Andere werden da deutlicher. Gamze Kubaşık nennt es „unerträglich, dass
       Zschäpe ohne erkennbare Reue in ein Aussteigerprogramm aufgenommen wurde“.
       Sie habe bis heute nichts wirklich zur Aufklärung des Terrors beigetragen,
       ihr behaupteter Ausstieg sei nur ein Versuch, früher aus der Haft zu
       kommen. Kubaşık und weitere Opferangehörige initiierten inzwischen eine
       Petition, die fordert, eine Aufnahme Zschäpes bei Exit rückgängig zu
       machen. Gut 150.000 Unterschriften erzielte diese, die Angehörigen
       übergaben sie zuletzt vor dem Bundestag an Abgeordnete. Exit selbst sagt,
       aus rechtlichen Gründen könne man sich nicht „zu personenbezogenen
       Sachverhalten“ äußern.
       
       Und für Gamze Kubaşık ist es auch unbegreiflich, dass bisher keine weiteren
       NSU-Helfer mehr vor Gericht standen. Dass es diese gab, steht für sie außer
       Zweifel. Woher kamen sonst die Waffen? Wie kamen die Mörder sonst auf die
       Opfer? Und Susann Eminger gehörte für Kubaşık zweifelsfrei zu diesen
       Helfern. „Für mich war das schon im NSU-Prozess offensichtlich, dass sie,
       genauso wie ihr Ehemann André Eminger, Helferin und Unterstützerin des NSU
       war und eine Mitschuld an den Morden trägt“, sagt die 40-Jährige.
       
       André Eminger dagegen wirkt an seinem Haus in Kirchberg nicht übermäßig
       besorgt über den Prozess gegen seine Frau. Man solle einfach mal abwarten,
       was da rauskommt, sagt er. Dann verschwindet er wieder in seine Wohnung. Es
       dürfte sein eigener Fall sein, der ihn beruhigt: Wenn selbst er, der engste
       Vertraute des NSU-Trios, mit zweieinhalb Jahren Haft davonkommt, dürfte es
       für seine Frau kaum mehr werden. Andererseits verhandelt nun am
       Oberlandesgericht ein anderer Senat über ihren Fall, als der, der ihn
       zunächst abwies. Und im Raum stehen weiterhin bis zu zehn Jahre Haft.
       
       Würde Susann Eminger wirklich verurteilt, wäre es für sie erst mal vorbei
       mit der Idylle in Kirchberg. Und dann gäbe es doch noch einmal ein Urteil
       zum NSU-Terror. Für Gamze Kubaşık wäre das ein Stück Gerechtigkeit. Aber es
       wäre noch nicht das Ende. „Wir werden weiter für vollständige Aufklärung
       kämpfen“, sagt die Dortmunderin. „Einen Schlussstrich darf es erst geben,
       wenn alle, die an den NSU-Morden beteiligt waren, ihre gerechte Strafe
       erhalten haben.“
       
       4 Nov 2025
       
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